Molekulargenetische Analyse bei Patienten mit kongenitalen myasthenen Syndromen

Molekulargenetische Analyse bei Patienten mit kongenitalen myasthenen Syndromen

Beschreibung

vor 11 Jahren
Die kongenitalen myasthenen Syndrome (CMS) stellen eine Gruppe
seltener hereditärer Erkrankungen dar, die auf einer Störung im
Nerv-Muskel-Signalübertragungsweg beruhen. Hinsichtlich
Pathogenese, Molekulargenetik und klinischer Symptomatik zeichnen
sich diese Syndrome durch eine starke Heterogenität aus, die eine
Einteilung in CMS-Unterformen erforderlich macht. Die bislang
bekannt gewordenen krankheitsursächlichen CMS-Gene kodieren in
vielen Fällen für Synapsen-assoziierte Proteine. Um so
überaschender war die kürzliche Entdeckung, dass Mutationen im Gen
GFPT1, kodierend für das Schlüsselenzym des
Hexosamin-Stoffwechselwegs, und zwar der
Glutamin-Fruktose-6-Phosphat-Amidotransferase 1 (GFAT1),
krankheitsauslösend für ein CMS mit Gliedergürtelbetonung sind.
Dies ließ vermuten, dass ein neuer Pathomechanismus – nämlich
Glykosylierungsstörungen – dieser CMS-Untergruppe zugrunde liegen
könnte. Damit rückten weitere Gene für Enzyme des
Hexosamin-Stoffwechselweges als Kandidatengene für CMS in den
Fokus. Hauptschwerpunkt dieser Promotionsarbeit war deshalb, eine
Kohorte von CMS-Patienten auf krankheitsrelevante Mutationen in den
Hexosamin-Biosynthese-Genen GNPNAT1, PGM3, UAP1 und OGT zu
untersuchen. Die Kohorte bestand aus insgesamt 44 CMS-Patienten,
größtenteils solchen mit dem besonderen Phänotyp der
Gliedergürtelbeteiligung (38 Patienten), zum kleineren Teil solchen
mit bisher ungeklärter genetischer Ursache (6 Patienten). Jedoch
konnte in keinem dieser Fälle eine mutmaßlich pathogene
Sequenzveränderung in den genannten vier Kandidatengenen detektiert
werden. Ein weiterer Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit lag darin,
die vorgestellte Gliedergürtel-Kohorte auf bereits bekannte, jedoch
nur äußerst selten nachgewiesene, CMS-verursachende Mutationen zu
analysieren. Hierzu zählen vor allem Mutationen in MUSK, einem
essentiellen Gen für eine an der neuromuskulären Synapsenbildung
beteiligten Kinase. Weltweit sind hier überhaupt nur 5
Fälle/Familien in der Literatur beschrieben. Erstmals konnten im
Rahmen dieser Arbeit bei einem Patienten die Sequenzvariante MUSK
p.Asp38Glu und eine größere Deletion im MUSK-Gen nachgewiesen
werden. Funktionelle Studien auf Ebene der MUSK-mRNA-Transkripte im
Patientenmuskel, bioinformatische Daten und die Segregationsanalyse
in der Familie lassen den Schluss zu, dass diese beiden Mutationen
sehr wahrscheinlich als pathogen einzustufen sind. Klinisch fiel
ein ausgezeichnetes Ansprechen auf Salbutamol auf, welches bei
MUSK-CMS-Patienten bisher noch nicht beschrieben war. Die Analyse
weiterer bekannter CMS-Gene in Patienten beider Kohorten führte zum
Nachweis bereits beschriebener Frameshift-Mutationen in CHRNE, die
bekanntermaßen zu einer verminderten Expression des
Acetylcholinrezeptors an der Oberfläche von Muskelzellen führen.
Neben den häufigen Mutationen c.1327delG in homozygoter Form und
c.1353dupG in homozygoter und compound heterozygoter Form - beides
Founder-Mutationen in der Population der Roma bzw. der
nordafrikanischen Bevölkerung - wurde die Mutation c.70insG in
compound heterozygoter Form gefunden. Interessanterweise lag bei
zwei der hier beschriebenen vier CHRNE-Patienten ein Phänotyp mit
prominenter Gliedergürtelschwäche vor, was für CHRNE-CMS-Patienten
mit typischerweise im Vordergrund stehender okulärer Beteiligung
ungewöhnlich ist. Zusammengefasst zeigen die im Rahmen dieser
Arbeit identifizierten Patienten mit CHRNE-Mutationen klinisch eine
unerwartet große Heterogenität. Ein Patient mit distal betonter
Muskelschwäche aus der Kohorte mit ungewöhnlichen Phänotypen wies
die Sequenzvariante c.866C>A/p.Ser289Tyr in CHRND in
heterozygoter Form auf. Diese bisher nicht funktionell untersuchte
Variante stellt eine autosomal dominant vererbte
Slow-Channel-Mutation dar und führt möglicherweise wie die an
gleicher Position lokalisierte, jedoch schon funktionell
charakterisierte Mutation p.Ser289Phe zu einer verlängerten
Kanalöffnungszeit des Acetylcholinrezeptors. Im Unterschied zu
anderen CHRND-Patienten war phänotypisch jedoch keine
respiratorische Beteiligung erkennbar. Bei einem weiteren Patienten
mit Gliedergürtelphänotyp konnten zwei Sequenzvarianten
nachgewiesen werden, deren pathogenes Potential aufgrund der
Ergebnisse der in silico- und Segregationsanalyse, wenn überhaupt,
als sehr gering einzustufen ist. Zum einen fand sich in CHRNB1 die
Sequenzveränderung p.Val113Met heterozygot. Daneben war der Patient
Träger der Sequenzvariante c.1137-3del in OGT, die abschließend auf
Grund der Ergebnisse der in silico- und Segregationsanalyse
ebenfalls als nicht krankheitsverursachend einzuschätzen ist.
Zusammenfassend konnte im untersuchten Patientenkollektiv zwar
keine krankheitsursächliche Mutation der Kandidatengenene des
Hexosamin-Biosynthesewegs, i.e. GNPNAT1, PGM3, UAP1 und OGT,
nachgewiesen werden. Die grundsätzliche pathogene Relevanz von
Genen, die eine Rolle bei Glykosylierungsvorgängen spielen, wurde
jedoch zwischenzeitlich durch Identifikation von Mutationen in den
Genen DPAGT1, ALG2 und ALG14 bei CMS gezeigt. Eine vergleichende
Gegenüberstellung der Phänotypen der im Rahmen der Arbeit genetisch
aufgeklärten CMS-Patienten bestätigte die große klinische
Heterogenität innerhalb der Krankheitsgruppe und zum Teil auch
unter Patienten mit identischen Genotypen. Die Ergebnisse der
vorliegenden Arbeit ermöglichen eine Erweiterung des Phänotyps
sowohl für häufig als auch für seltener ursächliche CMS-Gene und
machen deutlich, welche klinische Relevanz die Analyse von seltenen
CMS-Genen wie MUSK haben kann. Im Hinblick auf Salbutamol als eine
Therapieoption bei MUSK-CMS wird ein neuartiger medikamentöser
Behandlungsansatz aufgezeigt. Neben einem besseren Verständnis für
die genetischen Hintergünde der Erkrankung leisten die Ergebnisse
somit auch einen Beitrag für eine bessere Versorgung bzgl.
Diagnostik und Therapie von Patienten mit dieser seltenen
neuromuskulären Erkrankung.

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