Sinn und Überwindung von Berührungsängsten Mk 1,40-45

Sinn und Überwindung von Berührungsängsten Mk 1,40-45

5 Minuten

Beschreibung

vor 2 Monaten

Berührungsängste können Leben retten. Zum Beispiel bei
Offenplatten, wilden Tieren oder hochinfektiösen Krankheiten.
Berührungsängste können auch Leben zerstören. Zum Beispiel bei
Meidung von Menschen aus ethnischen, politischen oder religiösen
Gründen.


In der Pandemie habe ich viel über die Unterscheidung meiner
Berührungsängste gelernt. Es gibt Berührungsängste, die soll ich
ernst nehmen und beachten, wenn die Berührung mich in Gefahr
bringt. Andere Berührungsängste kann ich einfach vergessen, weil
es keinen Grund gibt, Angst zu haben. Wieder andere
Berührungsängste soll ich ernstnehmen, weil wirklich Gefahr
droht, sie dann jedoch überwinden und die Gefahr der Berührung in
Kauf nehmen, wenn ein höheres Gut gefährdet ist.


Jesus berührt einen Aussätzigen. Das war gefährlich und außerdem
verboten. Der Mann wird geheilt, und Jesus befiehlt ihm, sich den
zuständigen Behörden als geheilt zu melden und ansonsten den Mund
zu halten.


Ich könnte mir denken, dass die Erfahrungen der Pandemie das
Verständnis dieser Szene bei vielen verändert hat. Viele Menschen
haben seither eine höhere Sensibilität. Zum Beispiel für die
Gefahr einer Ansteckung, für die Erfahrung der Not von Isolation
und Quarantäne oder auch für die Frage der Angemessenheit oder
Unangemessenheit von fremdem und eigenem Verhalten oder von
obrigkeitlichen Maßnahmen.


Jesus scheint keine Berührungsängste zu haben. Er spürt, dass er
den Mann berühren kann und soll und dass diese Berührung für den
Mann bedeutet, gesund und wieder in die menschliche Gemeinschaft
hineingenommen zu werden.


„Wenn du willst, kannst du machen, dass ich gesund werde“, sagt
ihm der Aussätzige. „Ich will – werde rein“, sagt Jesus und
berührt ihn. Jesus will, was der Mann will. – Aber der Mann will
nicht, was Jesus will. Obwohl Jesus ihm denkbar streng
einschärft, von der Sache zu schweigen, erzählt er sie überall
herum.


Das führt zu einem Platztausch. Der Mann ist wieder in die
Gesellschaft integriert. Jesus jedoch „konnte sich in keiner
Stadt mehr zeigen“, weil er fürchten muss, vor der Zeit verhaftet
zu werden. Der Geheilte ist drinnen. Der Heiland ist draußen.
Damit deutet sich schon an, wie die irdische Lebenszeit Jesu
ausgehen wird: Er stirbt draußen, schändlich hingerichtet, als
Verworfener.


Jesus hat selbst Berührungsängste gekannt. Wir hören immer
wieder, dass er Massenansammlungen oder bestimmte Orte meidet,
weil der Entschluss, ihn zu töten, bereits gefasst ist. Im
nächtlichen Gebet vor seiner Verhaftung schwitzt Jesus Blut und
Wasser vor Angst, weil er weiß, dass von da an jede Berührung ein
Schmerz sein wird – beginnend mit dem Kuss des Freundes, der ihn
verrät, gefolgt von Schlägen und Demütigungen aller Art.


Schon darüber lohnt es sich für mich nachzudenken, dass Jesus die
Berührungsangst zu uns hin überwindet, weil wir es ihm wert sind,
sich in die Gefahr unserer Launenhaftigkeit, unserer
Unwahrhaftigkeit und unserem tödlichen Umgang miteinander und mit
der Schöpfung zu begeben. Gerade dort hält er liebend aus, was
wir einander und damit immer auch ihm antun, weil er sich mit
einem jeden(!) Menschen verbunden hat.


Die Frage ist immer wieder, ob ich das will. Es ist ja nicht
selbstverständlich, dass der Aussätzige Jesus so nah an sich
heranlässt. Auch er hätte Grund gehabt, Berührungsängste zu
haben. Nicht nur, weil auch ihm diese Nähe verboten war. Nicht
nur, weil er um die Gefahr der Ansteckung des Anderen wusste.
Sondern auch, weil es viel Mut und Vertrauen braucht, um jemanden
in die Nähe der eigenen Krankheit und Versehrtheit, Entstellung
und Unansehnlichkeit zu lassen.


Um solche Berührungsängste zu kennen, muss man nicht erst eine
tödliche hochinfektiöse Krankheit gehabt haben. Es gibt Menschen,
die haben erfahren, dass die Begegnung mit Gott ihr Leben und
Lieben verwandelt hat. Die können uns helfen, dass uns die
Berührungsangst vor Gott genommen wird.


Fra' Georg Lengerke

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