Das radikale Kalifat

Das radikale Kalifat

Seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich die Welt verändert. Befreit von Krisen wurde sie jedoch nicht.
23 Minuten
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Seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich die Welt verändert. Befreit von Krisen wurde sie jedoch nicht.

Beschreibung

vor 2 Jahren
Am Kings College in London besteht ein „Center for the Studies of
Radicalization“. Es betreibt Terrorismusforschung. Mit Schwerpunkt
untersucht diese Arbeitsgruppe die Frage, was junge Europäer zum IS
treibt. Praktische Gegenwartsforschung verbindet sich mit
Grundlagenforschung. Ausgangspunkt war, dass britische Djihadisten
in Facebook und Instagram offen über ihre Aktivitäten berichteten.
Die Forscher folgten ihnen über die Kommunikationslinien aufs
Schlachtfeld. Die Kämpfer zeigten sich äußerst
mitteilungsbedürftig. Gewöhnlich verbrennen sie bei ihrem Aufbruch
zum IS ihre Pässe. Sie haben „die Schiffe hinter sich verbrannt“.
Da sie mit keiner Rückkehr rechnen, scheuen sich nicht, wenn sich
durch lebhaften kommunikativen Austausch selbst belasten. Ihr
Lebensgefühl: „Noch in tausend Jahren wird über unsere Taten
erzählt werden“. Die Forscher in London haben über 750 solcher
„Wege ins Kalifat“ verfolgt. Es geht um junge Leute, die z.B. in
den Vororten von Paris das Leben eines „Losers“ führen. Für ihr
Gefühl werden sie als Kämpfer des Kalifats zu einem „100 % Winner“.
Es geht um eine Jugendkultur und – was noch wichtiger ist – eine
Gegenkultur, die Generationskämpfe durchführt. Wissenschaftliche
Untersuchungen, die einen Zeitraum von über 100 Jahren erfassen,
ergeben, dass Terror sich in Wellen vollzieht: von der 
anarchistischen Welle, die im 19. Jahrhundert beginnt, über den
Terror im frühen 20. Jahrhundert bis zu den Attentaten der Roten
Armee Fraktion in den 1970er Jahren und dem religiösen Terror, der
die Twin Towers traf, seien vier Wellen zu beobachten. Eine fünfte,
hybride, neuartige, sei zu erwarten. Auffällig ist die Begrenzung
jeder Welle auf etwa eine Generation (30 Jahre). Auch dies spricht
für den Zusammenhang von „Jugendkultur“, Generationskonflikt und
gewalttätigem Protest. Auffällig ist die Tatsache, wie schwer es
ist, aus der sozialen und militärisch bewachten Gruppe im
Islamischen Staat zu desertieren. Der Typ des Selbstmordattentäters
bedarf weiterer Forschung. In der europäischen Zivilgesellschaft
wird unterschätzt, wie häufig Selbstmordattentäter in der
Geschichte und in nicht-europäischen Gesellschaften sind. Das Neue
liegt in der rasanten Zunahme der Fälle. Die ältere Generation in
den muslimischen Gesellschaften, einschließlich ihrer Imame, ist
nicht vorbereitet auf die Angriffslust der Jungen im Kalifat. Auf
wesentliche Fragen Jugendlicher nach Identität, Droge und Sex gibt
es dort keine Antworten. Für die Terrorismusforschung geht es um
drei große Fragen: 1. Prävention, 2. Intervention, 3.
De-Radikalisierung. Man kommt den Antworten nicht näher, wenn man
die Radikalisierung des Kalifats unterschätzt. So sind dort die
drei Merkmale eines Staates: Territorium, Verwaltung und
Gewaltmonopol, verwirklicht, wir würden uns aber trotzdem scheuen,
dieses Gewaltgebilde einen Staat zu nennen.  Was aber wäre ein
besserer Ausdruck dafür? Prof. Dr. Peter Neumann, Kings College
London, Leiter des „Center for the Studies of Radicalization“,
berichtet. Erstausstrahlung am 04.04.2016

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