#96: Körperakzeptanz oder Eiertanz?

#96: Körperakzeptanz oder Eiertanz?

Ich glaube, wir müssen reden. Über unsere Körper. Über uns also, auch wenn wir uns vielleicht nicht persönlich kennen. Ich habe nämlich gerade gelesen, dass 91% aller deutschen Frauen unzufrieden mit ihrem Körper sind (leider ist mir die Quelle...
25 Minuten

Beschreibung

vor 3 Jahren

Ich glaube, wir müssen reden. Über unsere Körper. Über uns also,
auch wenn wir uns vielleicht nicht persönlich kennen. Ich habe
nämlich gerade gelesen, dass 91% aller deutschen Frauen
unzufrieden mit ihrem Körper sind (leider ist mir die Quelle
durch die Lappen gegangen). Damit ist die Wahrscheinlichkeit sehr
hoch, dass das auch auf uns beide zutrifft (falls du eine Frau
bist).


In der letzten Podcastepisode habe ich einen Blick in die Zukunft
der Stoffe und Mode gewagt. Heute möchte ich aus einer ganz
anderen Perspektive nach vorne schauen. Denn was ich aus vielen
Beiträgen herauslese und aus meiner Jugend kenne, ist, dass sich
auch, oder gerade, viele junge Mädchen und Frauen selbst fertig
machen, wegen vermeintlicher Mängel ihres Körpers.


Ich habe 2 Söhne und eine Tochter. Ich möchte, dass meine Kinder
mit einem gesunden Selbstbewusstsein und Körpergefühl in und
durch die Pubertät und durch den Rest ihres Lebens gehen. Das ist
heutzutage eine Herausforderung.


Ich muss gestehen, dass ich mir noch nie so viele Gedanken um
eine Podcastepisode gemacht habe, wie dieses Mal. Von: “Wie sage
ich das jetzt möglichst neutral, damit ich niemanden verletze”
bis “Wer bin ich eigentlich, überhaupt darüber zu sprechen?”, ist
mir vieles durch den Kopf gegangen.


Warum ich erst gezögert habe, in dieser Episode über mich selbst
zu sprechen? Weil ich von außen betrachtet vermutlich zu einer
privilegierten Minderheit gehöre. Ich bringe äußere Merkmale mit,
die in unserer Gesellschaft grundsätzlich erst mal als positiv
betrachtet werden: Ich bin weiß, schlank, blond (zumindest früher
mal Naturblond), groß.


Was für einen Grund hätte ich bitteschön, mich zu Beschweren?


Ich weiß natürlich nicht, wie es sich anfühlt, ganz anders
auszusehen. Und ich habe selbst nie die Diskriminierung erlebt,
der man mit anderer Hautfarbe und/oder Körperform, Behinderung,
Aussehen ausgesetzt sein kann.


Aber offensichtlich fokussieren sich Menschen oft auf das, was
aus dem Rahmen fällt. Was bei mir aufgrund meiner Körpergröße und
Schlankheit auch der Fall war. Was mir wildfremde Männer auf der
Straße gesagt haben, darüber kann ich nur den Kopf schütteln.
Warum können sie nicht einfach die Klappe halten und sich selbst
im Spiegel anschauen?


Manchmal sind Bemerkungen von Frauen noch schlimmer. Und mir
fehlte dann leider immer die Schlagfertigkeit, um gekonnt darauf
zu antworten. Die guten Antworten fallen mir immer erst dann ein,
wenn die Situation vorbei ist.
Egal wie man aussieht, es wird immer Menschen geben, die
gedankenlos, unhöflich oder schlichtweg fies sind. Ich habe auch
nicht die Illusion, dass wir das ausmerzen können. Aber wir
können unsere Gesellschaft dafür sensibilisieren und versuchen
ein gutes Beispiel zu sein.


Ich glaube sehr wichtig ist es auch, dass wir eine bessere
Beziehung zu unserem Körper haben, damit uns solche Sprüche nicht
sofort aus dem Gleichgewicht bringen. Das ist eine große Aufgabe,
denn die meisten Minderwertigkeitsgefühle kommen schon aus
unserer Kindheit und Jugend und sind ziemlich eingebrannt. Die
kann man nicht einfach wegwischen. Ich bin auch keine
Psychologin, die hier Fachwissen anbringen kann. Aber drüber
reden hilft ja meist schon, Gedanken klarer zu sehen und
vielleicht im Gespräch andere Perspektiven zu entdecken.


Wie gesagt, die ein oder andere Geschichte könnte ich auch
erzählen, aber ich habe mich nie grundsätzlich diskriminiert
gefühlt. Deswegen habe ich auch so lange mit dieser Episode
gehadert. Wer bin ich, darüber zu reden?
Was war der Auslöser für diese Episode?

