Rechenschieber

Rechenschieber

Modellansatz 184
1 Stunde 54 Minuten
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Beschreibung

vor 5 Jahren

Wie es kam, dass es kam, dass es so ist, wie es ist, mit dem
Rechenschieber. Zu einer gemeinsamen Folge vom damalsTM-Podcast
zur Technikgeschichte und dem Modellansatz zur Mathematik trafen
sich Prof. Dr. Ralph Pollandt, Stephan Ajuvo und Sebastian
Ritterbusch in der Hochschule für angewandte Wissenschaften in
Karlsruhe zu diesem mathematisch-technischen Thema aus
vergangenen Zeiten.


Stephan Ajuvo hatte den Rechenschieber schon länger auf seiner
Liste seiner Wunschthemen. Er konnte nach der hackover-Konferenz
nach Karlsruhe kommen, wo am 4. Mai 2018 die 9. Lange Nacht der
Mathematik stattgefunden hatte, die von Sebastian Ritterbusch
moderiert wurde, und wo Ralph Pollandt den Rechenschieber in
einem Publikumsvortrag vorgestellt hatte.


Die lange Nacht der Mathematik wurde an der damaligen
Fachhochschule Karlsruhe im Jahr 2000, dem Weltjahr der
Mathematik, gestartet, und fand seither alle zwei Jahre mit sehr
großem Besucherandrang statt.


Vor Einzug der Taschenrechner, wie beispielsweise dem
SchulRechner 1 oder SR1, waren Rechenschieber im Schulbetrieb
allgegenwärtig. Es gab unter anderem Typen von Aristo oder von
VEB Mantissa Dresden.


Die Basis der grundsätzlichen Methode hinter dem Rechenschieber
wurde mit dem Beginn der Nutzung von Logarithmentafeln (um 1600)
gelegt. In der DDR wurden diese für Schulen vom Verlag Volk und
Wissen gedruckt. Sie umfassten neben den Logarithmen auch eine
Formelsammlung für Mathematik, Physik und Chemie. Auch die
Bordwährung der c-base orientierte sich an der logarithmischen
Skala.


Ein Weg den Logarithmus einzuführen geht über die
Exponentialfunktion, die viele Wachstumsprozesse in der Natur bis
zur Sättigung beschreibt.


Da diese Entwicklungen oft sehr schnell ansteigen, bietet es sich
an, die Werte mit der Umkehrfunktion zu beschreiben, und das ist
genau der Logarithmus: Exponentiell ansteigende Werte wie die
2-er Potenzen 1, 2, 4, 8, 16, 32, ..., werden nach Anwendung des
Logarithmus Dualis zur Basis 2 linear zu 0, 1, 2, 3, 4, 5, ...,
und damit deutlich einfacher zu begreifen. Auch in der Musik
werden aus Frequenzen von Tönen nach Anwendung des Logarithmus
Dualis ganzzahlig zu Oktaven und im nicht-ganzzahligen Rest zu
den Tönen.


Für die Nutzung mit Logarithmentafeln und dem Rechenschieber sind
die Logarithmenregeln äusserst wichtig:


In Logarithmentafeln ist sehr häufig der dekadische Logarithmus
zur Basis 10 abgedruckt, da dies bei der Nutzung mit Zahlen im
Dezimalsystem sehr hilfreich ist. Dabei wird typisch nur eine
Dekade in der Tafel abgedeckt, da höhere Dekaden einfach
ganzzahlige Differenzen im Wert darstellen. Da diese Betrachtung
außerhalb der Tafeln stattfindet, müssen diese Größenordnungen
während der Rechnung mitgeführt und am Ende dem Ergebnis
abgerechnet werden.


Da Rechenschieber wie gegenüber liegende Lineale sehr einfach
addieren können, wird aus der Schieblehre bei Nutzung der
Logarithmenregeln ein mächtiges Multiplikationsgerät. Das kann
man sich am Selbstbau-Rechenschieber gut vor Augen führen:


Der Rechenschieber besteht typischerweise aus einem bedruckten
äußeren Körper, einer darin ebenfalls bedruckten beweglichen
Zunge und einem oben aufliegenden bis auf Linien transparenten
Läufer. Die aufgedruckten Skalen können zum einen einfache
logarithmische Skalen für die Multiplikation und Division sein
(hier die Skalen C und D über eine Dekade), oder auch ganz andere
Funktionen beinhalten, wie für das Bauwesen die Festigkeit, dem
Elastizitätsmodul, der Druckfestigkeit oder die
Zinseszins-Rechnung. Oft waren wichtige Konstanten wie die
Kreiszahl π oder die Lichtgeschwindigkeit c angenähert auf der
Rückseite abgedruckt.


