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Episoden
09.07.2021
5 Minuten
Hier an der Grenze konnte man früher mit Kaffee bare
Münze machen.
"Genau hier auf holländischer Seite, steht seit der Zeit vor dem
Zweiten Weltkrieges ein Haus, im Volksmund schon immer „Et
Männke“ genannt. So hießen der Laden und die Gaststätte, die vom
Geschwisterpaar Harry und Mie betrieben wurden. Und dort gab es
so herrlichen und günstigen Kaffee, wie man ihn bei uns nie
bekommen hätte.
Das Problem: früher war der Grenzübertritt an dieser Stelle
verboten. Nach Holland durften wir nur am offiziellen
Grenzübergang und nur mit gültigem Reisepass einreisen – nach
einer gründlichen Kontrolle der Zöllner versteht sich!
Das war aber auch der Grund, weshalb das Geschäft bei Harry und
Mie so florierte. An der Rückseite des Hauses gab es nämlich ein
Loch in der Hecke und eine unscheinbare Hintertür, durch die wir
alle regelmäßig ein- und ausgingen. Bis 1953 war die Kaffeesteuer
ja so hoch, zuletzt 10 DM pro Kilo, dass wir uns unseren Kaffee
bald nicht mehr hätten leisten können – hätte es da nicht „Et
Männke“ gegeben.
Eine Geschichte ist besonders hängen geblieben: Seit Generationen
war es hier in Effeld Brauch, dass am Kirmesmontag die
Schützenbruderschaft nach der Messe gemeinsam über die Grenze
nach „Et Männke“ marschierte. Einmal, um den billigen Genever zu
trinken, aber auch um ordentlich Geld zu sparen! Zudem sollten
Harry und Mie etwas verdienen, da sie sich beim alljährlichen
Effelder Königsball immer sehr spendabel zeigten.
An einem Montagmorgen vor einigen Jahrzehnten war es mal wieder
so weit. Der Schützenmajor wunderte sich noch über die große
Beteiligung, denn sogar die halbe Jungfrauen-Kongregation
marschierte im Gefolge. Nach etwa 2 Stunden bei Harry und Mie
machten wir uns alle dann wieder auf den Rückweg.
Die Stimmung war famos: die Musik bliess aus allen Knopflöchern.
Jeder Schütze hatte ein Mädchen im Arm und der aufmerksame
Beobachter musste feststellen, dass sich alle in dieser kurzen
Zeit sehr verändert hatten. Wie pralle Hafersäcke sahen die Rock-
und Hosentaschen aus. Die Federhüte saßen erstaunlich hoch auf
den Köpfen und die Damen hatten in den zwei Stunden merklich an
Körperform zugenommen. Mühsam schleppten zwei Schützenkameraden
die dicke Trommel und die Schläge auf dem Kalbsfell klangen
auffallend dumpf.
An der Grenze am Anfang des Dorfes standen drei Zöllner. Sie
waren schon seit einiger Zeit in Effeld stationiert und kannten
den alten Brauch. Der Schützengeneral erfasste die Situation
blitzartig. Als die Spitze des heiteren Schützenzuges bei dem
Zöllnertrio angelangt war, erscholl sein Kommando „Achtung, die
Augen links“.
Und mit pochendem Herzen, aufgeblähten Taschen und spannenden
Röcken marschierte die Schützen im Stechschritt an den dreien
vorbei. Den Zöllnern schwoll bei dieser Achtungsbezeugung die
Brust! Der eine zwirbelte seinen Schnäuzer, der andere legte
gelassen die Hand an den Mützenschirm zum Dank und Gruß.
In Effeld angekommen, machten wir Schützen Halt an der
Wirtschaft. Kaum war das „Weggetreten“ verklungen, da stob der
ganze Zug wie eine erlöste Herde auseinander. Alle eilten nach
Hause und verstauten das wertvolle Gut. Nachmittags waren alle
Schützen und ihre Bräute dann wieder zur Stelle. Diesmal jedoch
gestriegelt und schlank und rank wie eh und je.
