Die offene Rechnung der Kirche Lk 6,27-38

Die offene Rechnung der Kirche Lk 6,27-38

3 Minuten

Beschreibung

vor 2 Jahren

Wenn jemand sagt, er habe mit einem anderen noch eine Rechnung
offen, dann bedeutet das, dass einer dem anderen etwas schuldet.
Dabei kann es sich um eine dingliche Schuld (zum Beispiel aus
einem Geschäft) handeln, die zu bezahlen ist, oder um eine
moralische Schuld (aus einem Vergehen oder Verbrechen), die
bereut, gesühnt und wieder gut gemacht werden soll. Solange die
Rechnung offen bleibt, stimmt etwas nicht. Die Gerechtigkeit
fordert, dass die Rechnung beglichen wird. Und das tut sie nicht
nur im Namen der Gläubiger und der Opfer, sondern im Namen einer
sittlichen Ordnung, in der wir gut leben können.


Im Evangelium ist nun davon die Rede, dass die Jünger Jesu die
Rechnung offenlassen sollen. Ihren Feinden sollen sie gut sein
und die Fluchenden segnen. Für die Beleidiger sollen sie beten,
ihren Schlägern die andere Wange hinhalten und dem Manteldieb
auch noch das Hemd lassen. Kein Wunder, dass man die Christen
anfangs für eine Gefahr für die sittliche Ordnung gehalten hat.


Aber sind sie das wirklich? Angenommen, eine ausgleichende
Gerechtigkeit würde mit mathematischer Präzision durchgesetzt.
Dann hätte keiner von uns eine Chance. Jeder bliebe Sklave seines
Ungenügens und seiner unbeglichenen und unbegleichbaren Schuld.
Jeder Mensch ist darauf angewiesen, dass es so etwas gibt wie
Gnade, Erbarmen, Vergebung.


Deshalb gehört zur Gerechtigkeit, sagt Jesus, dass ich die
Menschen so behandele, wie ich behandelt werden will. Deshalb
soll ich mir vorstellen, Gott würde mich einmal so behandeln, wie
ich die Menschen behandelt habe. Und darauf, wie Gott mich
behandeln wird – darauf möchte ich mich freuen können.


Daran muss ich denken, wenn es in dieser Zeit um den Umgang mit
Schuld in der Kirche geht. Denn wo in der Kirche Erbarmen und
Vergebung mit Verharmlosung und Vertuschung vertauscht wird, da
wird die Gerechtigkeit nicht geöffnet, sondern zerstört – und mit
ihr das Vertrauen, der Glaube und das Leben von Menschen.


Die Auseinandersetzung um die Kirche scheint mir heute der
Ernstfall zu sein, in dem wir sogenannten „Vertreter der Kirche“
das Offenlassen der Rechnung üben sollen – und zwar da, wo nicht
andere, sondern wir selbst Opfer sind. Dazu werden wir
ironischerweise geradezu genötigt. Denn wo sich berechtigte und
notwendige Anklagen gegen die Kirche und ihre Amtsträger mit
ungerechten Beschuldigungen und Verleumdungen mischen, dort wird
jede Verteidigung und jeder Versuch, Gerechtigkeit wieder
herzustellen, als erneute Verharmlosung und als Fortsetzung und
Steigerung all dessen wahrgenommen, was Verbrechen in der Kirche
begünstigt hat.


Mir scheint, an dem Punkt will sich zu unserer Reue die Liebe
gesellen. Das ist die Stunde, in der die leidende Liebe die
Rechnung offenlässt.


Fra' Georg Lengerke

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