Der raue Daumen-Segen Gen 12,1-4a

Der raue Daumen-Segen Gen 12,1-4a

5 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

Meine Großmutter hatte einen rauen Daumen. Als Kind spürte ich,
wie der mich kratzte, wenn sie mir damit ein Kreuz auf die Stirn
machte. Einen Segen stellt man sich vielleicht irgendwie zart
vor. Aber ich mochte das. Der Segensdaumen meiner Großmutter war
liebevoll, aber eben etwas rau. Und das passte zu ihr. Vielleicht
auch deshalb, weil ihr eigenes Leben sehr, sehr rau gewesen war.


In der Kirche ist der Segen in letzter Zeit zum Zankapfel
geworden. Weil sich an ihm der Streit entzündet hat, wo und wofür
Vertreter der Kirche stehen, was sie billigen, gutheißen, fördern
und also „absegnen“.


Beim Segen Abrahams geht es nicht darum, dass Gott etwas
„absegnet“, sanktioniert oder gutheißt. Bei der Segensverheißung
an Abraham geht es um eine Veränderung, eine Transformation
seines ganzen Lebens.


Es beginnt mit einem Abschied. „Geh fort aus deinem Land“, sagt
Gott zu Abraham. Ich habe das in der Kirche schon oft zitiert
gehört. Meistens als Forderung an die jeweils Anderen, sie mögen
ihre alten Gewohnheiten, Traditionen oder Überzeugungen
verlassen. Es stimmt sogar, dass das manchmal dringend notwendig
ist. Aber nur, wenn sich eine Überzeugung als falsch oder eine
Tradition als unangemessen für die Erreichung eines göttlichen
Zweckes erweist.


Abraham jedoch soll gar nicht weggehen, weil es Zuhause falsch
oder schlecht gewesen wäre. Er soll gehen, weil es richtiger und
besser ist, woanders zu sein – dort, wo Gott ihn mehr braucht: in
dem versprochenen Land. Und zwar nicht bloß um Abrahams Willen,
sondern für die ganze Welt, für „alle Sippen der Erde“.


Ich denke an meine Aufbrüche, meine Abschiede. Auch, um Priester
und Malteser zu werden. Und dass ich für die Anderen gesegnet
worden und losgegangen bin. Und dass ich an der einen oder
anderen Stelle müde und träge geworden bin und mich gewöhnt habe.


Ein altes deutsches Sprichwort sagt: „An Gottes Segen ist alles
gelegen“. Das will ich mir in dieser Fastenzeit wieder sagen
lassen, dass mir an Gottes Segen liegen soll. Nicht allein in der
Liturgie, sondern auch durch Mutter und Vater, durch die
Schwestern und Brüder im Glauben, durch betende Hingabe. Und
nicht als Bestätigung meines status quo, sondern als Sendung
dahin, wo Gott mich mehr braucht.


Wir sollen mit Abraham segnen und „ein Segen sein“. Aber der
Segen ist mehr als ich bin, kann mehr als ich kann, sagt und tut
mehr, als ich sagen und tun kann.


Wenn ich letzte Woche durch die Stadt ging und die Gesichter der
Menschen sah – frohe und traurige, freundliche und missmutige,
bemalte und unbemalte – habe ich oft daran gedacht, dass es darum
geht: dass ich ihnen mit Gott gut bin.


Und das heißt: sie liebe und segne. Der Segen ist ja das „Plus
der Liebe Gottes“ über alles hinaus, was ich selbst tun kann.
Dass ich sie als Geliebter liebe und als Gesegneter segne – schon
bevor ich sie kenne und ohne vertraut oder einverstanden sein zu
müssen mit dem, was sie denken, sagen und tun.


Die Segensverheißung an Abraham beginnt mit einem Abschied. Am
Tag nach meiner Priesterweihe verabschiede ich mich von meiner
Mutter. Sie küsst mich rechts und links, hebt dann ihre Hand
Richtung meiner Stirn, um mir wie immer (und wie ihre Mutter mit
dem rauen Daumen) den Segen zu geben. Dann hält sie inne und sagt
– halb im Scherz: „Darf ich Dich jetzt eigentlich noch segnen?“


Da wusste ich wieder, dass der „Muttersegen“ – der raue wie der
zarte – eine ganz eigene Gnade birgt. Vielleicht auch deshalb,
weil Gott uns zuallererst unseren Müttern anvertraut. Weil sie
die erste Heimat sind. Und weil vielleicht kein anderer Mensch
uns so sehr loslassen und so segnend senden soll, wie sie…


Fra' Georg Lengerke

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