Episoden

Kurt Tucholsky: Krieg dem Kriege
26.02.2022
5 Minuten
Krieg dem Kriege Sie lagen vier Jahre im Schützengraben. Zeit, große Zeit! Sie froren und waren verlaust und haben daheim eine Frau und zwei kleine Knaben, weit, weit –! Und keiner, der ihnen die Wahrheit sagt. Und keiner, der aufzubegehren wagt. Monat um Monat, Jahr um Jahr … Und wenn mal einer auf Urlaub war, sah er zu Haus die dicken Bäuche. Und es fraßen dort um sich wie eine Seuche der Tanz, die Gier, das Schiebergeschäft. Und die Horde alldeutscher Skribenten kläfft: „Krieg! Krieg! Großer Sieg! Sieg in Albanien und Sieg in Flandern!“ Und es starben die andern, die andern, die andern … Sie sahen die Kameraden fallen. Das war das Schicksal bei fast allen: Verwundung, Qual wie ein Tier, und Tod. Ein kleiner Fleck, schmutzigrot – und man trug sie fort und scharrte sie ein. Wer wird wohl der nächste sein? Und ein Schrei von Millionen stieg auf zu den Sternen. Werden die Menschen es niemals lernen? Gibt es ein Ding, um das es sich lohnt? Wer ist das, der da oben thront, von oben bis unten bespickt mit Orden, und nur immer befiehlt: Morden! Morden! Blut und zermalmte Knochen und Dreck … Und dann hieß es plötzlich, das Schiff sei leck. Der Kapitän hat den Abschied genommen und ist etwas plötzlich von dannen geschwommen. Ratlos stehen die Feldgrauen da. Für wen das alles? Pro patria? Brüder! Brüder! Schließt die Reihn! Brüder! das darf nicht wieder sein! Geben sie uns den Vernichtungsfrieden, ist das gleiche Los beschieden unsern Söhnen und euern Enkeln. Sollen die wieder blutrot besprenkeln die Ackergräben, das grüne Gras? Brüder! Pfeift den Burschen was! Es darf und soll so nicht weitergehn. Wir haben alle, alle gesehn, wohin ein solcher Wahnsinn führt – Das Feuer brannte, das sie geschürt. Löscht es aus! Die Imperialisten, die da drüben bei jenen nisten, schenken uns wieder Nationalisten. Und nach abermals zwanzig Jahren kommen neue Kanonen gefahren. – Das wäre kein Friede.                                    Das wäre Wahn. Der alte Tanz auf dem alten Vulkan. Du sollst nicht töten! hat einer gesagt. Und die Menschheit hörts, und die Menschheit klagt. Will das niemals anders werden? Krieg dem Kriege!                           Und Friede auf Erden.
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Erich Kästner: Kennst du das Land?
13.02.2022
3 Minuten
Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn? Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen! Dort stehn die Prokuristen stolz und kühn in den Büros, als wären es Kasernen. Dort wachsen unterm Schlips Gefreitenknöpfe. Und unsichtbare Helme trägt man dort. Gesichter hat man dort, doch keine Köpfe. Und wer zu Bett geht, pflanzt sich auch schon fort! Wenn dort ein Vorgesetzter etwas will - und es ist sein Beruf etwas zu wollen - steht der Verstand erst stramm und zweitens still. Die Augen rechts! Und mit dem Rückgrat rollen! Die Kinder kommen dort mit kleinen Sporen und mit gezognem Scheitel auf die Welt. Dort wird man nicht als Zivilist geboren. Dort wird befördert, wer die Schnauze hält. Kennst Du das Land? Es könnte glücklich sein. Es könnte glücklich sein und glücklich machen? Dort gibt es Äcker, Kohle, Stahl und Stein und Fleiß und Kraft und andre schöne Sachen. Selbst Geist und Güte gibt's dort dann und wann! Und wahres Heldentum. Doch nicht bei vielen. Dort steckt ein Kind in jedem zweiten Mann. Das will mit Bleisoldaten spielen. Dort reift die Freiheit nicht. Dort bleibt sie grün. Was man auch baut - es werden stets Kasernen. Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn? Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen!
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Goethe: Harfenspieler
31.01.2022
54 Sekunden
Harfenspieler Wer nie sein Brot mit Tränen aß, Wer nie die kummervollen Nächte Auf seinem Bette weinend saß. Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte. Ihr führt ins Leben uns hinein, Ihr lasst den Armen schuldig werden, Dann überlasst ihr in der Pein: Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.
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Rilke: Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort...
09.01.2022
79 Sekunden
Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort. Sie sprechen alles so deutlich aus: Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus, und hier ist Beginn und das Ende ist dort. Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott, sie wissen alles, was wird und war; kein Berg ist ihnen mehr wunderbar; ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott. Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern. Die Dinge singen hör ich so gern. Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm. Ihr bringt mir alle die Dinge um.
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Rilke: Da stieg ein Baum... (Sonette an Orpheus, I.1)
03.01.2022
2 Minuten
Da stieg ein Baum. O reine Übersteigung! O Orpheus singt! O hoher Baum im Ohr! Und alles schwieg. Doch selbst in der Verschweigung ging neuer Anfang, Wink und Wandlung vor. Tiere aus Stille drangen aus dem klaren gelösten Wald von Lager und Genist; und da ergab sich, daß sie nicht aus List und nicht aus Angst in sich so leise waren, sondern aus Hören. Brüllen, Schrei, Geröhr schien klein in ihren Herzen. Und wo eben kaum eine Hütte war, dies zu empfangen, ein Unterschlupf aus dunkelstem Verlangen mit einem Zugang, dessen Pfosten beben, - da schufst du ihnen Tempel im Gehör.   Aus: Rainer Maria Rilke. Die Sonette an Orpheus, Erster Teil (1922) Gelesen von Benjamin Lucas (C) 2021
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Über diesen Podcast

Lyrik zum Hören. Gelesen von Benjamin Lucas. Jeden Sonntag um 20 Uhr.

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