In allen Häusern hat es während dieser Kirmes besonders lieblich
nach Kaffee geduftet. Die Zöllner kamen abends ebenfalls zur
Kirmes und wurden natürlich von der Schützenbrüderschaft
ausgiebig ausgehalten."
Lust auf mehr? Dann hör Dir auch gleich noch die anderen
Geschichten an! Oder erlebe sie einfach selbst auf Deiner Tour
zwischen der Quelle im Hohen Venn bei Botrange in Belgien und der
Mündung in die Maas bei Roermond in den Niederlanden.
Bis bald und eine gute Fahrt für Dich auf dem RurUfer-Radweg!
Infos und Tipps für Deine individuelle Tour auf dem
RurUfer-Radweg findest Du auf www.rurufer-radweg.de
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08.07.2021
6 Minuten
Ich bin Ingenieur, Architekt und Forstwirt – alles in
einem.
"Gefällt Dir meine Arbeit? Immerhin habe ich in der Gegend hier
schon einiges bewegt und einige meiner Bauwerke sind ja durchaus
bemerkenswert. Wobei ich zugeben muss, dass nicht alles von mir
ist: mein Großvater war 2005 der erste, der hier in der Gegend
seit langer Zeit mal wieder Zahn angelegt hat. Und mein Großvater
war es auch, der mir beigebracht hat, was es heißt ein Biber zu
sein: nämlich Ingenieur, Architekt und Forstwirt – alles in
einem.
Immerhin analysiere ich ganze Flusssysteme, um zu prüfen, wo ich
mit meiner Familie Dämme errichten muss, damit Wasser aufgestaut
wird und wir unsere Burg bauen können. Das ist gar nicht so
einfach, denn das Wasser muss so tief sein, dass wir problemlos
darin schwimmen können, und der Teich auch im Winter nicht bis
zum Boden durchfriert. Das ist besonders wichtig, da der Eingang
zu unserer Burg immer unter Wasser liegt. Einerseits sind wir so
vor Angreifern geschützt und können andererseits auch im Winter
noch nach Knabbereien tauchen.
Für unsere Bauprojekte beschaffen wir uns übrigens auch die
Materialien selbst: Das heißt Bäume auswählen, fällen,
zerkleinern und alles bis zum Damm oder der Burg schleppen. Das
ist teilweise echt ganz schön viel Arbeit, daher naschen wir auch
schon mal den ein oder anderen jungen Trieb zwischendurch.
Übrigens – neben euch Menschen sind wir Biber die einzigen
Säugetiere, die so aktiv in die Natur eingreifen! Ob das
Konfliktpotential hervorbringt? Na und ob! Aber mein Großvater
hat mir einmal beigebracht: actio = reactio. Sprich: jede Kraft
erzeugt eine Gegenkraft.
In meinem Fall bedeutet das zwei Dinge: Wenn ich aus einem
fließenden Bach einen Teich mache, dann vertreibe ich zwar
Libellen, die auf Fließgewässer angewiesen sind. Aber
andererseits freuen sich Arten wie der Eisvogel über steile
Uferwände für ihre Brutröhren. Diese entstehen, wenn ich das Ufer
so lange untergrabe, bis es abrutscht. Wie ihr seht, sorge ich
ganz nebenbei für einen steten Wandel in der Natur. Die
verkraftet das in der Regel auch wirklich gut.
Eine andere Spezies sieht die Sache hingegen etwas weniger
entspannt: Bauern oder Gemeindearbeitern zum Beispiel. Die
beschweren sich nämlich manchmal, weil ein Radweg einzustürzen
droht, ein Acker plötzlich ein paar Quadratmeter kleiner oder gar
überflutet wird. Aber hey, so ist das, wenn wir uns hier im Kreis
so eng auf den Pelz rücken.
Allerdings zeigen mir die Kollegen vom Umweltamt mittlerweile,
welche Bäume tabu sind und binden Metallgitter drumherum, spannen
Elektrozäune oder bemalen die Stämme der Bäume mit einem Anstrich
aus Leim und Quarzsand. „Wöbra“ nennen sie das – das schmeckt
echt nicht gut und der Sand quietscht auch noch fürchterlich
zwischen den Zähnen: Jedenfalls klappt das ganz gut und wir
werden uns so langsam einig, wer was darf und was nicht.
