Explosion der Roburit Fabrik in Witten-Annen

Explosion der Roburit Fabrik in Witten-Annen

14 Minuten

Beschreibung

vor 19 Jahren

Ausstellung erinnert an Explosion der Roburit-Fabrik vor
100 Jahren


Am Abend des 28. November 1906 brach im Mischgebäude der Wittener
Roburit-Fabrik ein Feuer aus. Kurze Zeit später erschütterten
zwei gewaltige Explosionen den Stadtteil. Die Fabrik, die
ausgerechnet Sicherheitssprengstoffe für den Bergbau herstellte,
flog in die Luft. 41 Menschen kamen ums Leben, mehrere hundert
wurden verletzt und über 2000 obdachlos. 100 Jahre später
erinnert der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in seinem
Westfälischen Industriemuseum Zeche Nachtigall mit der
Ausstellung „Sprengstoff!“ (24.9.06 - 28.1.07) an das Ereignis.
„Die Katastrophe war nicht nur ein lokales Ereignis, sie löste im
gesamten Kaiserreich Bestürzung aus“, so Projektleiterin Ingrid
Telsemeyer bei der Vorstellung der Schau am 22. September in
Witten.
Über 120 Exponate hat das Ausstellungsteam zusammengetragen und
in Szene gesetzt; mehr als die Hälfte davon sind Leihgaben. Die
größte unter ihnen ist die Annener Feuerglocke, die damals die
Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr zum Einsatz rief.
Unmittelbare Eindrücke aus der Zeit der Katastrophe vermitteln
mehr als 40 Ansichtspostkarten vom Unglücksort sowie Plakate mit
Hilfsangeboten. Zentrales Exponat ist ein repräsentatives
Fotoalbum der Fabrikbesitzer aus dem Jahr 1903, in das später
Unglücksfotos eingeklebt wurden. Jahre nach der Explosion
gelangte es in den Besitz des Polizisten und Unglücksopfers
Ludwig Wahl. Sein Gehör wurde durch die enorme Druckwelle schwer
geschädigt, und er erhielt 1909 eines der ersten Hörgeräte, die
es auf dem Markt gab. Die Kosten von 90 Mark wurden aus den
reichsweit gesammelten Spendengeldern erstattet. „Die Geschichte
von Ludwig Wahl ist ein typisches Beispiel dafür, wie wir den
Blick in der Ausstellung immer wieder auf einzelne Menschen
lenken“, so Ingrid Telsemeyer.
Einen anschaulichen Eindruck von Größe und Lage der Fabrik
vermittelt ein Modell, das in den Werkstätten des
LWL-Industriemuseums nach historischen Plänen und Fotografien
gebaut wurde. Feuerwehr- und Polizeiutensilien, medizinische
Hilfsmittel wie Krücken und Beinprothesen, historische
Fotografien und andere Dokumente ergänzen die Schilderungen von
Zeitzeugen. Über Hörstationen vermitteln sie einen lebendigen
Eindruck vom Verlauf des Unglücks und von den Debatten um die
Ursache und die juristische und moralische Schuld.
Medien-Stationen regen zum Nachdenken über die eigene Einstellung
zum Thema an.


Das umfangreiche Begleitprogramm (s.u.) reicht von Vorträgen über
Sicherheitstrainings mit der Feuerwehr Witten bis zu einer
Tagung. Die Ausstellung beschränkt sich aber nicht auf die
Katastrophe allein. „Wir nehmen auch die gesellschaftlichen
Reaktionen auf das Unglück in den Blick“, betont Telsemeyer.
Unter den Überschriften „Sensation und Solidarität“ sowie
„Erinnern und Vergessen“ geht es um die Zeitungsberichterstattung
zum Unglück, um Angst, Anteilnahme und Hilfsbereitschaft der
Menschen sowie die Aufarbeitung des Falls durch die Gerichte bis
hin zur späteren Erinnerungskultur. „Zu den Jahrestagen war das
Unglück in Witten immer wieder präsent. Heute erinnert in Witten
nur noch wenig an das große Unglück. Jetzt nach 100 Jahren wurde
die Katastrophe für die Ausstellung erstmals gründlich
erforscht“, erläutert Dr. Martina Kliner-Fruck, Leiterin des
Stadtarchivs Witten, das zahlreiche Dokumente zur Ausstellung
beisteu-erte. Das Stadtarchiv, die Bundesanstalt für
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund sowie der
Geschichtsverein Annen sind Kooperationspartner des Projektes.


Am Ende zieht die Schau auch Parallelen zur heutigen
Katastrophenbewältigung und den nach wie vor vorhandenen Risiken
der industriellen Produktion. Telsemeyer: „Jüngere Unglücke wie
Bhopal, Tschernobyl oder die Explosion in der Feuerwerksfabrik im
niederländischen Enschede im Mai 2000 zeigen, dass das Risiko
einer Katastrophe heute so aktuell wie damals ist.“


Gast: Ingrid Telsemeyer


Moderation: Anna Kopetsch

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