Für die Bedruckung und Anwendung haben sich verschiedene Systeme
etabliert, wie das System Darmstadt, das System Rietz oder
Duplexstäbe, es gab aber auch nationale Unterschiede durch
Traditionen, Notationen oder Hersteller. Das typische Tischformat
hatte eine Länge von rund 30cm, es gab sie aber auch im
Taschenformat oder in lebensgroßen 2 Metern, und entsprechendem
Gewicht.


Ein sehr verbreiteter Rechenschieber in Kreisform ist der
Benzin-Rechner:


Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass Rechenschieber auch
irrationale Konstanten wie die Euler'sche Zahl e, die Kreiszahl π
oder einfach Werte der Wurzelfunktion scheinbar exakt auf den
analogen Skalen abbilden konnten, und damit einen Analogrechner
darstellen.


Das Rechnen mit dem Rechenschieber stammt von den
Logarithmentafeln ab. Will man die Zahlen 2 und 3 multiplizieren,
so kann man die Logarithmen der Zahlen 2 und 3 nachschlagen, das
sind bei dem dekadischen Logarithmus auf 3 Stellen die Zahlen
0,3010 und 0,4771. Diese Zahlen werden nun addiert zu 0,7781 und
nach umgekehrter Suche findet man als Ergebnis die Zahl, die
diesem Logarithmus zugeordnet ist, die Zahl 6.


Der Rechenschieber nimmt einem nun das Nachschlagen und Addieren
ab, in dem die Skalen C und D logarithmisch aufgetragen sind und
die Addition durch das Verschieben der Zunge erfolgt. Die gleiche
Rechnung kann man auch mit den Skalen A und B durchführen, die
gleich zwei Dekaden von 1-100 abdecken, wenn sie auf dem Schieber
zur Verfügung stehen. Rechnet man kombiniert zwischen A und C
oder B und D, so kann man gleichzeitig Wurzelziehen oder
Quadrieren, muss aber den Läufer verwenden, um die Skalen genau
ausrichten zu können. Die Erfindung des Läufers wird Sir Isaac
Newton zugeschrieben.


Die verschiedenen Skalen ermöglichen die Abbildung fast
beliebiger Funktionen, auf fast allen Rechenschieber sind
beispielsweise die trigonometrischen Funktionen enthalten, jedoch
nur auf eingeschränkten Skalen. Hier muss man entweder die
Symmetrieeigenschaften der jeweiligen Funktionen kennen, oder für
tiefe Werte besondere Techniken oder Approximationen wie
Taylorreihenentwicklungen kennen.


Eine Nutzung des Rechenschiebers setzt auch immer die Fähigkeit
zur Überschlagsrechnung voraus, bei der man vorab eine
Abschätzung zum erwarteten Ergebnis bestimmt. Das bietet einen
gewissen Schutz vor Fehlbedienungen, ist aber auch bei der
Verwendung von Computern sinnvoll, da es immer wieder zu Fehlern
in der Hardware kam, wie beispielsweise beim Pentium-FDIV-Bug, wo
Rechnungen schlicht falsch ausgeführt wurden.


Nicht nur vermeintlich korrekte Rechenergebnisse können zu Irrtum
führen, auch ein blindes Verlassen auf Signifikanztests ist
ebenso nicht zielführend, in dem Artikel Why Most Published
Research Findings Are False schreibt John P. A. Ioannidis, wieso
man sogar beweisen kann, dass inzwischen die meissten solcher
Arbeiten auf begrenzten Arbeitsgebieten falsch sein müssen, da
sie ihre Abhängigkeit von früheren Arbeiten nicht
berücksichtigen.


Einen Einblick in die Komplexität der Abschätzung des
Treibstoffsverbrauchs bei Flugrouten bekommt man bei Folge 262
und Folge 263 im OmegaTau-Podcast beim Flug nach Hong Kong und
zurück. Auch in Folge 291 zum Buschfliegen wird das Thema der
Flugplanung berührt. Lange waren runde Rechenschieber zur
Berechnung des Treibstoff-Verbrauchs im Flugzeug im Einsatz.


Bei der langen Nacht der Mathematik gab es auch eine Ausstellung
von Rechenmaschinen, die durch ihre mechanische Bauweise einen
sonst verborgenen Einblick in die Rechentechnik liefern. Der
angesprochene MegaProzessor zur Visualisierung der Rechentechnik
aktueller Prozessoren wurde in FreakShow 222 besprochen und wird
im Video zum MegaProzessor vorgestellt.


Es gibt regelmäßige Treffen der deutschsprachigen
Rechenschieberfreunde, die Rechenschieber-Sammler-Treffen (RST),
zuletzt nach Publikation dieser Folge am 20. Oktober 2018 in
Bruchsal.


