Weihnachtsmännlein, Deutschlandfunk 28. Dezember 2021

Weihnachtsmännlein, Deutschlandfunk 28. Dezember 2021

4 Minuten

Beschreibung

vor 2 Jahren

Vor einigen Jahren kam ich zu einem Gespräch zweier Mütter hinzu.
Es war kurz vor Weihnachten. Sie unterhielten sich darüber, dass
ihre Kinder langsam in ein Alter kämen, in dem sie nicht mehr
glaubten, dass „das Christkind“ die Weihnachtsgeschenke bringe.
Schon die Geheimhaltung werde immer schwieriger. Und die
Plausibilität des Schornsteins, durch den die Geschenke in den
ansonsten verschlossenen Raum kommen. „Was sagt man denn den
Kindern da?“, fragte eine der beiden mich.


„Ein solchen Humbug haben uns unsere Eltern nie beigebracht!“,
hätte ich fast gesagt. Fand das dann aber doch ein wenig grob und
für den weiteren Verlauf des Gesprächs nicht unbedingt hilfreich.
„Dass das Christkind die Geschenke bringt, habe ich ehrlich
gestanden nie geglaubt.“ Sage ich stattdessen. Die unsägliche
Sache mit dem Schornstein spreche ich erst gar nicht an.


Bei uns zu Hause war das Weihnachtsfest immer das Geburtsfest
Jesu. Ein großer Salon mit einer doppelten Schiebetür war schon
Tage vorher mit einer roten Schleife um beide Knäufe
verschlossen. Wenn wir Kinder aus der nachmittäglichen
Christmette kamen, mussten wir noch ein wenig warten bis dann die
Eltern die Glocke läuteten und wir „Ihr Kinderlein kommet“
singend ins Weihnachtszimmer einzogen. Aus einer alten
Lutherbibel aus dem 18. Jahrhundert las mein Vater das
Weihnachtsevangelium. Dann wurde noch mal gesungen – ich glaube,
es war meistens die unvermeidliche „Stille Nacht“ – und die
Bescherung begann. Aber wenn ich heute an meine Kindheit
zurückdenke, dann wusste ich immer, dass die Geschenke von den
Eltern und Großeltern, den Paten und anderen Verwandten, später
dann auch von den Geschwistern kamen.


Etwas anderes hatte bei uns zuhause auch nie jemand behauptet.
Der „Weihnachtsmann“, die aufgeklärt-säkulare Variante des hl.
Bischofs Nikolaus, der sich als Werbeträger von Coca-Cola der
Erinnerung der westlichen Welt einprägen sollte, kam in meiner
Kindheit nicht vor. Ich fand diese himmlische pädagogische
Hilfsinstanz auch immer irgendwie gruselig. Und auch das
„Christkind“– gewissermaßen zum „Weihnachtsmännlein“ geworden –
wurde nicht als Absender oder Lieferservice unserer Geschenke
herangezogen. Es durfte einfach nur Geburtstag haben.


Ich habe mich in jenem Gespräch kurz gefragt, ob ich vielleicht
ein Spielverderber bin. Vielleicht. Aber ich hatte das Gefühl,
ich müsste einer sein. Wir dürfen Kindern keinen Unsinn erzählen.
Vor allem dann nicht, wenn es um heilige Dinge geht und um Dinge,
die wir glauben sollen, weil sie wahr sind.


An Weihnachten feiert die Christenheit nicht die sagenhafte
Geburt eines göttlichen Kindes, das unsere menschlichen Wünsche
erfüllt. Die Christen feiern die Geburt einer historischen Person
zur Zeit des römischen Kaisers Augustus, die auch außerhalb
christlicher Quellen außergewöhnlich gut bezeugt ist. In diesem
Kind erkennen Menschen, dass Gott selbst die Bühne des Dramas der
Weltgeschichte betritt.


Dieses Kind kommt mit leeren Händen. Es liegt „nackt und bloß in
einem Krippelein“, wie es in einem alten Weihnachtslied heißt.
Dieses Kind bringt gar keine Geschenke. Es ist vielmehr selbst
das Geschenk. In diesem Kind macht Gott selbst sich zu einem
Geschenk für die Menschen. Und alles Schenken zu Weihnachten hat
ursprünglich den Sinn, uns daran zu erinnern, dass Gott sich uns
Menschen zum Geschenk macht. „Wie soll ich dich empfangen und wie
begegn‘ ich dir?“ dichtet Paul Gerhard im Weihnachtsoratorium von
Johann Sebastian Bach.


Für mich ist die entscheidende Frage zu Weihnachten nicht, was
ich diesem oder jenem Menschen schenken soll. Die entscheidende
Frage scheint mir zu sein, ob wir bereit sind, uns mit der
Gegenwart des göttlichen Menschenkindes beschenken zu lassen,
dessen Geburtstag die Christen an Weihnachten feiern.


Fra' Georg Lengerke


Hinweis: Dieser Beitrag wurde am 28.12.2021 als Morgenandacht im
Deutschlandfunk gesendet.

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