Jesus geht zu Oma (Morgenandacht DLF vom 8. April 2023, Karsamstag)

Jesus geht zu Oma (Morgenandacht DLF vom 8. April 2023, Karsamstag)

4 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

Heute ist der Karsamstag. Es ist für die Christen der stillste
Tag im Jahr. Zumindest bis in den Abend hinein findet kein
Gottesdienst statt. Die ganze Kirche gedenkt heute der Grabesruhe
Jesu und erwartet seine Auferstehung. Dann ist Ostern.


Das Fest verbringe ich in der Malteserkommende in Ehreshoven bei
Köln. Ungefähr 60 Gäste, dazu Freunde und Nachbarn, feiern hier
zusammen das Osterfest. Darunter auch viele Familien mit Kindern.


Wie jedes Jahr vollziehen wir heute Vormittag nochmal die
Grablegung Jesu nach. Dazu haben wir in der Kirche vor den Altar
eine Trage gestellt. Zusammen mit den Kindern lege ich alle
Gegenstände, die uns an das Leiden und Sterben Jesu erinnern, auf
diese Trage. Ein weißes Gewand, eine Dornenkrone, drei schwere
Nägel, ein Schwamm und ein Speer und fünf rote Glassteinchen, die
an die Wunden Jesu erinnern. Dabei erzählen die Kinder noch
einmal die Leidensgeschichte nach, die wir am gestrigen
Karfreitag erzählt und gefeiert haben.


Zum Schluss nehmen wir die rote Stola vom Kreuz, die dort seit
gestern hängt. Und wir legen sie so auf die Trage, als läge dort
einer, der sie trägt. Die Kinder vollziehen das immer mit großer
Zärtlichkeit und Feierlichkeit.


Wenn alles auf der Trage liegt, tragen sechs Kinder – zwei vorne,
zwei hinten und zwei in der Mitte – die Trage mit der kleinen
Anordnung der Erinnerungsstücke vom Hof und hinüber in einen
benachbarten Schlossgarten. Der vielleicht 200 Meter lange Weg
ist immer sehr andächtig. Wir singen einige Lieder, die sonst
auch bei Beerdigungen gesungen werden, wie: „Wir sind nur Gast
auf Erden und wandern ohne Ruh‘“ oder „Das Weizenkorn muss
sterben, sonst bleibt es ja allein“.


Am Ende des Weges ist ein alter Eiskeller, der in eine Felswand
gehauen ist. Früher legte man dort im Winter große Eisstücke
hinein, die bis zum Herbst dort die Kühlung von Speisen
ermöglichten. Davor stellen wir die Trage ab und beten für die
Lebenden, die Sterbenden und die Verstorbenen. Dann schieben wir
die Trage mit allem, was uns an Jesus erinnert, in die
Felsnische. Am Schluss rollen zwei der Männer einen schweren
Mühlstein vor unser kleines Eiskeller-Grab.


Immer wieder kommt es vor, dass Teilnehmer bei der Grablegung
sehr bewegt sind, weil sie an ihre verstorbenen Nächsten denken.
Ich erinnere mich, dass in einem Jahr mich sehr bewegt war. Wir
hatten die Trage gerade vor dem Eiskeller abgestellt. Ein
dreijähriges Mädchen, deren Großmutter kürzlich gestorben war,
schaute zu mir herauf und sagte zu mir: „Jesus geht zu Oma.“


Damit hatte das Kind in vier Worten alles gesagt, was diesen
stillen Tag so groß und heilig macht. Am Karsamstag feiert die
Kirche schweigend, was sie im Glaubensbekenntnis mit dem Satz
verkündet: Jesus sei „hinabgestiegen in das Reich des Todes“.


Auch heute, wenn wir nachher wieder mit den Kindern in unserer
kleinen Prozession zum Eiskeller ziehen, werde ich an diese vier
Worte denken: „Jesus geht zu Oma“. Und ich werde diesen Satz
still immer wieder sagen – von meinen Großeltern und Vorfahren,
von meinem vor der Geburt gestorbenen Geschwisterchen, von
gestorbenen Freunden und Verwandten, von den von mir Beerdigten,
von den im Krieg und im Erdbeben Getöteten und den mitten unter
uns ums Leben Gekommenen.


Gott steigt als Mensch in den Tod hinab, damit die Toten ins
Leben kommen.


Morgen früh werden wir uns vor Sonnenaufgang hier vor der
Graböffnung an einem kleinen Feuer wieder treffen. Der Stein wird
beiseite gerollt sein und das Grab ist leer, und wir werden hören
und feiern, dass einer zu den Toten und zu uns Lebenden das neue
Leben getragen hat. Ein Leben, über das der Tod keine Macht mehr
hat.


Fra' Georg Lengerke

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