Wahlprognosemodelle

Wahlprognosemodelle

Modellansatz 149
40 Minuten
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Beschreibung

vor 6 Jahren

Gudrun hat sich mit Oliver Beige unterhalten. Im Gespräch geht es
um die theoretische Seite von Modellen für Wahlprognosen. Dabei
beziehen sie sich in vielen Beispielen auf den Wahlkampf in den
USA und insbesondere auf die Besonderheiten der Kampagne von
Donald Trump. Die Gelegenheit bot sich vor einem gemeinsamen
Konzertbesuch in Berlin-Neukölln in der Alten Welt Siralti.


In der Theorie sind Wahlprognosemodell traditionell in der
Politologie verankert, wurden aber immer mehr durch ökonomische
Modelle verbessert. Die größte Veränderung der letzten Jahre ist,
dass es immer mehr empirische Daten gibt, die auch zum Teil der
Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Solche Daten und
Diskussionen zur Wertung finden sich z.B. auf der Webseite
FiveThirtyEight. Große Berühmtheit erreichte schließlich Nate
Silver dadurch, dass er 2008 in 49 von 50 US-Bundeststaaten das
Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen korrekt vorhergesagt
hatte. Im Wahljahr 2012 stimmte seine Vorhersage sogar in allen
50 Staaten. Seine Ergebnisse erzielte er dabei lediglich durch
Aggregation von veröffentlichten Umfrageergebnissen.


Im Wahljahr 2016 hat aber Donald Trump die Wahl gewonnen obwohl
Nate Silvers Modelle (und die Modelle ähnlich arbeitender
Wahlforscher) die Wahrscheinlichkeit dafür, dass Hillary Clinton
die Präsidentschaftswahl für sich entschieden wird, auf 70% - 99%
beziffert hatten. Es stellt sich die Frage, wo der Fehler dieser
Prognosemodelle lag.


Wenn man im Jahr 2016 genau zuhörte, gab es auch Stimmen, die
Donald Trump schon im Frühjahr als wahrscheinlichen Gewinner der
Wahlen sahen - z.B. die Zeitung Los Angeles Times. Sie wurden in
den Medien zwar lieber als Ausreißer dargestellt, behielten aber
schließlich recht. Wieso? Sie hatten den Demographiewandel in den
USA in ihre Modellbildung einbezogen. Um zu verstehen, was damit
gemeint ist, muss man zunächst einmal klarer beschreiben, wie
US-Wahlen traditionell bisher abliefen, und welche Modelle daraus
abgeleitet wurden.


Es gibt ein schönes Denkmodell, das veranschaulicht, wie das
sogenannte Hotelling Gesetz (1929) wirkt. Man stelle sich zwei
Eisverkäufer am Strand vor. Wie sollten sie jeweils ihren Stand
so positionieren, dass sie möglichst viele Kunden anziehen? Die
stille Annahme dabei ist, dass die Badenden gleichmäßig über den
Strand verteilt sind und alle irgendwann Lust auf ein (genau ein)
Eis bekommen. Das verblüffende Ergebnis ist: Ein Equilibrium der
Einflussbereiche der beiden Verkäufer stellt sich ein, wenn beide
in der Mitte des Strandes nebeneinander stehen.


Im Wahlkampf in den USA folgt man dieser Strategie, indem beide
endgültigen Präsidentschaftskandidaten wenig ideologisch
unterscheidbar aufgebaut werden. Begünstigt wird das auch durch
das mehrstufige Wahlsystem, denn die Vorwahlen (Primaries) kann
man dazu nutzen, dass die extremeren Kandidaten herausgefiltert
werden. Dann entscheidet über den Sieg schließlich vor allem die
erfolgreiche Mobilisierung der Wechselwähler. Eine
(stillschweigende) Voraussetzungen dafür, dass von der
Ähnlichkeit der Positionen der eigene Kandidat profitiert ist,
dass die Wahlbeteiligung hoch ist. Das ist in den USA leider
immer weniger der Fall.


Dass die Wahlen 2016 anders verliefen als gewohnt, zeigte sich,
als bei den Republikanern die Establishmentkandidaten keine
Chance gegen den idologisch extremen Trump hatten. Bei den
Demokraten konnte jedoch die moderatere Hillary Clinton den
ideologisch positionierten Bernie Sanders ruhig stellen. Das
bricht mit den bisher gültigen Annahmen der
Wahlvorhersagemodelle: Hotellings Model funktioniert nicht mehr.
Aber nur weniger der Modelle erkennen die veränderte Situation
und reagieren mit neuen Prognosemodellen. Trump hatte dann
schließlich auch Erfolg mit seiner Strategie, die
Clinton-Wählerschaft zu entmutigen überhaupt zur Wahl zu gehen
und die eigene - eigentlich kleine - Clientel extrem zu
mobilisieren.


Den Trend zur Radikalisierung der Republikaner beobachtet man
tatsächlich schon eine Weile. Er setzte etwa mit der Wahl von
Reagan ein. Es gab die inzwischen sprichwörtlichen "27%" --
Wähler, die auch einen völlig unqualifizierten rechtsgerichteten
Kandidaten wählen. Der sprichwörtliche Name wurde erfunden,
nachdem bei der Senatswahl in Illinois ein erkennbar
aussichtsloser Kandidat gegen den damals unbekannten Obama 27%
der Stimmen erhielt. Diese Zahl ist seitdem eher gestiegen.


Für Wahlprognosen braucht es also Modelle, die dieses bekannte
menschliche Verhalten besser berücksichtigen. Keith T. Poole und
Howard Rosenthal sammeln alle Stimmen im amerikanischen Kongress
- das sind ja einfache Ja/Nein Entscheidungen - und analysieren
sie fortlaufend. Ihre Methoden lieferten Politikwissenschaftlern
erstmals rigorose quantitative Methodiken für Ideologiehörigkeit
von Entscheidern über die Zeit der Existenz der USA hinweg. Man
nennt dies die Nominal Three-Step Estimation.
Literatur und weiterführende Informationen

Eisverkäufer Modell

K.T. Poole, H. Rosenthal: A Spatial Model for Legislative
Roll Call Analysis GSIA Working Paper No. 5–83–84, 1983.

K.T. Poole, H. Rosenthal: Congress: A Political-Economic
History of Roll Call Voting. New York: Oxford University Press,
1997.

K.T. Poole, H. Rosenthal: Congress: Ideology and Congress New
Brunswick, Transaction Publishers, 2007.

NOMINATE and American Political History: A Primer.

W-NOMINATE in R: Software and Examples

H. Hotelling: Stability in Competition Economic Journal 39:
41–57, 1929.

Voteview, the online voting data repository started by Poole
& Rosenthal.

Poll-Aggregatoren erklären, warum sie danebenlagen.

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