Nicht nur lebend, sondern lebendig! Eph 2, 4–10

Nicht nur lebend, sondern lebendig! Eph 2, 4–10

5 Minuten

Beschreibung

vor 1 Monat
Einem befreundeten Priester, der existentiell erschöpft war, sagte
sein Bischof vor einiger Zeit: „Ich will Sie nicht nur lebend, ich
will Sie lebendig.“ Das war nicht nur ein freundlich-ermutigendes
Wortspiel, sondern die Beschreibung eines grundsätzlichen
Unterschieds. Was lebend ist, ist nicht tot. Die Biologie
bezeichnet materielle Erscheinungen als lebend, die sich durch
Stoffwechsel, Replikation und Mutabilität von der unbelebten Umwelt
unterscheiden (A. I. Oparin). Die einzelnen Kriterien, um von einem
lebenden Menschen zu sprechen, sind umstritten. Aber Einigkeit
besteht darin, dass ein Mensch lebt, wenn sein Herz schlägt und
seine Zell- und Nervenfunktionen intakt sind. Damit ist der Mensch
aber noch nicht lebendig. Von der Lebendigkeit eines Menschen
sprechen wir, wenn er in Bewegung ist und es ihm um etwas geht,
wenn er mit seiner Umwelt kommuniziert und sie gestaltet, wenn er
sein Leben nicht nur „erlebt“, sondern sein Leben „führt“. Der
Unterschied zwischen lebend und lebendig wird von Menschen sehr
leidvoll erlebt. Wer erschöpft oder verzweifelt ist oder sein Leben
als fremdbestimmt erfährt, der spricht nicht selten davon, er
„werde gelebt“, er „funktioniere“ bestenfalls noch oder sei
„lebendig tot“. Es gibt Krisen, in denen kommt es Menschen so vor,
als bliebe ihnen vom Leben nur noch die organische Funktion. Sie
erfahren sich als „geistig tot“, als wären sie abgeschnitten vom
lebendigen Leben, das eine Richtung hat, die ihm Sinn gibt. „Ich
will Sie nicht nur lebend, ich will Sie lebendig.“ sagte der
Bischof; und mag damit gemeint haben: Ich will, dass Sie nicht nur
funktionieren, sondern gestalten, dass sie nicht nur reagieren,
sondern agieren, nicht nur Reflexe zeigen, sondern Antworten geben.
Paulus beschreibt die Wende, die für ihn der Glaube an Christus und
die Verbundenheit mit ihm bedeutet, mit ähnlichen Bildern: „Gott,
der reich ist an Erbarmen, hat uns, die wir infolge unserer Sünden
tot waren, in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat,
zusammen mit Christus lebendig gemacht.“ (Eph 2,4) Sünde ist für
Paulus mehr als bloß eine moralische Kategorie. Sie bedeutet die
Trennung von Gott, der das lebendige Leben ist. Wer diese Trennung
erfährt, der erfährt sich als geistlich tot. Wie also rauskommen
aus dieser Trennung? Wie den Schritt gehen aus dem bloßen
Dahinleben in die Lebendigkeit der Beziehung zu den Geschöpfen und
ihrem Schöpfer, zur Wirklichkeit und ihrem Grund? Für den Freund,
den sein Bischof nicht nur lebend, sondern lebendig wollte, war das
möglich durch eine Veränderung seines Arbeitsauftrages und durch
einen veränderten Umgang mit dessen Gegebenheiten und
Herausforderungen. Für beides brauchte es Menschen, die sich in ihn
hineinversetzt haben: der Bischof, der wusste, wie es ist, zwar
noch lebend aber nicht mehr lebendig zu sein, und Freunde und
Ratgeber, die ihm halfen, zu einer wirklichkeitsgemäßen Wahrnehmung
seiner Rolle und Verantwortung zu kommen und die eigene Berufung
neu hören und beantworten zu können. Dasselbe beschreibt Paulus auf
einer noch existentielleren Ebene. In Jesus Christus versetzt sich
Gott in uns Menschen hinein. Nicht nur in unser Empfinden, Denken
und Urteilen, sondern auch in die Erfahrung des Getrenntseins vom
Leben. Dieses Getrenntsein erfährt Jesus Christus an unserer Stelle
nicht nur geistig (intellektuell) und geistlich (spirituell),
sondern auch leiblich, indem er im physischen Tod die Trennung vom
Leben erleidet. Paulus glaubt an Christus, gehört zu ihm,
kommuniziert mit ihm. Die Auferstehung Christi ist für Paulus die
Rettung aus dem Tod ins Leben und aus dem Dahinleben in die
Lebendigkeit. „Das war meine Rettung“, sagt der Freund neulich in
seiner neuen Pfarrei rückblickend und lächelt erleichtert. Und ich
denke mir, dass so ähnlich der hl. Paulus geguckt haben mag, als er
den Ephesern schrieb: „Gott hat uns mit Christus lebendig gemacht.“
Fra' Georg Lengerke

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