Eine interessanter Rechentrick ist die Berechnung von Additionen
mit Hilfe von Division und Multiplikation auf dem Rechenschieber.
Hier wird der Zusammenhang


genutzt. Zur Addition wird damit der Quotient von x und y
berechnet, um 1 addiert und wieder mit y multipliziert.


Beim Rechnen mit dem logarithmischen Rechenschieber ist eher der
relative gegenüber dem absoluten Fehler im Fokus. Genau das gilt
auch für die Rechnung in Fließkommazahlen im Computer, wo das
logarithmische Rechenstab-Prinzip durch den Exponentialteil zum
Teil ebenfalls zu Anwendung kommt.


Neben dem dekadischen Logarithmus zur Basis 10, der bei
Logarithmentafeln und Rechenschieber zum Einsatz kommt, oder dem
Logarithmus Dualis zur Basis 2 aus der Musik oder im Computer,
gibt es auch einen natürlichen Logarithmus. Was bedeutet hier
natürlich?


Der natürliche Logarithmus ist die Umkehrfunktion der
Exponentialfunktion, der Potenzfunktion zur Basis e. Diese
Funktion hat die Eigenschaft, dass sie als einzige Funktion unter
Differenziation, also z.B. der Berechnung von Geschwindigkeit aus
Positionen, und Integration, also z.B. der Berechnung von
Positionen aus Geschwindigkeiten, unverändert bleibt. Dies kann
man sich auch an der Potenzreihenentwicklung der
Exponentialfunktion veranschaulichen:


Dann ist die Ableitung:


Dadurch ist hat die Exponentialfunktion eine große Bedeutung für
Modelle und Differenzialgleichungen. Darüber hinaus ist die
Exponentialfunktion auch mit den trigonometrischen Funktionen in
den komplexen Zahlen direkt miteinander verknüpft:


Entsprechend beinhaltet auch der natürliche Logarithmus den
Zusammenhang mit Analysis, Numerik und Trigonometrie und kann auf
den komplexen Zahlen auch als ewige Spirale dargestellt werden.


CC BY-SA 3.0: Leonid 2


In der Kryptographie spielen diskrete Logarithmen eine besondere
Rolle, da Potenzfunktionen Kern des RSA-Verfahrens und der
elliptischen Kryptographie sind: Im RSA-Verfahren werden
Nachrichten auf endlichen Ringen mit einem Schlüssel potenziert,
meisst 65537 beim öffentlichen Schlüssel, in der elliptischen
Kryptographie wird die Nachricht abschnittsweise in den
Exponenten geschrieben und auf einer speziellen elliptischen
Kurve berechnet. Auch wenn es zum aktuellen Zeitpunkt noch keine
grundsätzliche Lücken in den beiden Verfahren gibt, so ist es
wichtig, diese auch korrekt umzusetzen. Ein berüchtigtes Beispiel
ist die Perfect Forward Secrecy, die durch fahrlässige
Implementationen zur LogJam-Attack führte.


Ralph Pollandt hatte in der Polytechnischen Oberschule (POS) in
den Klassenstufen 1-8 noch keine Vertiefung in die Mathematik vor
Augen. Seine Faszination für Mathematik entstand aus Interesse an
Knobelaufgaben in der Erweiterten Oberstufe (EOS) in den Klassen
9-12, wo er die Hochschulreife erlangte, und neben den Optionen
zu Naturwissenschaften oder dem Lehramt, sich für das Studium und
Promotion in der Mathematik entschied. Nach mehrjähriger
ingenieurstechnischer Tätigkeit im Bauwesen, erlangte ihn der Ruf
zur Mathematik-Professur an der Hochschule für angewandte
Wissenschaften in Karlsruhe, wo er nun reich mit der Erfahrung
aus der Anwendung zur Mathematik im Bauingenieurwesen lehrt.


Literatur und weiterführende Informationen

R. Pollandt: Bastelanleitung Rechenschieber

R. Pollandt: Bedienungsanleitung zum Rechenschieber

Seite der deutschsprachigen Rechenschieber-Sammler

Rechenschieber im Rechnerlexikon, der Enzyklopädie des
mechanischen Rechnens



Podcasts

K. Landzettel, T. Pritlove: Old School Computing, CRE:
Technik, Kultur, Gesellschaft, Episode 193, Metaebene Personal
Media, 2012.

B. Ullmann, M. Völker: Analog Computers, Omega Tau Podcast,
Episode 159, Nora Ludewig und Markus Völker, 2014.

R. Pollandt, S. Ajuvo, S. Ritterbusch: Rechenschieber,
damalsTM Podcast, Episode 58, 2018.

J. Müller, S. Ajuvo: Büromaschinen damals, damalsTM Podcast,
Episode 50, 2017.

K. Leinweber, S. Ajuvo: Taschenrechner, damalsTM Podcast,
Episode 37, 2017.

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