Manchmal, wenn wir überhaupt keine gemeinsame Lösung finden
können, dann kommt es aber auch schon mal vor, dass ich
umgesiedelt werde. Dorthin, wo es dann für alle Beteiligten
entspannter ist. Das Umsiedeln scheint hier in der Region ja auch
nichts Ungewöhnliches zu sein, wie mir die Leute aus Pleusshütte
und Inden erzählt haben.
Mir und meiner Familie gefällt es jedenfalls super hier an der
Rur. Das ist wirklich ein traumhaft schönes Zuhause und mit den
Nachbarn werden wir uns bestimmt auch irgendwann einig. So, ich
muss dann auch mal wieder. War nett mit Ihnen zu plaudern. Ach
und wenn Sie die Augen offenhalten, sehen Sie bestimmt eines
unserer Bauwerke oder zumindest Spuren unserer Arbeit. Sie wissen
ja: wo genagt wird, fallen Späne."
Bis bald und eine gute Fahrt für Dich auf dem RurUfer-Radweg!
Infos und Tipps für Deine individuelle Tour auf dem
RurUfer-Radweg findest Du auf www.rurufer-radweg.de
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07.07.2021
6 Minuten
Die Rur als Gewässer erfährt jetzt einen erneuten Wandel,
der sie wieder dahin zurückbringen soll, wo sie einst gewesen
ist: leicht, unbeschwerlich, natürlich.
"Als ich noch ein Kind war, damals in den 1940er Jahren, da war
die Rur noch ein ganz anderer Fluss. In vielen Kurven schlängelte
sie sich ganz wild durch die Region, hatte klare Buchten und
Windungen und brachte mal viel und mal weniger Wasser mit sich.
Im Sommer, wenn die Rur unter der heißen Sonne und mit nur wenig
Wasser ganz langsam dahinfloss, waren alle Kinder der Umgebung am
Wasser. Wir haben hier alle in den seichten Stellen des Flusses
das Schwimmen gelernt.
Als wir größer waren, sind wir dann an den tieferen Stellen sogar
von Bäumen aus hineingesprungen. Mein Vater hat mir damals an den
Wochenenden hier das Angeln beigebracht. Wir haben damals sogar
noch Lachse gefangen, stellen Sie sich das mal vor.
Im Winter, als die Rur regelmäßig über die Ufer trat und die
angrenzenden Wiesen meterweit unter Wasser setzte, verdienten wir
uns an den Wochenenden und nach der Schule auch ein paar Mark mit
dem Hochwasser dazu: weil das Wasser dann manchmal bis zum
Ortsrand reichte, konnten wir ganz einfach die Autos der Nachbarn
waschen, ohne Wassereimer schleppen zu müssen.
Und wenn die überschwemmten Wiesen zugefroren waren, nutzen wir
die natürlich, um auf der Eisfläche zu „höscheln“. So nannten wir
das damals, wenn wir mit viel Anlauf und unseren Schuhen über das
Eis gerutscht sind. Schlittschuhe hatten damals ja noch die
wenigsten Kinder. Aber Spaß hat es auch so gemacht.
Aber die Rur war damals natürlich nicht nur ein Spielparadies für
uns Kinder. In den Überschwemmungsgebieten haben die Korbmacher
der Region ihre Weiden angebaut. Die prägten damals die ganze
Landschaft und lieferten ihnen die Rohstoffe für ein gutes
Auskommen.
Weil die Rur mit ihren vielen Überschwemmungen aber so
unberechenbar war, stellte sie für die Menschen, die hier am
Fluss lebten oder die Handwerker, die hier ihre Werkstätten
hatten, aber auch schon immer eine Bedrohung dar.
