TRIEB (2. Advent) Jes 11,1-10

TRIEB (2. Advent) Jes 11,1-10

4 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

Mein Vater erzählte vor vielen Jahren einem Bekannten von meinem
Entschluss, Priester zu werden. Sein Kommentar: „Ach, wie schade…
Ein verdorrter Ast am Stamm.“


Mein Vater war verstimmt (und blieb es noch lange). Denn hier
diente das Bild vom Zweig am Baumstamm der Verächtlichmachung.
Beim Propheten Jesaja dagegen ist der Trieb aus einem alten
Baumstumpf ein Bild für die Ankündigung des Messias, des
gesalbten Gottkönigs: „Aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis
hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht.“ (Jes
11,1) Gott knüpft bei seinem Kommen noch einmal beim Geschlecht
Davids an, sagt der Prophet. Aber nicht bei König David selbst,
der das Königtum verdorben hatte. Sondern eine Generation früher
bei Davids Vater Isai.


Auf diesem neuen, königlichen Trieb ruht der Geist Gottes, sagt
Jesaja. Und es folgt die wunderbare Aufzählung der sechs Gaben
des Heiligen Geistes, aus denen die christliche Tradition später
sieben machte: „der Geist der Weisheit und der Einsicht, der
Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der
Furcht des Herrn“. Später gesellt sich noch die „Frömmigkeit“ als
eigene Gabe hinzu.


Die christlichen Theologen werden dann im 5 Jahrhundert von Jesus
Christus sagen, er sei „wahrer Gott und wahrer Mensch“ gewesen –
„ungetrennt und unvermischt“ (Chalzedon 451). Er ist ganz Mensch:
Trieb oder Sproß eines menschlichen Geschlechts, mit den Trieben
und Begehren eines Menschen. Zugleich ist er ganz Gott und im
Vollbesitz des Geistes Gottes. Der Geist Gottes ist es, der den
Menschen mit allen seinen natürlichen Anlagen im Lot hält, ihn
Gott erkennen lässt und seine ganze Größe und Schönheit zum
Vorschein bringt.


Aber nochmal zurück zum „verdorrten Ast am Stamm“. Als Mensch bin
ich in der Tat ein Ast, ein „Trieb“ oder ein „Spross“ am Stamm
einer Familie und einer Reihe von Generationen. Im Deutschen
bezeichnet „Trieb“ aber auch einen Drang oder ein angelegtes
Begehren im Menschen, das auf die Befriedigung grundlegender
Bedürfnisse zielt. Wir sind ein Trieb und haben Triebe.


Den Menschen unterscheidet vom Tier, dass er seinen Trieben nicht
einfach ausgeliefert ist. Er kann sich zu seinen Trieben
verhalten. Je nach geistiger Reife und Gesundheit, je nach
Prägung und Lebensphase gelingt das mal besser, mal weniger gut.


Wo der Mensch jedoch rein triebgesteuert agiert, geht das Leben
schief. Sein eigenes und das seiner Nächsten. Der Mensch fällt
zurück in den Dschungel – oder in den Zoo der Abhängigkeit von
Menschen, die selbst nicht in die Triebfalle getappt sind, aber
die Triebe anderer zu triggern wissen.


In seiner Menschwerdung macht Gott unser leibliches Leben zu
seinem. Er wird ein menschlicher Trieb mit menschlichen Trieben.
Ein Mensch, der ganz frei ist, weil sein Trieb-Sein und seine
Triebe sich ganz in ihrer göttlichen Ordnung entfalten. Warum tut
Gott das? Damit wir Anteil bekommen an diesem ganz menschlichen
und ganz göttlichen Leben.


Darauf soll es mir ankommen in diesem Advent: erstens, dass ich
mich freue, dass Gott ein Trieb wird, wie ich einer bin;
zweitens, dass ich erkenne, was mich gerade treibt und wohin; und
drittens, dass ich mich vom Geist Gottes treiben lasse, um immer
mehr ein Liebender zu werden.


Wenn das geschieht, dann brauche ich mich nicht zu sorgen, ein
verdorrter Ast am Stamm zu sein.


Fra' Georg Lengerke

Kommentare (0)

Lade Inhalte...

Abonnenten

15
15
:
: