Vom Chip zur Dystopie

Vom Chip zur Dystopie

5 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

Hast Du schon einmal darüber nachgedacht, Deinem Kind einen Chip
zu implantieren? Das wäre doch praktisch. So könntest Du
jederzeit dessen Standort bestimmen. Zugegeben, ich bin spät
dran, diese verstörende Überzeichnung elterlicher Fürsorge
anzusprechen.


Schon Ende 2017 begann eine Diskussion dazu, wie weit der
Kontrollzwang verunsicherter Eltern einer von Technologie
durchwirkten Wohlstandblase gehen darf. Mit Arkangel zeigte
Regisseurin Jodie Foster in der zweiten Folge der vierten Staffel
von »Black Mirror«, in welchen Wahnsinn wir mithilfe digitaler
Möglichkeiten geraten könnten.


Zunächst ist man als Zuschauer empathisch mit der
alleinerziehenden Mutter Marie. Man kann ihre Sorgen verstehen.
Diese stumme Unterstützung verpufft nicht einmal, als bei dem
Kind ein Implantat gesetzt wird. Diese kleine Unsichtbarkeit im
Gehirn der Tochter erlaubt es Marie, das Seh- und Hörvermögen
ihrer Tochter Sara mit einem Tablet-Computer zu überwachen. Auch
medizinische Live-Daten und frühere audiovisuelle Feeds lassen
sich mit dem Implantat nachvollziehen. Im Verlauf wandelt sich
das Gefühl aus seichter Unterstützung für die Mutter zu einem
subjektiven Anfall von Ekel. Dass die Serie nur Fiktion sei, gilt
als Argument für ein Negieren nicht. Denn alles Schein ist Sein.
Die Idee ist in der Welt.


Neulich wurde mir mithilfe kontextsensitiver Werbung ein
GPS-Sender für Hunde angeboten. Das Netzwerk weiß, dass wir
neuerdings einen Hund haben. Vorgestern fragte ich an dieser
Stelle: »Was ist der Mensch?« Ich folgte meinem eigenen Rat und
schaute auf unseren Hund. Dabei erinnerte ich mich an ein Gefühl,
neulich bei unserer Tierärztin.


Hunde werden in Europa gechipt. Das hatten wir hinnehmen müssen.
Als Bürger ohne Hund war uns nie in den Sinn gekommen, uns in das
Für und Wider für einen Erlass, der ein solches Implantat zur
Pflicht macht, einzumischen. Die Information drang erst mit der
Anschaffung eines Hundes zu uns durch und sogar da klang das noch
vernünftig. Hund plus Chip verspricht weniger Verlustangst. Von
unserer Tierärztin erfuhren wir noch, dass die Chips der neueren
Generation auch Vitaldaten wie Körpertemperatur messen. Wow.


Im Jahr 2017 sprach Sascha Lobo beim DRG-Forum und sagte, er
glaube nicht daran, dass Menschen in absehbarer Zeit
akzeptierten, sich Technologie implantieren zu lassen. Tracker
würden zwar am Körper, aber nicht im Körper akzeptiert; wenn er
sich da mal nicht getäuscht hat. Damals fand eine – zugegeben
wenig belastbare – Marktforschung heraus, dass sich 5 % der
amerikanischen Frauen einen Chip im Arm vorstellen können. Für
bessere Shoppingerlebnisse.


Ist es nicht so, dass hier sensorische und soziale Anpassung
miteinander kollidieren?


Bei unseren Hunden haben wir eine moralische Grenze bereits
überschritten. Wir implantieren einen Sensor. An den Fremdkörper
gewöhnt sich das Tier schnell. Unterdessen wird die Sensorik
unserer Moral gestört, ohne dass es uns ernsthaft kümmert. Die
Omnipräsenz von Technologie in unseren Lebenswirklichkeiten,
lässt niemanden ernsthaft aufbegehren. Klingt doch alles logisch.
Wir schützen auf diese Weise ein unberechenbares Lebewesen seiner
selbst willen. Das ist gewissermaßen ein göttlicher Dienst am
Tier; vom Menschen erdacht.


Mit den hinter der Vorschrift liegenden Motiven, die den Einsatz
dieser Technologie erzwingen, setzen wir uns lieber nicht
auseinander. Nicht, dass wir eine rechtsstaatlich legitimierte
utilitaristische Dystopie erkennen, die mit der Fiktion in
Arkangel bei Black Mirror Schritt halten könnte.


Es gibt bereits einen Markt für diese Art der Überwachung. Die
passenden Geschäftsmodelle liegen heute schon im Gewand bunter
Plastikuhren für Kinder in den Läden für
Telekommunikationsbedarf.


Ich habe die Befürchtung, es könne der Tag kommen, an dem wir das
maximal miniaturisierte Gadget an unseren Handgelenken schlucken
oder bereits pränatal injiziert bekommen. Auch wenn ich meine
Wanderungen mit dem Smartphone dann schon längst nicht mehr
aufzeichne.
--- Send in a voice message:
https://podcasters.spotify.com/pod/show/betablogr/message

Kommentare (0)

Lade Inhalte...

Abonnenten

15
15
:
: