Der Sündenfall am Kleiderschrank Gen 2,7-9;3,1-7

Der Sündenfall am Kleiderschrank Gen 2,7-9;3,1-7

5 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

Der Kleiderschrank meiner Eltern war kein besonders gutes
Versteck für die Weihnachtsgeschenke. Aber ich hätte auch nicht
nach ihnen suchen sollen. Als ich sie fand, hatte ich das
Weihnachtsfest versaut. Später verstand ich, dass so die
Geschichte vom Sündenfall geht.


Ich höre oft, das Nehmen und Essen der Frucht der Erkenntnis von
Gut und Böse durch Eva und Adam sei eine Emanzipation gewesen,
ein Schritt in die Freiheit aus der Unmündigkeit des
Gefangenseins in Gott.


Die Geschichte vom Sündenfall beschreibt und deutet jenen Moment
in der Geschichte, in dem sich zum ersten Mal ein Mensch
wissentlich und willentlich gegen das erkannte Gute entscheidet.
Ist er davon freier geworden? Nein. Vielmehr hat er sich aus
jener Urbeziehung verabschiedet, die ihn frei sein ließ.


Es ist ja nicht so, als hätten Adam und Eva vorher nicht gewusst,
was gut und was böse ist. Das wussten sie sogar genau. Ihnen war
gesagt worden, dass sie an den Baum der Erkenntnis von Gut und
Böse nicht rühren durften und dass sich an ihm zu vergreifen, sie
das Leben kosten würde.


Als sie das Misstrauen schlangengleich anschleicht, beginnt es
mit einer Lüge: Gott meint es nicht gut mit Euch. Er gönnt Euch
die Fülle nicht. Er hat Angst um sich und sein Gottsein und dass
Ihr es ihm nehmen könntet. Bedient Euch, esst und ihr werdet
frei. Frei wie nur Gott es ist.


Aber wie die ganze Schöpfung ursprünglich Gabe und Geschenk ist,
ist auch die Freiheit und die Unterscheidungsgabe von Gut und
Böse ein Geschenk. Adam und Eva wussten schon, was gut und böse
war, weil sie es von Gott erfahren und in seiner Gegenwart
erkannt hatten. Sie sollten sich die Frucht vom Baum der
Erkenntnis von Gut und Böse nicht nehmen, weil ihnen die
Erkenntnis von Gut und Böse geschenkt werden sollte – in der
Liebe, im Gewissen und im Gebot.


Als Eva und Adam aßen, lernten sie nicht Gut und Böse zu
unterscheiden, sondern verlernten es. Sie nahmen sich die
Erkenntnis, und sahen fortan Gut und Böse, sich selbst, einander
und die Welt nicht mehr im Licht Gottes, sondern nur noch im
Dämmerlicht ihres eigenen unerleuchteten, letztinstanzlichen
Urteils.


Als der Mensch nicht mehr empfangen, sondern sich nehmen will,
verändert sich die Welt: Aus der Schöpfung wird eine
Verfügungsmasse und aus der Gabe eine Ware ohne Geber. Und die
wird nicht mehr geschenkt und angenommen, sondern begrapscht, an
sich gerissen und sich einverleibt.


Der Sündenfall war kein Befreiungsschlag. Er war eine
Gefangennahme durch jene Stimme, die uns misstrauisch und
missgünstig, unbeschenkbar, unerleuchtbar und undankbar macht und
die Welt zum umkämpften Selbstbedienungsladen im
Weltenschlussverkauf werden lässt.


Heute taufe ich einen kleinen Konrad. In der Taufe gehören wir zu
Jesus Christus, in dem Gott diese „gefallene“ Welt aufs Neue mit
sich verbindet und den Riss überbrückt, der uns seit Eva und Adam
von Gott entfremdet und getrennt hat. Von Jesus sagt Paulus, dass
er der neue Adam ist. Der weiß um seine Würde und Freiheit als
„Gottes Sohn“ und um unsere Würde und Freiheit als Kinder Gottes.


Jesus bezeugt uns in der Wüste, dass diese Freiheit nicht darin
besteht, sich der Welt zu bemächtigen oder sich ihr zu
unterwerfen, sondern sie von Gott zu empfangen. Er erinnert uns,
dass wir nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort leben, das
aus Gottes Mund kommt und das wir selbst uns nicht ausdenken
können.


Auch wenn sie als Anfrage und Versuchung gegenwärtig bleibt: die
Gefangenschaft des Sündenfalls hat in der Taufe ein Ende. Die
erneuert in uns jene Freiheit, mit Gott lieben zu können, die nur
Gott selbst uns schenken kann.


Wie dem Jungen, der nicht an den Kleiderschrank der Eltern rührt,
damit er am Geburtsfest des göttlichen Kindes erfährt, dass er
ein geliebtes Kind ist.


Fra' Georg Lengerke

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