Die Therapeutische Gesellschaft

Die Therapeutische Gesellschaft

30 Minuten

Beschreibung

vor 8 Monaten
Wir müssen uns zentrieren oder klare Grenzen setzen, oft geht es um
"mental load", wir werden getriggert, die Kinder in der Schule
werden gemobbt. Die Beziehung ist "toxisch" oder es geht um
Menschen, deren "red flags" vorab bereits erkennbar waren. Wir
erstellen uns Diagnosen, ADHS, PTBS, Depression, Angststörung. Wir
alle sind verstrickt und unglaublich zerbrechlich. Soziologen
sprechen von der therapeutischen Gesellschaft. Tatsächlich hat die
Sprache der Therapeuten lange Zeit die Populärkultur überschwemmt:
Begriffe wie "Hysterie", "Kriegsneurose" und das "innere Kind"
spiegeln die psychoanalytischen Ansätze ihrer Zeit wider. Vor allem
Freud überhäufte die westliche Literatur mit heute gebräuchlichen
Ausdrücken: Verdrängung, Todeswunsch, Versprecher, Verleugnung,
Übertragung. Mit dem Boom der Therapiebegriffe in der Sprache geht
einher, dass die psychische Gesundheit der Menschen rückläufig ist.
In Deutschland sind jedes Jahr 27,8 % der erwachsenen Bevölkerung
von einer psychischen Erkrankung betroffen. Das entspricht rund
17,8 Millionen betroffenen Personen. Nach Covid stiegen
Depressionen und Angstzustände insbesondere bei jungen Menschen an.
Das wachsende Bewusstsein für psychische Erkrankungen könnte die
Zahlen noch weiter in die Höhe treiben. Das Problem mit eiligen
Diagnosen oder dem, was heute als "Instagram-Therapie" gilt,
besteht darin, dass sie einen zutiefst relationalen und
kontextuellen Prozess in etwas Ich-Bezogenes verwandeln kann, so
als ob es immer darum ginge: "Ich bin die wichtigste Person, und
ich muss mich um mich selbst kümmern." Oft werden banalsten
Umständen scheinpsychologische Diagnosen übergeworfen. Der Boom von
Mental Health verrät große Sehnsucht nach Selbsterforschung und
Selbstbeschreibung. Er deutet zudem darauf hin, dass psychische
Probleme nicht mehr tabuisiert werden, sondern in der Mitte der
Gesellschaft angekommen und von Scham befreit sind. Im
Perspektivwechsel sprechen wir mit der Linguistin Susanne Kabatnik
und der Kultursoziologin Sarah Pritz über therapeutisches Sprechen
und die Emotionsgesellschaft.

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