Podcaster
Episoden
02.12.2025
16 Minuten
Dieses Briefing fasst die zentralen Entwicklungen und Debatten im
Bereich der künstlichen Intelligenz vom November 2025 zusammen.
Die wichtigsten Erkenntnisse umfassen technologische Fortschritte
bei führenden KI-Modellen, deren zunehmende Integration in
Gesellschaft und Medien sowie die damit verbundenen rechtlichen,
ethischen und wirtschaftlichen Herausforderungen.
Zentrale Erkenntnisse:
* Produktinnovation und Personalisierung: OpenAI
treibt mit GPT-5.1 die Entwicklung hin zu personalisierteren und
gesprächigeren KI-Interaktionen voran. Neue, anpassbare
Antwortstile und ein günstigeres Abonnementmodell („ChatGPT Go“)
sollen die Nutzerbasis erweitern und eine tiefere Integration in
den Alltag fördern. Gleichzeitig zeigen neue Prompting-Techniken
wie „Verbalized Sampling“, dass die Kreativität von KI-Modellen
oft nur durch die richtige Fragestellung freigesetzt wird.
* Soziale und gesellschaftliche Auswirkungen: KI
wird zunehmend in sensiblen Bereichen wie der mentalen Gesundheit
eingesetzt, wobei OpenAI von über einer Million wöchentlicher
Gespräche zum Thema Suizid berichtet. Die Befürchtungen eines
massiven, KI-bedingten Jobverlusts werden durch aktuelle Analysen
relativiert, die wirtschaftliche Faktoren wie Zinsen und Zölle
als Hauptursache für den Stellenabbau sehen. Im Haushaltsbereich
zeigt der ferngesteuerte Roboter „Neo“ die aktuellen Grenzen der
Autonomie und den Bedarf an menschlich generierten
Trainingsdaten.
* KI in Medien und Kreativwirtschaft: Die
Nutzung von KI im Mediensektor ist ambivalent. Während eine
Studie KI-Chatbots aufgrund einer Fehlerquote von 45 % als
unzuverlässige Nachrichtenquellen einstuft und die
österreichische Bevölkerung KI in den Medien mehrheitlich
kritisch sieht, demonstrieren Projekte wie das einer norwegischen
Lokalzeitung das Potenzial für investigativen Journalismus.
Gleichzeitig führen vollständig KI-generierte TV-Sendungen,
Werbespots und sogar ein Nummer-1-Country-Song zu intensiven
Debatten über Authentizität, Kreativität und die Legitimität von
KI-Kunst.
* Rechtliche Grauzonen und Auseinandersetzungen:
Der rechtliche Rahmen für KI ist weiterhin in Bewegung.
Zahlreiche Gerichtsverfahren, unter anderem zwischen OpenAI und
der New York Times oder Stability AI und Getty Images,
verdeutlichen ungelöste Fragen des Urheberrechts, insbesondere
bei grenzüberschreitend trainierten Modellen. Deutsche Gerichte
urteilen restriktiver bei der Nutzung von lizenzierten Inhalten
wie Liedtexten, während in den USA sogar der Einsatz von KI als
Geschworene getestet wird.
Technologische Fortschritte und Produktinnovationen
Die Entwicklung von KI-Modellen schreitet voran, wobei der Fokus
zunehmend auf verbesserter Nutzerinteraktion, Zugänglichkeit und
der Optimierung der Modellausgabe durch innovative Techniken
liegt.
GPT-5.1: Personalisierung und Konversation
OpenAI hat mit GPT-5.1 ein Update vorgestellt, das die
Kommunikation mit der KI natürlicher und persönlicher gestalten
soll. Die Modelle lassen sich nun besser an individuelle
Vorlieben anpassen, um die Tonalität und den Stil der Antworten
zu steuern.
* Ziel: Die Antworten sollen sich weniger wie
ein “Lexikon auf Beinen” anfühlen, sondern eher wie die eines
“Kumpels, der tatsächlich helfen will”. Dies wird durch einen
direkteren Sprachstil und den Einsatz von Emojis erreicht.
* Anpassbare Stile: Nutzer können aus einer
Reihe vordefinierter Stile wählen, um die Art der Antwort zu
steuern
Neue Preismodelle: ChatGPT Go
Um die Nutzerbasis zu erweitern, hat OpenAI ein günstigeres
Abonnementmodell namens „ChatGPT Go“ eingeführt, das auch in
Österreich für 7,99 € pro Monat verfügbar ist.
