Und wem gehört Ihr? 1 Kor 3,16-23

Und wem gehört Ihr? 1 Kor 3,16-23

5 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

„All dies gehört Mia“, pflegte der alte Herr in Westfalen zu
sagen, wenn er über das stattliche Klostergut schritt. Das klang,
als wäre es seins. In Wirklichkeit hatte es seine Frau Mia
geerbt, die diesen Kalauer regelmäßig geduldig ertrug.


„Alles gehört euch“, schreibt Paulus den Christen in Korinth,
„Paulus, Apóllos, Kephas, Welt, Leben, Tod, Gegenwart und
Zukunft: Alles gehört euch.“ Das ist zuerst gegen die Spaltungen
in der Gemeinde gemeint, in der man sagt: „Ich gehöre zu Paulus -
ich zu Apollos - ich zu Kephas“ (1 Kor 1,12). Paulus, Apollos und
Kephas sind für Euch da, nicht Ihr für sie, will Paulus sagen.


Aber es geht hier nicht nur um Parteiungen, sondern um unser
Verhältnis zur Welt überhaupt. Alles soll Euch zu Diensten sein.
Oder wie Ignatius von Loyola sagt: Alles soll uns helfen,
miteinander zu Gott zu kommen. Alles sollen wir wählen oder
ablehnen, je nachdem, ob es uns dazu hilft oder daran hindert.


Als Kinder haben wir Geschwister um „meins“ und „deins“ gekämpft.
Später dann habe ich mich gefragt: „Gehören die Dinge eigentlich
mir? Oder gehöre ich den Dingen?“ Besonders in der Zeit der
Klärung meiner Berufung war das eine entscheidende Frage: Besitze
ich wirklich, was mir gehört? Oder gehöre ich eigentlich längst
dem und werde von dem besessen, wovon ich behaupte, dass es mir
gehört?


Irgendwann ging es dann nicht mehr bloß um Dinge, sondern auch um
Gefühle und Launen, um Leidenschaften und Anhänglichkeiten, um
Menschen und Meinungen. Gehe ich mit ihnen um? Verstehe ich sie?
Verhalte ich mich zu ihnen? Oder agiere ich nur noch innerhalb
ihrer, ohne mir ihrer bewusst zu sein? Helfen sie mir, oder haben
sie mich?


In unserer Zeit hat sich das Problem noch verschärft, weil die
Technik immer tiefer in unsere Lebensvollzüge hineinwirkt. Das
ist gut, solange sie uns gehört und uns hilft. Das wird tödlich,
sobald wir ihr gehören und sie uns hat. Und das geschieht dort,
wo die Grenzen zwischen Mensch und Maschine, zwischen jemand und
etwas, zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz immer
mehr verwischt und anschließend verschoben werden.


Auch hier sind die Grenzen fließend, aber es gibt sie. Ich will
mir helfen lassen. Aber ich bin nicht bereit, mir die Bewegung,
den geographischen oder moralischen Orientierungssinn, das Ringen
um Entscheidungen, die Sprachfähigkeit und irgendwann das Denken
abgewöhnen und nehmen zu lassen – so anstrengend und mühsam all
das sein mag. Die moderne Sklaverei ist bequem und gemütlich. Die
Freiheit ist anstrengend und mühsam.


Donnerstagmorgen im Zug war das Telefon eine Weile im Flugmodus.
Anschließend fand ich diese Nachricht von einer Freundin: „Ich
freue mich immer, wenn Dein Handy aus ist […] Mir scheint die
richtige Handynutzung zu den Grundlagen des religiösen Lebens zu
gehören.“


„Ihr aber gehört Christus“, fährt Paulus fort. Es ist also nicht
so, dass wir niemandem gehörten. Aber Christus ist
nicht eine Macht unter vielen. Er ist die Macht, die uns gemacht
hat und uns unbedingt liebt, von der her wir sind, wer wir in
Wirklichkeit sind – und wer zu sein wir ein Leben lang suchen und
verwirklichen sollen. Er ist die Macht, von der ich mich
empfange, die mich mir gönnt und die allein wirkliche Freiheit
schenkt. Freiheit von dem, was das Leben und die Liebe hindert,
und Freiheit für das, was Leben und Liebe eigentlich sind.


Wer nicht den Dingen der Welt, sondern Christus gehört, der
empfängt sich selbst und gehört sich selbst; der weiß, dass alles
ihm zu Diensten ist, und lernt, in Freiheit zu dienen, wo
Christus dient; der kann im Ernst sagen, worüber der Ehemann von
Mia in Westfalen witzelte: All dies gehört mir.


Fra' Georg Lengerke

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