Schon vor einigen Wochen kam der Wunsch nach diesem Thema für
eine Podcastepisode von einem Clubmitglied aus dem Näh deinen
Stil Club. Sie schrieb dazu:


“Hier im Club kommt ja ganz viel an verzerrter Wahrnehmung des
eigenen Körpers zutage, und ich finde, das hält uns als Frauen so
klein. Ich muss beruflich öfter mal Portraitfotos machen, und vor
allem Frauen empfinden das als sehr unangenehm, da ist eine große
Unsicherheit. Und ich habe das im Club als große Befreiung
erlebt, wenn man plötzlich einen realistischeren und auch
liebevolleren Blick auf den eigenen Körper bekommt. Das setzt
viel Selbstbewusstsein frei.”


Ich hatte das Thema also schon eine Weile auf meiner Ideenliste.
Eine Mail einer Newsletter-Leserin hat mich dann motiviert,
endlich mal in die Umsetzung zu gehen. In dieser Mail kritisierte
sie mich für meine Wortwahl in meinem Schnittmuster-Shop.


Kurz zum Hintergrund: Vor einigen Jahren hatte ich begonnen,
Schnittmuster für große Frauen zu veröffentlichen. Darauf bin ich
gekommen, weil ich selbst immer Schnittmuster verlängern muss.
Ich empfand Schnittmuster für große Frauen als Marktlücke und
wollte meine Idee unbedingt ausprobieren. Diesen Größensatz
nannte ich “Langgrößen”, weil ich das so in der Konfektion auch
kenne. Und damit eine klare Abgrenzung bei den bisherigen Größen
stattfindet, habe ich den anderen Größensatz einfach
“Normalgrößen” genannt. Diese Größen gehen von 34-48.


Der Punkt in der E-Mail war, dass ich der Verfasserin damit, dass
ich diesen Größensatz von 34-48 als “Normalgrößen” bezeichne, das
Gefühl vermittelt habe, nicht normal zu sein. Ihre Größe liegt
offensichtlich außerhalb dieser Größen.


Ganz ehrlich. Darüber habe ich mir damals keine Gedanken gemacht.
Ich habe diese Größen-Range als mein Angebot festgelegt, weil ich
nach einem Gespräch mit meiner Schnittdirektrice gelernt hatte,
dass alle Größen, die über die 48 hinausgehen, wieder eine eigene
Schnittkonstruktion und Gradierung benötigen. Man kann einen
Schnitt, der für eine Größe 38 angelegt wird, nicht einfach
beliebig nach oben gradieren. Irgendwann stimmen die Proportionen
nicht mehr. Gerade bei meinen ersten Schnitten habe ich mich aus
Kostengründen auf eine Gradierung beschränkt und sie so gewählt,
dass meine Größe mit dabei ist, weil ich meine Schnitte natürlich
auch selber nähen wollte.


Bei den Langgrößen habe ich schnell gemerkt, dass sie zwar bei
der Zielgruppe, großen Frauen, gut ankamen, aber wirtschaftlich
nicht für sich alleine stehen konnten.


Also konzentrierte ich mich wieder mehr auf die tja, wie soll ich
sie nennen, nicht Langgrößen? Die “anderen Größen” oder sie
einfach als Größensatz 34-48 benennen? Begriffe können so schnell
in die falsche Richtung gehen, wie ich es bei dieser Kundin
gesehen habe. Vielleicht geht es ja schon jahrelang Frauen so,
wenn sie bei mir das Wort Normalgrößen gelesen haben, es hat
bisher nur niemand gesagt?


Wenn es um Körper und deren Beschreibung geht, werden die Worte
schnell zum Eiertanz. Was darf ich sagen, was sollte ich besser
nicht sagen, und wie könnte ich es anders sagen? Darf ich das
Wort “dick” genauso verwenden wie dünn? Darf ich genauso schwarz
sagen wie weiß?


Die Größen heißen immer noch Normalgrößen, weil ich noch keinen
besseren Namen gefunden habe. Ist Standardgrößen besser?


Als ich den Näh deinen Stil Club gegründet habe, war mir von
Anfang an klar, dass es nicht vordergründig um unsere
Schnittmuster gehen sollte. Denn diese sind einfach vom Stil und
von der Größenspanne zu begrenzt, um jeder Frau es zu
ermöglichen, ihren ganz persönlichen Stil zu nähen.


In den vergangenen 1,5 Jahren, seit der Club gestartet ist, stand
das Thema Proportionen hoch im Kurs. Welche Kleidungsstücke
betonen oder kaschieren diese oder jene Stelle des Körpers?


Wir wollten daraufhin den Schwerpunkt noch stärker auf den Stil
setzen, denn viele Frauen definieren sich sehr stark über die
vermeintlichen Mängel ihres Körpers. Die Persönlichkeit, die du
über deinen Stil ausdrücken kannst, ist wichtiger und
aussagekräftiger als Dellen im Oberschenkel, Röllchen am Bauch
oder eine kleine Oberweite. Aber haben dann doch gesehen, dass
das Thema bleiben muss, bzw. Noch intensiviert werden muss, um
den Frauen mehr Wohgefühl in ihrer Kleidung zu geben.
Die Vergleicheritis

Wir Menschen haben Gefühle und Ängste, wollen Männern und/oder
Frauen gefallen. Wollen erfolgreich, glücklich sein und das Leben
genießen.


Negative Gedanken über unseren Körper verhindern das. Dieses
Genießen und glücklich sein. Unsere Gedanken um vermeintliche
Mängel stehen wie eine Wand vor uns oder sogar wie eine Mauer um
uns herum.


Ich glaube jetzt kommt ein ganz wichtiger Punkt: Wenn wir neben
einer anderen Frau stehen, setzt oft ein Vergleichsimpuls ein.
Und meist stellen wir dann fest, dass “die andere” an irgendeiner
Stelle schöner ist oder intelligenter, schlagfertiger etc. Ich
wünschte es wäre nicht so, aber so kann schnell ein Komplex
entstehen. Und jetzt kommt der Punkt: die andere Frau hat mit
großer Wahrscheinlichkeit ganz ähnliche Gedanken über uns. Das
geht auch weit über die körperlichen Merkmale hinaus.


Ich hatte das schon mal bei Instagram oder hier im Podcast
vielleicht… erzählt, dass ich als meine Jungs noch im
Kindergartenalter waren, häufiger mal mit einer anderen Mutter
den gleichen Weg zur Kita hatte. Wir sind oft ins Gespräch
gekommen. Sie ist optisch quasi das Gegenteil von mir. Sie ist
ca. 1,50 m groß und eher füllig. Sie schaute mich eines Tages an
und sagte sowas wie: “Hach, ich beneide dich um deine Größe und
deine langen Beine. Was würde ich nicht dafür geben!” Ich fragte
sie: “Hmmm, würdest du deine volle Brust dafür aufgeben?” Ein
entsetztes “Nein” war ihre Antwort.


Wie oft habe ich mir eine zumindest B-Körbchen Brust gewünscht?
Statt A oder Doppel A! Wir haben dann gewitzelt, dass ich ihr
etwas von meiner Beinlänge gebe und sie mir im Tausch 2
Körbchengrößen. Dann würden wir beide ziemlich durchschnittlich
aussehen. Wir haben entschieden, dass das ja auch irgendwie
langweilig wäre. Und ihre volle Brust passt perfekt zu ihr,
genauso wie meine Beine zu mir passen.


Bei dieser Geschichte muss ich an einen Satz denken, den ich in
meiner Kindheit und Jugend oft gehört habe: “Man kann halt nicht
alles haben”. Damals mit einem genervten Augendrehen quittiert,
ist ja doch viel Wahres dran. Man kann den Satz sicherlich auch
begrenzend interpretieren, aber ich möchte ihn jetzt mal so
sehen, dass ich eben nicht gleichzeitig ewig lange Beine haben
kann und dabei eine Körpergröße von 1,73 m, genauso wenig wie
wallende Locken, die ich bei anderen Mädchen immer beneidet habe
und gleichzeitig die Pflegeleichtigkeit meiner Haare behalten.
Fazit

Diese Episode hat vielleicht nicht DIE Antwort auf das Thema,
aber eines ist sicher!


Wir haben nur unseren eigenen Körper. Einen einzigen! Das lass
dir mal auf der Zunge zergehen, bevor du dich beim nächsten Mal
selbst wieder schlecht redest.


Hier habe ich noch einen Perspektivwechsel für dich, mit dem ich
die Episode auch abschließen möchte:


Angenommen, deine Gedanken drehten sich nicht mehr so viel um
dein Gewicht, deine Figur, dein Aussehen, wofür würdest du deine
Zeit einsetzen?”


Wenn du dir innerlich nicht ständig sagen würdest, dass du dies
oder jenes erst machen kannst, wenn du 10 kg abgenommen hast oder
der Bauch flacher ist? Was würdest du mit deiner Energie machen?


In diesem Sinne wünsche ich dir eine schöne Zeit bis wir uns
wieder hören.


Liebe Grüße


Elke



--


Wenn dir diese Episode des Näh deinen Stil Podcasts gefallen
hat, würde ich mich sehr über eine positive Bewertung
freuen. 


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