Meinem Onkel ist das noch öfters passiert. Der war einer dieser
Korbmacher hier an der Rur. Der kam im Frühjahr oft nicht mehr in
seine Werkstatt, weil die einen Meter unter Wasser stand. Seine
fertigen Waren musste er immer auf den Dachboden bringen um sie
dort sicher aufbewahren zu können.
Und um dieses Risiko einzudämmen, wurden Anfang des 20.
Jahrhunderts die Rur dann stark verändert. Im Oberlauf haben sie
Talsperren gebaut, im Mittel- und hier im Unterlauf den einst so
wilden Flussverlauf begradigt, überall haben sie Wehre und kleine
Staustufen installiert und oben drauf die Rur dann auch noch
eingedeicht und in ein noch engeres Korsett gezwängt.
Bei Hochwasser konnte das Wasser auf diese Weise zwar schneller
abgeführt, die saisonalen Schwankungen durch die Stauseen
ausgeglichen und dort, wo früher Feuchtwiesen und Auen waren
konnten die Flächen nun als Felder für die Landwirtschaft genutzt
werden.
Aber das war natürlich auch das Ende der wilden Rur, wie ich sie
aus meiner Kindheit kannte. Darum gibt es heute auch keine Lachse
mehr: denn wegen der vielen Wehre können die nicht mehr zum
Laichen bis in den oberen Rurlauf wandern.
Aber, so langsam merken die Leute, dass das, was man früher
gemacht hat auch nicht immer gut war und denken heute wieder
andersherum: Der Uferlauf wird wieder endgradig, ehemalige
Altarme wieder angeschlossen und sogar Wehre werden vollständig
zurückgebaut, damit sie für die Lachse und andere Flusstiere
keine Hindernisse mehr darstellen.
Und durch diesen zweiten Wandel, den die Rur nun durchläuft, kann
ich mit meinen Enkeln die natürliche Schönheit der Rur wieder
kennenlernen – beim Angeln zum Beispiel. Und Dank der
Renaturierung nisten nun hier auch wieder andere Vögel, wie
beispielsweise der Eisvogel."
Mehr zum RurUfer-Radweg findest Du auf www.rurufer-radweg.de
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07.07.2021
9 Minuten
Nach gut 400 Jahren kann ich mich in meiner Residenzstadt
Jülich immer noch zu Hause fühlen.
"Ich darf mich kurz vorstellen: Wilhelm V., Herzog von Jülich,
Kleve und Berg, Graf von der Mark und Ravensberg und Herr von
Ravenstein – um nur einige meiner wichtigsten Titel zu nennen.
Nach meinem Tod 1592 nannte man mich übrigens auch „der Reiche“.
Bereits im Jahr 1538 wollte ich die strategisch bedeutende, an
dem Fluss Rur liegende Stadt Jülich, zu einer starken Festung
ausbauen.
Denn die mittelalterliche Stadtmauer, von der noch der Hexenturm
am westlichen Ende der Innenstadt kündet, war spätestens seit dem
frühen 16. Jahrhundert nicht mehr zur Verteidigung gegen die nun
schwere Artillerie mit ihren großen Geschützen geeignet.
Ich hatte gerade mit dem in den Niederlanden tätigen Architekten
Alessandro Pasqualini aus Bologna Kontakt aufnehmen lassen, als
die Stadt Jülich Pfingsten 1547 zu einem großen Teil ein Raub der
Flammen wurde. Für den tüchtige Pasqualini aber tatsächlich eine
glückliche Fügung, denn so konnte er durch diese Zerstörung
Jülich nun völlig neugestalten.
Er entwarf neben der Zitadelle mit dem Residenzschloss auch
gleich eine fünfeckige Stadtbefestigung und eine innerstädtische
Bebauung auf einem weitgehend neuen Grundriss. Im Zentrum der
neuen Stadt plante er einen großen Platz – den heutigen
Marktplatz -, der den Soldaten der Festung zugleich als
Aufmarschplatz dienen sollte. Von hier aus konnte man auch in
allen Himmelsrichtungen auf die Festungswälle blicken, welche die
Stadt vollständig umgab.
