Lithium oder Demokratie: Verspielt die EU ihre Sympathien in Serbien?
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vor 10 Monaten
Ob Belgrad, Novi Sad oder Niš: Die Bilder, die uns in diesen
Tagen aus Serbien erreichen, zeigen friedlichen Protest. Mit
ihren Handys verwandeln Zehntausende die nächtlichen Straßen in
ein Lichtermeer. Ihre Forderung: Recht und Gesetz sollen für alle
Menschen in Serbien gelten - auch für diejenigen, die ganz oben
im Staat stehen.
Auslöser für die Massenproteste war der Einsturz eines
Bahnhofsvordachs in Novi Sad Anfang November. 15 Menschen
verloren dabei ihr Leben. Für die Studierenden, die seitdem
demonstrieren, ist der Vorfall nicht einfach ein tragisches
Unglück, sondern Folge unsachgemäßer Renovierungsarbeiten durch
ein chinesisches Unternehmen. Sie kritisieren, dass die serbische
Regierung zunächst versucht habe, das Unglück zu vertuschen und
Verantwortung abzuweisen. "Korruption tötet", so der Slogan, der
auf vielen Plakaten zu lesen ist.
Florian Bieber ist Leiter des Zentrums für Südosteuropastudien an
der Universität Graz. Er beobachtet die Situation in Serbien sehr
genau: Es gehe den Studierenden nicht um einen Umsturz, wie
Präsident Aleksandar Vučić behauptet, sondern um Transparenz und
um Rechtsstaatlichkeit. "Das sind wirklich die großen Probleme,
mit denen Serbien seit über einem Jahrzehnt zu kämpfen hat", sagt
Bieber im Podcast "Wirtschaft Welt & Weit".
Längst gehen nicht mehr nur Studierende auf die Straße, sondern
auch Anwälte, Ärzte und viele andere Berufsgruppen. Gerade erst
haben sie den Rücktritt des serbischen Ministerpräsidenten Miloš
Vučević erreicht. Doch der ist für Bieber "kein bedeutendes
Schwergewicht in der serbischen Machtkonstellation", sondern eher
eine Art Bauernopfer. Dennoch sieht er den Rücktritt als Indiz
dafür, "dass sich das Regime im Moment bedroht fühlt".
In der neuen Podcast-Folge erklärt der Professor für Geschichte
und Politik Südosteuropas, wie das "System Vučić" funktioniert:
Zwar liege die Macht formal beim Ministerpräsidenten, doch in der
Praxis habe es Vučić geschafft, die wichtigen Institutionen des
Landes zu übernehmen. Seine Macht gehe dabei nicht von der
Verfassung aus, sondern von der Partei und seiner Person. "Er
könnte theoretisch morgen als Präsident zurücktreten und
weiterhin die gleiche Macht ausüben", sagt Bieber.
Das passe nicht mit dem Status eines EU-Beitrittskandidaten, den
Serbien seit zehn Jahren innehat, zusammen, kritisiert Bieber.
"Serbien ist im letzten Jahrzehnt sehr viel weniger demokratisch
geworden." Stattdessen beobachtet er "größere Missachtung von
Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit". Deutschland und die EU
müssten sich dagegen stellen - und ihre Prinzipien auch beim
Aushandeln wirtschaftlicher Deals verfolgen. Ansonsten sieht
Bieber die Gefahr, dass die EU ihre Sympathien bei vielen
Menschen in Serbien verspielt.
Im Sommer 2024 haben Serbien und die EU einen Lithium-Deal
abgeschlossen. Dabei geht es um die Förderung von Lithium im
serbischen Jadartal durch den Bergbaukonzern Rio Tinto. Serbien
würde gerne die komplette Wertschöpfungskette vom Abbau des
Lithiums bis hin zur Produktion von E-Autos im Land
konzentrieren. Die EU will das Vorhaben fördern und beim Thema
Lithium weniger abhängig von China werden. Für Bieber
rutscht die EU jedoch in eine neue Abhängigkeit, der serbische
Präsident Aleksandar Vučić ist für ihn "kein zuverlässiger
Bündnispartner".
Das Lithium-Abkommen "hat der Europäischen Union und Deutschland
auf dem Balkan einen Riesen-Schaden zugefügt", konstatiert
Bieber. Viele Menschen haben seiner Beobachtung zufolge
inzwischen das Gefühl, dass die EU ihre Forderungen nach mehr
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht wirklich unterstütze,
sondern stattdessen ihre eigenen Interessen verfolge. "Viele
Menschen sagen, die EU ist nicht anders als China, die wollen nur
unsere Rohstoffe."
Dass die EU auf höhere Umweltauflagen setzt als China, lässt der
Südosteuropa-Experte übrigens nicht gelten. Denn für ihn fehlen
angemessene Kontrollmechanismen. Schon jetzt würden in vielen
Fällen, etwa beim Bau von Fabriken, selbst die serbischen
Auflagen nicht eingehalten. "Warum sollte das bei einem
Minenprojekt einer multinationalen Firma anders sein?", gibt
Bieber zu bedenken.
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