Wer kann schon allen alles werden? 1 Kor 9,16-19.22-23

Wer kann schon allen alles werden? 1 Kor 9,16-19.22-23

5 Minuten

Beschreibung

vor 3 Monaten

In diesen Tagen schreibe ich für einen Sammelband einen Artikel
über „Selbstsorge“. Das ist die Kunst, die eigenen Bedürfnisse
und Grenzen nicht außer Acht zu lassen, während man für andere da
ist.


Einer der möglichen Gründe für eine solche Außerachtlassung ist
der Wunsch, es allen recht zu machen, nach Möglichkeit jedem zu
Willen und für jeden ohne Unterschied auf die ihm gemäße Weise
ganz da zu sein.


Theoretisch weiß jeder, dass das nicht möglich ist. Und wer es
versucht, wird nie allen gerecht werden. Vor allem wird er
ungerecht mit sich selbst. Denn er wird sich in einer Weise
verleugnen und verbiegen, dass er am baldigen Ende nicht mehr
weiß, wer er selbst ist, und auf der Strecke bleibt…


Bei Paulus findet sich eine Formulierung, die genau nach einer
solchen Verbiegung und Verausgabung klingt: „Allen bin ich alles
geworden.“ Wenn mir das heute jemand über seine Arbeit im Dienst
am Nächsten sagen würde, dann wäre ich höchst alarmiert.


Nun macht Paulus von seiner ganzen Erscheinung nicht den
Eindruck, als wäre er einer, der sich verbiegt, um es den Leuten
um sich herum recht zu machen.


Im Gegenteil. Er schreibt: „Allen bin ich alles geworden, um auf
jeden Fall einige zu retten. Alles aber tue ich um des
Evangeliums willen, um an seiner Verheißung teilzuhaben.“


„Alles … um des Evangeliums willen“. Paulus treibt nicht das
Bedürfnis, gesehen, gemocht, anerkannt oder gar gelobt zu werden.
Es geht nicht um das Gutsein Pauli, sondern um die Güte Gottes.
Und die hat ihn in der Person Jesu und in seinem Wort in einer
Weise erreicht, dass dies sein ganzes Leben verändert hat.


Von da an will er alles dafür tun, dass dieses Wort, diese
Beziehung so viele Menschen wie möglich erreicht und von ihnen
angenommen und beantwortet werden kann. So wie ein Medikament
einen Kranken oder ein Liebesbrief einen geliebten Menschen in
seiner Einsamkeit erreichen soll. Er kann nicht alle erreichen.
Das kann nur Gott. Aber „möglichst viele“ und „auf jeden Fall
einige“.


Und um des Evangeliums willen will Paulus – im Rahmen seiner
Möglichkeiten – so nah wie möglich an den Menschen sein und an
ihrem Leben, an ihrer Lage und an ihrem Schicksal, an Freud und
Leid Anteil nehmen.


Und das, ohne es nötig zu haben: „Obwohl ich […] von niemandem
abhängig bin, habe ich mich für alle zum Sklaven gemacht, um
möglichst viele zu gewinnen“ schreibt er. Den Schwachen sei er
ein Schwacher geworden. Und macht damit offenbar genau das, was
er kurz darauf aus Korinth nach Rom schreiben wird: „Freut euch
mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden!“ (Röm 12,15)


Das bedeutet nicht, dass Paulus selbst außen vor bleibt. Er steht
auf beiden Seiten: Auf der Seite dessen, der das Wort Gottes
spricht, das er nun ausrichtet. Und auf Seiten derer, denen das
Evangelium gilt, die es hören und annehmen sollen, mit denen er
„an seiner Verheißung teilhaben“ will.


Wir können nicht vollkommen „allen alles werden“, ohne vor die
Hunde zu gehen. Sondern wir können es nur im Rahmen unserer
Möglichkeiten – und zusammen mit dem, der es allerdings ganz und
gar vermochte. In Seiner Menschwerdung in Jesus von Nazareth ist
der Sohn Gottes wirklich „allen alles geworden“ – bis in die
letzten Winkel unseres Lebens mit seinen Höhen und Tiefen, seinen
Triumphen und Abgründen.


Und hier geschieht die Wende: Denn hier heißt „allen alles
werden“ nämlich auch: „allen alles andere werden“. Denn indem Er
allen alles wird, wird Jesus den Verlorenen auch ein Gefundener
und den Ungeliebten ein Geliebter, den Traurigen ein Getrösteter
und den Schwachen ein Starker – damit auch sie mit Ihm gefunden
und geliebt, getrost und stark werden.


Und in dem Maße, in dem wir erlauben, dass Er für uns da ist und
uns „alles in allem“ (1 Kor 15,28) wird, werden auch wir
„möglichst vielen“ und „auf jeden Fall einigen“ Anteil an dem
geben können, …


…woran Anteil bekommen zu haben unser Glück ist.


Fra' Georg Lengerke

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