Die Straßen legte der findige Architekt so breit an, dass Truppen
schnell und einfach von einem Ende der Festung zum anderen
gelangen konnten. Die zweigeschossigen Häuser mussten weitgehend
aus Stein errichtet werde, damit es nicht noch einmal zu so einem
verheerenden Brand kommen konnte. Zudem sollten die Dachtraufen
parallel zur Straße und die Häuser keinerlei Vor- und Rücksprünge
aufzeigen. Denn niemand sollte in den Straßen Deckung finden
können. Und von der neuen Zitadelle aus, konnte schließlich die
gesamte Stadt überwacht werden.
Nicht, dass ich meinen Untertanen nicht traute, aber die
Sicherheit ging vor. Zudem unterstrich die mächtige Zitadelle mit
ihren Wällen und Bastionen meine herausgehobene Stellung im
Staat.
Nachdem mein Sohn, Herzog Johann Wilhelm I., aber im Jahr 1609
gestorben war, ohne einen Nachkommen gezeugt zu haben, brach ein
heftiger Streit um die Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg aus. Zwei
Mal wurde die Festung Jülich belagert und eingenommen.
So kam es, dass sämtlicher höfischer Glanz aus Jülich verschwand
und hier von nun an für mehr als drei Jahrhunderte das Militär
das Sagen hatte. Die Festung wurde immer weiter ausgebaut, um
eine Antwort auf die sich stetig verbessernde Waffentechnik zu
finden. Zahlreiche Vorwerke entstanden und um 1800 bauten die
Franzosen auf der linken Rurseite sogar ein völlig neues
Festungswerk, den Brückenkopf, zur Sicherung des Rurübergangs.
Nach 1815 steckten die Preußen dann noch einmal viel Geld in die
Festung. In der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Festung
Jülich jedoch die besten Zeiten hinter sich. Deshalb beschloss
man 1859, den Festungsstatus von Jülich aufzuheben. Die
Stadtbefestigung wurde weitgehend geschleift. Zitadelle und
Brückenkopf blieben aber bestehen, da man sie als Übungsgelände
für eine Unteroffizierschule nutzte. Die innerstädtische Bebauung
aber behielt die Grundstruktur des 16. Jahrhunderts.
In den 1930er Jahren wurde dann eine umfassende Sanierung der
Innenstadt geplant. Der Aachener Professor für Städtebau, René
von Schöfer, hatte erkannt, was meinem Architekten Pasqualini mit
der idealen Stadtanlage des 16. Jahrhunderts für ein
herausragender Entwurf gelungen war.
[...]
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RurUfer-Radweg findest Du auf www.rurufer-radweg.de
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06.07.2021
5 Minuten
Erst meine Heimat, dann der Tagebau, in 20 Jahren
Schiffe: So greifbar und doch so abstrakt wie hier, ist der
Begriff „Wandel“ wohl an kaum einem anderen Ort.
"Dort vorne, direkt vor Dir, wurde ich 1972 geboren: mitten im
Loch des Tagebaus. Naja zumindest dort, wo einst das Dorf
Alt-Inden stand. Denn dort bin ich aufgewachsen, zur Schule
gegangen und habe meinen ersten Freund heimlich hinter der alten
Turnhalle geküsst.
Schon seit den 50er Jahren wird hier in Inden Braunkohle
abgebaut. Mein ganzes Leben schon ist er da gewesen, der Tagebau.
Ich kenne diese Landschaft gar nicht ohne. Am Anfang wurde noch
dort gegraben, wo lediglich Wälder, Wiesen und Felder waren; im
Laufe der Zeit mussten dem Tagebau dann aber auch Orte weichen –
zehn insgesamt – und mit ihnen natürlich auch die Menschen, die
dort wohnten. Das Dorf in dem ich als kleines Kind aufgewachsen
bin und mit dem meine gesamten Kindheits- und Jugenderinnerungen
verbunden sind, war eines von diesen zehn. 1989 wurden wir
umgesiedelt; das letzte Dorf, Pier, verschwand 2015.
