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28.11.2019
1 Stunde 26 Minuten
Neuerdings wird in den Mitgliedsstaaten und auf Ebene der EU viel
davon geredet, die Europäische Union solle weltpolitikfähig werden,
sie solle als eine Großmacht auftreten und geopolitische Ziele
verfolgen. Nein, meint Reinhard Bütikofer im Interview mit Fokus
Europa, die EU solle nicht Großmachtpolitik betreiben, sondern die
regelbasierte multilaterale Ordnung verteidigen und ausbauen.
Reinhard Bütikofer ist seit 2009 Mitglied des Europäischen
Parlaments, bis November diesen Jahres war er Ko-Vorsitzender der
Europäischen Grünen, seit der Neukonstituierung des Europäischen
Parlaments ist er Mitglied in dessen Ausschuss für auswärtige
Angelegenheiten und Mitglied der Delegationen für die Beziehungen
zu den USA und zu China. Er hält eine Positionierung der EU
zwischen den USA und China für einen strategischen Fehler. Erstens
gebe es trotz aller Entfremdung von den USA und allem Befremden
über die US-Regierung keine Äquidistanz der EU zu den Vereinigten
Staaten einerseits und China andererseits. Mit den USA als
Demokratie und Rechtsstaat habe die EU ein gemeinsames
Wertefundament. China hingegen habe sich zu einem totalitären
Regime entwickelt, das seit einiger Zeit auch noch sein Modell der
(meist unfairen) Konkurrenz auf dem Weltmarkt und der totalitären
Kontrolle im Inneren zu exportieren beginne. Zweitens bestehe die
strategische Aufgabe der EU als Verbund kleiner und mittlerer
Staaten darin, ein Netzwerk mit anderen mittelgroßen und kleinen
Ländern auszubauen, die wie Japan, Kanada, Australien oder die
ASEAN-Staaten sich nicht zwischen den USA und China entscheiden und
ihrer jeweiligen Hegemonie unterwerfen wollen. Mit ihrer neuen,
erst noch in den Anfängen steckenden Konnektivitätsstrategie will
die EU zu diesen Ländern Verbindungen herstellen, die für die EU
vorteilhaft sind, die aber auch Raum lassen für die Interessen der
anderen Länder. Im Interview geht Reinhard Bütikofer Aspekte dieser
Konnektivitätsstrategie im Verhältnis der EU zu China, zu Russland
und zu anderen Ländern durch. Dabei betont er, dass die EU durchaus
von Chinas Seidenstraßenstrategie lernen könne. Die nehme nicht nur
Handelsinteressen, sondern auch die Infrastrukturbedürfnisse seiner
Handelspartner in Afrika, Asien, Südamerika und Südosteuropa in den
Blick. In Bezug auf Russland fordert Reinhard Bütikofer in erster
Linie eine gemeinsame europäische Haltung. Gegenwärtig sei vor
allem Dissonanz vernehmbar. So etwa in Bezug auf die europäische
Verteidigungspolitik, die gegenwärtig zwischen der (für die
nächsten Jahre illusorischen) Forderung nach einer europäischen
sicherheitspolitischen Souveränität einerseits und immer engeren
bilateralen Bindungen einzelner (meist osteuropäischer) Länder an
die Sicherheitszusagen der USA andererseits schwanke.
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11.09.2019
1 Stunde 46 Minuten
Griechenland hat ein Superwahljahr hinter sich. Kommunal-, Europa-
und nationale Wahlen haben die politische Landkarte deutlich
verändert. Das Bündnis der radikalen Linken Syriza, das 2015 an die
Macht kam, hat auf allen Ebenen gegenüber der konservativen Nea
Dimokratia (ND)verloren. Dennoch hat sich Syriza als einzig
nennenswerte Alternative zur ND halten können. Das Interview mit
Olga Drossou, der Leiterin der Heinrich Böll Stiftung Griechenland,
blickt zurück auf 10 Jahre Krise und Krisenmanagement und auf die
Ursachen der Krise, die bereits in den 90er Jahren bekannt waren.
Griechenlands politische Ökonomie passt nicht zu einem auf
Effizienz ausgerichteten gemeinsamen Markt und schon gar nicht zur
gemeinsamen Euro-Währung, die nach den Forderungen der
fortgeschrittensten Volkswirtschaften etwa Deutschlands oder der
Niederlande gestaltet wurde. Griechenlands Mitgliedschaft, wie auch
die Spaniens und Portugals, war nicht wirtschaftlich begründet,
sondern galt der demokratischen Stabilisierung nach Jahren der
Diktatur. Und sie galt geostrategischen Zielen. Das Wachstum, das
Griechenland bis zum Ausbruch der Krise dank europäischer Gelder
und billigen Euro-Krediten bis 2010 generierte, war ein "Wachstum
ohne Entwicklung". Die Krise und das zur Rettung des Euros in
Griechenland durchgesetzte Krisenmanagement der "inneren Abwertung"
hat Griechenland zu einer Modernisierung gezwungen, für die es
trotz besseren Wissens selbst keine demokratischen Mehrheiten
herstellen konnte. Daran hat auch die extreme politische
Polarisierung ihren Anteil, bei der die Opposition auch vernünftige
Maßnahmen der Regierung radikal ablehnt. Ohne einen Minimalkonsens
des Parlaments kann es jedoch keine eigenständige Modernisierung
geben. So erweist sich die von Anfang an umstrittene Mitgliedschaft
im Euro als Wette: Mit Reformen würde es gut gehen, ohne sie drohte
der Bankrott, den Europa um den Preis eines auferlegten
Modernisierungsprogramms verhindern würde. Am Ende des Interviews
hegt Olga Drossou die Hoffnung, dass Syriza aus 4 Jahren Regierung
gelernt hat und zu einer konstruktiven Oppositionsarbeit bereit
ist. Nur wenn sich Regierung und Opposition auf einen
Minimalkonsens verständigen, wird Griechenland sich wieder
eigenständig demokratisch regieren können.
