Die Faszination des Verfalls – Begriffsklärung zwischen Staub und Stahlbeton. Urbex, Lost Places und Modern Ruins – Fotografie und Filmen

Die Faszination des Verfalls – Begriffsklärung zwischen Staub und Stahlbeton. Urbex, Lost Places und Modern Ruins – Fotografie und Filmen

7 Minuten

Beschreibung

vor 7 Monaten

Wenn du dich aufmachst, verlassene Orte zu erkunden, begibst du
dich in ein Spannungsfeld aus Geschichte, Ästhetik, Gesetz und
Adrenalin. Doch bevor du das erste rostige Tor öffnest oder durch
ein zerborstenes Fenster steigst, lohnt es sich, die Begriffe,
mit denen du hantierst, genauer zu betrachten. Denn „Urbex“,
„Lost Places“ und „Modern Ruins“ sind nicht einfach austauschbare
Worte – sie haben Wurzeln, Bedeutungen und Kontexte, die deinen
Blick auf das, was du fotografierst oder filmst, vertiefen
können.


„Urbex“, kurz für Urban Exploration, meint das
bewusste Erkunden von vom Menschen geschaffenen, aber verlassenen
oder unzugänglichen Strukturen. Es ist mehr als nur ein Hobby –
Urbex ist eine Haltung, ein Streben danach, das Unsichtbare
sichtbar zu machen, das Vergessene zu dokumentieren. Dabei kann
ein verlassener Freizeitpark ebenso zum Ziel werden wie ein nicht
mehr genutzter Krankenhausflügel oder ein verfallenes
Industriegebäude. Wichtig ist das urbane Element – du bewegst
dich in städtischen Räumen oder an Orten, die durch menschliche
Nutzung geprägt waren.


Im Gegensatz dazu ist der Begriff „Lost Place“
eher poetisch und medial geprägt. Er beschreibt Orte, die
„verloren“ gegangen sind – aus der öffentlichen Wahrnehmung, aus
dem städtischen Alltag, oft auch aus der Zeit. Der Begriff ist
emotional aufgeladen und weckt Assoziationen von Melancholie,
Nostalgie und Schönheit im Verfall. Viele, die mit der Kamera
unterwegs sind, nutzen diesen Begriff intuitiv, um die emotionale
Kraft dieser Orte zu beschreiben.


Und dann sind da die „Modern Ruins“ – ein
Begriff, der vor allem im künstlerischen und kulturellen Kontext
auftaucht. Er rückt die Parallele zu antiken Ruinen ins Licht:
Auch heute entstehen Orte des Zerfalls, nur eben nicht aus
römischem Marmor, sondern aus Beton, Glas und Stahl. Modern Ruins
reflektieren den Zustand unserer Gegenwart, sie spiegeln
gescheiterte Visionen, ökonomische Umbrüche, soziale
Umstrukturierungen. Sie sind Mahnmale der Moderne – wie das
verlassene Shopping-Center am Stadtrand, das nie richtig eröffnet
wurde, oder das leere Bürogebäude, das der Digitalisierung zum
Opfer fiel.


Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft und Begrifflichkeit teilen
diese Orte bestimmte Merkmale, die sie für Fotografinnen und
Filmemacherinnen so anziehend machen. Ein zentrales Element ist
der Zustand des Dazwischen. Du findest dich an
Orten wieder, die weder richtig leben noch ganz tot sind. Sie
sind eingefroren in einer Zwischenzeit – eingefroren zwischen
Nutzung und Verfall, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Diese
temporäre Schwebe erzeugt eine starke visuelle und emotionale
Kraft, die du mit deiner Kamera einfangen kannst.


Ein weiteres gemeinsames Merkmal ist der
Veränderungsprozess – nichts bleibt, wie es ist.
Ein Ort, den du heute betrittst, kann morgen ganz anders
aussehen: durch Vandalismus, durch Witterung, durch Abriss oder
durch neue Nutzung. Diese Transformation ist Teil ihrer
Identität. In der Fotografie sprichst du hier von
Vergänglichkeit als Motiv, eine der tiefsten
Inspirationsquellen überhaupt. Jedes Bild, das du machst, ist ein
Dokument eines einzigartigen Moments im Verfall.


Diese Orte sind auch ästhetisch herausfordernd und
lohnend zugleich. Die visuelle Sprache von rostigem
Metall, moosüberwachsenen Betonwänden, zerbrochenem Glas und
Lichtstrahlen, die durch geborstene Dächer dringen, ist
einzigartig. Sie erzeugt Kontraste zwischen Natur und
Zivilisation, zwischen Schönheit und Zerstörung, zwischen Ordnung
und Chaos. In deinen Bildern oder Videos kannst du diese
Gegensätze bewusst inszenieren – und dabei mit Techniken wie
natürlichem Licht, Langzeitbelichtung, Perspektivspielereien oder
Zeitraffer arbeiten.

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