Die Region hat eine lange Bergbauhistorie, viele Arbeitsplätze
und ein Großteil des Wohlstandes, den sich die Leute hier
erarbeitet haben, sind und waren untrennbar mit dem Tagebau
verbunden. Er hat der Region viel gegeben! Und als die Umsiedlung
im Raum stand gefiel natürlich vielen der Gedanke, alt gegen neu
zu tauschen: in neu gebauten Häusern und neu angelegten
Siedlungen zu wohnen.
Aber dennoch kann ich nicht verhehlen, dass die Umsiedlung auch
mit Leid verbunden war. Es ist ja nicht nur so, dass Menschen nur
an materiellen Dingen hängen: an ihrem Zuhause, ihrer Dorfkneipe
oder an ihrer Kirche. Nein, auch gerade die menschlichen
Kontakte: die Nachbarn, die Dorfgemeinde, die Freunde aus dem
Fußball- oder Schützenverein. All das, war mit der Umsiedlung
Geschichte.
Meine Eltern, die mit mir umgesiedelt waren, hat es besonders
hart getroffen. Mit viel Herzblut hatten sie ihr altes Häuschen
in Alt-Inden aufgebaut. Es war vielleicht nicht sehr modern, aber
es genügte ihnen und es war ihr Zuhause. Mit der Umsiedlung
bekamen sie zwar eine gute Entschädigung, für die Errichtung
eines neuen Hauses mussten sie sich aber dennoch erneut
verschulden.
So richtig angekommen sind sie in ihrem neuen Zuhause auch heute
noch nicht. Neues Haus, neue Wege, neue Nachbarn, an so etwas
gewöhnt man sich im Alter ja nicht mehr so schnell.
Bei mir ist das anders: Ich erwische mich zwar immer noch dabei,
wie Wehmut in mir aufsteigt, wenn ich einen Blick auf das große
Loch werfe und an meine alte Heimat denke, aber den Wandel habe
ich schon deutlich besser weggesteckt als meine Eltern. Ich war
ja noch jünger und habe das anders verarbeitet, im Kopf, im
Herzen und in der Seele.
Und meine Kinder und Enkel? Die kennen es kaum mehr anders, für
sie ist Inden/Altdorf – der Ort in dem wir heute wohnen – ihre
Heimat.
Je länger es her ist, desto eher begreifen auch meine Eltern,
dass der Wandel hier noch lange nicht vorbei ist und so langsam
neue Zeiten anbrechen.
In 20 Jahren stehen wir hier nämlich direkt am Ufer eines Sees.
Wenn der Tagebau eingestellt ist, wird dieses riesige Loch mit
Wasser gefüllt und sich zum größten künstlichen Freizeitsee in
Nordrhein-Westfalen entwickeln. Ab 2035 wird der See
voraussichtlich schon genutzt werden können und 2065 soll dann
der endgültige Pegelstand erreicht sein. Baden, Segeln, am Strand
liegen und den Blick über das Wasser schweifen lassen – all das
wird dann hier am „Indeschen Ozean“ möglich sein!
Der See wird zu einem neuen Ankerpunkt für die ganze Region mit
hohem Freizeitwert und gänzlich neuen Perspektiven der Landschaft
– und damit sicher auch zu einem großen Pflaster für die Seelen
der Leute, die durch den Tagebau so vieles aufgeben mussten."
Infos und Tipps für Deine individuelle Tour auf dem
RurUfer-Radweg findest Du auf www.rurufer-radweg.de
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Über diesen Podcast
Die Rur hat über die Jahrhunderte viel erlebt und beeindruckende
Geschichte(n) zu erzählen. Als Zeitzeugin weiß die Rur wie es ist,
immer in Bewegung zu sein. Daher steht sie als Sinnbild für die
Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft der erlebnisreichen
Region, die sie verbindet. Hier im Podcast sowie an den insgesamt
19 Rast- und Erlebnisstationen auf Deiner Tour auf dem
RurUfer-Radweg werden die vielfältigen Geschichten des Flusses und
der Landschaften für Dich wieder lebendig. Infos und Tipps für
Deine individuelle Tour auf dem RurUfer-Radweg findest Du auf
www.rurufer-radweg.de
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