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14.05.2019
1 Stunde 51 Minuten
Seit der Wahl der neuen italienischen Regierung im März 2018 hat
das Interesse an, um nicht zu sagen die Besorgnis über Italien
stetig zugenommen. Angesichts der offensichtlichen Spaltungslinien
in der EU wird man aber auch nicht davon sprechen können, dass
Italien eine Außenseiterposition innehabe. Eher hat Italien eine
marginalisierte Position innerhalb der Eurozone inne - und die
gegenwärtige italienische Regierungskoalition bringt radikal zum
Ausdruck, dass die italienischen Wähler und Wählerinnen mit dieser
Position nicht länger zufrieden sind. Im Interview mit Angelo
Bolaffi geht es um Italien als ein rebellisches Mitgliedsland der
EU, das im System der EU und der EWU nicht gut zurechtkommt, dass
sich aber Belehrungen und Vorschriften durch EU oder einzelne
Mitgliedsstaaten der EU verbittet. Angelo Bolaffi bekleidete
Professuren für Philosophie in Rom und an der Freien Universität
Berlin. Er hat viel für den Austausch politischer Ideen der Linken
zwischen Deutschland und Italien getan. Von 2007 bis 2011 leitete
er das Italienische Kulturinstitut in Berlin. Er lebt heute als
Prof. Emeritus für politische Philosophie in Rom, reist aber immer
wieder nach viel zu Vorträgen nach Deutschland. Als Mitglied der
Grünen Akademie ist er auch der Heinrich Böll Stiftung verbunden.
Im aktuellen italienischen Europawahlkampf wird die marginalisierte
Stellung Italiens sehr deutlich: Die Italiener wollen auf jeden
Fall in EU und Währungsunion bleiben, sind aber nicht bereit, die
dafür notwendigen Reformen und Kosten zu tragen. Die Mitgliedschaft
in der Währungsunion sollte diese Reformen auf technokratischem
Wege durch die EU erzwingen. Entsprechend sehen sich viele
Italiener heute eher als Opfer der EU. Weil es too big to fail ist,
gilt das Land als das größte Risiko für die Währungsunion. Zugleich
ergibt sich daraus für die italienische Politik aber auch ein viel
größerer Spielraum als beispielsweise für das kleine Griechenland,
das sich dem Diktat der inneren Abwertung und sozialer Kahlschläge
unterwerfen musste. Dieser Spielraum wird heute, so Bolaffi, von
einer proto-faschistischen, stark von den sozialen Medien geprägten
Bewegung auf der Suche nach dem europäischen Platz Italiens
genutzt.
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27.03.2019
1 Stunde 49 Minuten
Markus Sauerhammer vom Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland
kommt eigentlich aus der Landwirtschaft. Dort sah er, dass die
Renditeorientierung in die Irre führt. Für den kleinen Bauern und
sein kleines Kapital rechnet sie sich nicht und für die
Gesellschaft, die gute Qualität und keine Umweltschäden will, auch
nicht. So kam Markus Sauerhammer in die Gründerszene, wo sich
Menschen treffen und zusammenarbeiten, die zwei Fragen umtreibt:
Wie kann ich Alternativen zur herrschenden Wirtschaftsweise
entwickeln, die die Kapitalrendite gegenüber dem gesellschaftlichen
Mehrwert bevorzugt und oft sogar neue gesellschaftliche Probleme
erzeugt (Umwelt, Finanzkrisen etc); und wie kann ich meine Zukunft
selbst gestalten? Beide Fragen führten ihn und andere Gründer zur
Sozialen Ökonomie: Zu Unternehmen nicht in der Hand des Staates,
sondern in der Hand der Mitarbeiter/innen, die am Markt bestehen
sollen, sich aber am gesellschaftlichen Mehrwert orientieren. Es
geht um Sinn mit Gewinn. Andere nennen es New Work. Inzwischen gibt
es welt- und europaweit eine Bewegung der sozialen Ökonomie. Vor
allem junge Menschen begeistern sich dafür und Menschen in der
zweiten Lebenshälfte, die nach vielen Jahren im Hamsterrad nicht
mehr nur Geld verdienen, sondern etwas Sinnvolles tun wollen. Schön
für sie, könnte man denken. Die wollen sich also selbst
verwirklichen? Doch es geht um mehr: Es geht um die Lösung
dringender gesellschaftlicher Probleme durch Klimawandel, bei der
Gesundheitversorgung, bei Migration und Integration, durch die
Schere zwischen arm und reich. Es geht um Innovationen zur
nachhaltigen Lösung dieser Probleme. Es geht um gesellschaftlichen
Mehrwert. Innovationen werden doch von der Politik allerorten
beschworen und überall gefördert, könnte man einwenden. Ja, aber
eben nicht die Innovationen für den gesellschaftlichen Mehrwert.
Was sich nicht rechnet, bleibt liegen. Start Ups werden
bezuschusst, weil man von ihnen erwartet, dass sie nach einer Weile
teuer weiterverkauft werden. Um diesen Mehrwert zwischen
Startkapital und Verkaufserlös geht es der Politik. Soziale
Innovationen werden so aber nicht gefördert. Da sind andere Länder
viel weiter. Großbritannien zum Beispiel hat eine
Innovationsstiftung für die Lösung sozialer Probleme gegründet.
Frankreich will ihm folgen. Die EU macht mit ihren Länderberichten
auf die unterschiedlichen Entwicklungsniveaus der Sozialen Ökonomie
in den Mitgliedsländern aufmerksam. Ihre Methode der offenen
Koordinierung, wonach die Vorreiter die anderen nach sich ziehen
sollen, könnte bei der Entwicklung der Sozialen Ökonomie in
Deutschland hilfreich sein. Bei aller deutschen Herablassung
gegenüber dem am Brexit zerbrechenden Großbritannien: vom dort
erreichten Stand der sozialen Ökonomie und der britischen
Innovationspolitik könnte Deutschland viel lernen.
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20.01.2019
1 Stunde 43 Minuten
Am Anfang der europäischen Agrarpolitik stand der Hunger. Nach dem
Krieg war die Versorgung schlecht. Die gemeinsame europäische
Agrarpolitik (GAP) sollte den Bauern das Einkommen sichern, die
Produktivität steigern und den Menschen ausreichend Lebensmittel zu
vertretbaren Preisen liefern. So entstand die industrialisierte
Landwirtschaft. Die findet heute immer weniger Akzeptanz. Gegen sie
gehen seit bald 10 Jahren während der "Grünen Woche"-Agrarmesse in
Berlin Zehntausende mit der Parole "Wir haben es satt" auf die
Straße. Sie haben es satt, dass diese Landwirtschaft große Mengen
mit teilweise fragwürdiger Qualität zu sehr hohen öffentlichen
Kosten produziert. Denn sie kostet nicht nur viel Geld, verteilt
das Geld an die Großen und lässt die Kleinen verhungern. Indem sie
mit Pestiziden Biodiversität zerstört, Wasser und Grundwasser
belastet und zum Klimawandel beiträgt, verzehrt sie auch einen
immer größeren Teil der öffentlichen Allmende. Damit muss Schluss
sein, sagt die europäische Bewegung "Meine Landwirtschaft - save
our seeds". Sie fordert den ökologischen Umbau der Landwirtschaft
und die Änderung der GAP. Mit den 60 Mrd.Euro, die die EU jährlich
für die GAP ausgibt, soll eine Landwirtschaft finanziert werden,
die die Allmende durch Landschaftspflege, Grundwasserschutz,
Verzicht auf Pestizide, Entwicklung des ländlichen Raums,
Tierschutz und Erhaltung von Biodiversität pflegt statt
ausplündert. Das aber kostet, erläutert im Interview Christine
Chemnitz, die Expertin der Heinrich Böll Stiftung für
internationale Landwirtschaftspolitik. Sie widerspricht damit der
geläufigen Meinung, dass der riesige Agrarhaushalt der EU ruhig
gekürzt werden könne, wenn er doch nur Schaden stifte. Tierschutz
und gute Landwirtschaft kosten, wenn sie dem Gemeinwohl dienen
sollen. Die Kürzung des Budgets, die sich für die EU Finanzperiode
2021-27 abzeichne, sei genau das falsche Zeichen. Die Mehrzahl der
Menschen befürworte die europäische Förderung der Landwirtschaft,
wenn diese öffentliche Güter produziere. Das schlechte Ansehen der
europäischen Landwirtschaft sei keine Frage der Kosten, sondern der
Ziele, die mit ihr erreicht werden sollen. Gute Landwirtschaft
dürfe durchaus kosten. Das haben Länder wie die Niederlande oder
Dänemark längst erkannt, die den Spielraum der nationalen
Agrarpolitik sinnvoll nutzten. Nur die Regierungen Frankreichs,
Deutschlands und Polens hätten das noch nicht erkannt. Sie
blockieren den Umbau zu einer ökologisch ausgerichteten GAP.
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Über diesen Podcast
Gespräche über die europäische Idee
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