Dieses Modell positioniert sich als “Kampfpreis” zwischen der
kostenlosen Version und dem teureren Plus-Abonnement.
Der Hauptvorteil des Go-Abos gegenüber der Gratis-Version liegt
in höheren Nutzungslimits und der Möglichkeit, Projekte, Aufgaben
und individuelle GPTs zu erstellen. Ein zentraler Aspekt ist
zudem der verbesserte Datenschutz, da bei bezahlten Modellen eine
größere Kontrolle über die eigenen Daten besteht.
Fortgeschrittene Prompt-Techniken: “Verbalized Sampling”
Eine Studie von Forschern der Stanford University hat eine
einfache, aber wirkungsvolle Methode zur Steigerung der
Kreativität von KI-Modellen entdeckt: Verbalized
Sampling.
* Methode: Anstatt eine direkte Aufforderung wie
“Erzähl mir einen Witz” zu verwenden, wird die KI gebeten,
mehrere Optionen mitsamt ihrer Wahrscheinlichkeiten zu generieren
(z.B. “Generiere 5 Witze mit ihren Wahrscheinlichkeiten”).
* Ergebnis: Dieser Ansatz führt zu einer
doppelt so hohen Vielfalt in den Antworten, ohne
dabei die Genauigkeit zu beeinträchtigen. Die Technik
funktioniert laut Studie mit allen gängigen KI-Modellen und
erfordert kein erneutes Training oder Fine-Tuning des Modells.
KI in Gesellschaft und Alltag
Die fortschreitende Integration von KI in alltägliche
Lebensbereiche wirft Fragen zu Autonomie, mentaler Gesundheit und
den Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt auf.
KI im Haushalt: Der Neo-Roboter
Der Haushaltsroboter “Neo” kann für 20.000 €
oder im Abo für 500 € pro Monat vorbestellt
werden. Er verspricht, Aufgaben wie das Waschen von Wäsche oder
das Ausräumen des Geschirrspülers zu übernehmen. Ein Bericht des
Wall Street Journal enthüllte jedoch ein entscheidendes Detail:
* Menschliche Fernsteuerung: Bei komplexen
Tätigkeiten, die der Roboter nicht autonom bewältigen kann,
übernimmt ein menschlicher Operator die Steuerung per VR-Headset.
Dies erinnert an das historische Beispiel des “Schachtürken”.
* Zweck: Dieser “Human-in-the-Loop”-Ansatz dient
primär dem Sammeln von Trainingsdaten, um die Fähigkeiten des
Roboters zukünftig zu verbessern. Das Modell, sich für das
Sammeln von Trainingsdaten bezahlen zu lassen, stellt einen
unkonventionellen Weg in der Robotik-Entwicklung dar.
KI und Mentale Gesundheit
OpenAI hat Daten veröffentlicht, die eine massive Nutzung von
ChatGPT für Gespräche im Bereich der psychischen Gesundheit
belegen.
* Nutzungszahlen: Von 800 Millionen wöchentlich
aktiven Nutzern führen über eine Million
Gespräche, die sich auf das Thema Suizid beziehen. Dies
entspricht 0,15 % der Konversationen mit expliziten Indikatoren
für potenzielle Suizidplanung.
* Maßnahmen: Um die Sicherheit zu erhöhen,
arbeitet OpenAI mit über 170 Experten für psychische Gesundheit
zusammen. Dadurch sollen die Fehlerquoten bei sensiblen Themen
bereits um 65-80 % gesenkt worden sein.
* Gesellschaftlicher Trend: Diese Entwicklung
wird als Indiz für einen möglichen “sechsten Kondratieff-Zyklus”
interpretiert, der sich auf psychosoziale Gesundheit als
zentralen Markt für technologische Innovationen konzentriert.
KI und der Arbeitsmarkt: Eine Neubewertung
Entgegen der weit verbreiteten Sorge vor einer “KI-Jobapokalypse”
deuten aktuelle Analysen darauf hin, dass andere Faktoren einen
größeren Einfluss auf den Arbeitsmarkt haben.
* Amazon-Entlassungen: Der CEO von Amazon, Andy
Jassy, betonte, dass die Streichung von bis zu 30.000 Bürojobs
auf eine veränderte Unternehmenskultur und nicht auf den Einsatz
von KI zurückzuführen sei.
* Wirtschaftliche Faktoren: Eine Analyse von
Fortune zeigt, dass der Rückgang an offenen Stellen (-30 % seit
der Einführung von ChatGPT) weniger auf KI als auf ökonomische
Faktoren wie Zinsen und Zölle zurückzuführen
ist.
Rechtliche und Regulatorische Entwicklungen
Die rasante Entwicklung der KI führt zu einer Vielzahl von
rechtlichen Auseinandersetzungen, die grundlegende Fragen des
Urheberrechts und der Regulierung aufwerfen.
* OpenAI vs. New York Times: OpenAI war im
Rahmen der Klage wegen der Nutzung von Trainingsdaten
vorübergehend gerichtlich untersagt worden, Chatverläufe zu
löschen. Diese Anordnung wurde inzwischen wieder aufgehoben.
* Stability AI vs. Getty Images: Ein britisches
Gericht wies eine Klage von Getty Images ab. Die Begründung: Das
KI-Modell wurde in den USA trainiert, weshalb das britische
Urheberrecht nicht anwendbar sei. Dies wirft die grundlegende
Frage auf, welches nationale Recht für global agierende
KI-Modelle gilt.
* Deutsches Urteil zu Liedtexten: Ein deutsches
Gericht entschied, dass ChatGPT Liedtexte nicht ohne
entsprechende Lizenz der GEMA als Trainingsdaten verwenden darf.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
* KI als Geschworene: Die University of North
Carolina führt Experimente durch, in denen KI-Modelle wie GPT-4
und Claude als computergestützte Geschworene in fiktiven
Gerichtsverfahren agieren.
* Aufstieg von Legal-Tech: Der Einsatz von
KI-Anwälten und -Werkzeugen nimmt im Rechtsmarkt zu, was sowohl
Effizienzsteigerungen als auch neue Risiken mit sich bringt.
KI in Medien, Kunst und Kreativwirtschaft
Die Anwendung von KI in kreativen und informativen Bereichen
führt zu gemischten Ergebnissen und löst grundlegende Debatten
über Qualität, Authentizität und die Rolle des Menschen aus.
Zuverlässigkeit von KI als Nachrichtenquelle
Eine Studie unter Beteiligung der European Broadcast Union (EBU)
bewertet KI-Chatbots als Nachrichtenquelle als
“unbrauchbar und gefährlich” mit einer
durchschnittlichen Fehlerquote von 45 %.
* Fehlerarten: Hauptprobleme sind falsche
Quellenangaben (31 %) und inhaltliche Fehler (20 %).
* Leistung der Modelle: Gemini schnitt mit 76 %
mangelhaften Antworten am schlechtesten ab, gefolgt von Copilot
(37 %), ChatGPT (36 %) und Perplexity (30 %).
* Themenabhängigkeit: Bei politischen Fragen
(”Beginnt Trump einen Handelskrieg?”) zeigten die Modelle
deutlich mehr Schwächen als bei unpolitischen Themen wie Sport
oder Geografie.
Öffentliche Wahrnehmung und Medienkompetenz in Österreich
Eine von der RTR mitfinanzierte Studie zeigt eine hohe Skepsis in
der österreichischen Bevölkerung.
* Kritische Haltung: 70 % der Befragten sehen
den Einsatz von KI in Medien kritisch und fühlen sich im Umgang
mit der Technologie nicht kompetent.
* Selbsteinschätzung der KI-Kompetenz (n=1539):
* Sehr kompetent: ca. 5 %
* Eher kompetent: ca. 26 %
* Eher weniger kompetent: ca. 47 %
* Überhaupt nicht kompetent: ca. 23 %
Anwendungsfälle im Journalismus und Fernsehen
* Investigativer Journalismus: Die norwegische
Lokalzeitung Tromsø (22 Reporter) nutzt erfolgreich KI-Bots, um
Behördenakten (z.B. zu Grundstücksvergaben) systematisch zu
durchforsten. Dies ermöglicht der kleinen Redaktion, investigativ
zu arbeiten und exklusive Geschichten aufzudecken.
* KI-generierte TV-Sendungen:
* Channel 4 (UK): Sorgte mit einer
Dokumentation, die von der vollständig KI-generierten Moderatorin
“Arti” präsentiert wurde, für Kontroversen.
* Puls 4 (Österreich): Startete mit
“kudlmudl.ki” eine komplett KI-generierte Satiresendung im
Vorabendprogramm, bei der die menschliche Kontrolle aber
transparent gemacht wird.
Reaktionen auf KI-generierte Inhalte
* Coca-Cola Weihnachtsspot: Der erneut mit KI
generierte “Holidays are coming”-Spot wurde von vielen
YouTube-Nutzern als “seelenlos”, “unnatürlich” und “uncanny”
kritisiert.
* Nummer-1-Hit in den Country-Charts: Der
vollständig KI-generierte Song “Walk My Walk” von “Breaking Rust”
erreichte Platz 1 der Billboard Country Digital Song Sales. Dies
löste eine Debatte aus, ob KI-generierte Werke in offiziellen
Charts legitimiert werden sollten, da dies laut Kritikern
“Künstler:innen die Incentives nimmt”.
Soziale und Philosophische Betrachtungen
Über die technischen Anwendungen hinaus wirft KI grundlegende
Fragen nach der Natur menschlicher Beziehungen und der Stabilität
der durch sie angetriebenen Wirtschaftszyklen auf.
Die Grenzen der Empathie: KI als Beziehungspartner
KI-Begleiter können zwar Empathie simulieren, aber keine echte,
gegenseitige Beziehung bieten. Die zentrale Argumentation lautet,
dass eine echte menschliche Verbindung nicht nur auf dem
Empfangen von Bestätigung beruht, sondern auf dem Prinzip von
Geben und Wirken.
* Einseitigkeit: Die Interaktion mit einer KI
ist rein konsumierend. Der Nutzer erhält, gibt aber nichts
zurück, da die KI keine eigenen Bedürfnisse oder Ziele hat.
* Fehlende Gegenseitigkeit: Ein menschliches
Grundbedürfnis ist es, wertvoll zu sein und etwas zu bewirken.
Dieses Gefühl kann ein KI-Dialog, der auf einer Diener-Rolle
basiert, nicht erfüllen.
* Scheinfreundschaft: KI-Begleiter bieten
Sicherheit ohne das Risiko einer echten Beziehung, aber damit
auch ohne deren Tiefe.
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23.11.2025
15 Minuten
Einleitung: Die neue Phase der KI-Evolution
In der heutigen Sendung analysieren wir die strategischen Kämpfe,
die diese neue Ära definieren: den Kampf um die Vorherrschaft bei
KI-Plattformen, der das offene Internet fundamental
transformiert; die globale Machtverschiebung in der
KI-Entwicklung, angeführt von einem rasant aufholenden China; und
die ersten ernsthaften regulatorischen und gesellschaftlichen
Reaktionen auf diese Umwälzungen.
Hier sind die drei wichtigsten Schlagzeilen dieses Monats:
* Das KI-Betriebssystem: OpenAIs aggressive
Strategie, ChatGPT zum zentralen Hub für alle digitalen
Aktivitäten auszubauen und ein eigenes Ökosystem zu schaffen.
* Googles Web-Revolution: Die flächendeckende
Einführung der KI-gesteuerten Suche, die das Geschäftsmodell von
Publishern weltweit auf den Kopf stellt.
* Der Vormarsch des Drachen: Chinas
beeindruckender Aufstieg, bei dem chinesische KI-Modelle die
Open-Source-Welt dominieren und humanoide Roboter die Fabriken
erobern.
Der Kampf um das Ökosystem: Plattformen und Browser
Der Wettbewerb in der KI-Welt hat eine neue Dimension erreicht.
Es geht nicht mehr nur darum, das leistungsfähigste Sprachmodell
zu besitzen. Der wahre Kampf findet nun auf einer höheren Ebene
statt: Es ist der Kampf um das Ökosystem, um die Kontrolle der
zentralen Schnittstelle, über die Nutzer mit der digitalen Welt
interagieren. Wer diese Schnittstelle kontrolliert, kontrolliert
den Zugang zu Information, Dienstleistungen und letztlich auch zu
den Nutzern selbst.
OpenAIs Plattform-Strategie
OpenAI treibt diese Entwicklung mit aller Macht voran und
verfolgt die klare Vision, ChatGPT in ein umfassendes
Betriebssystem zu verwandeln. Die Strategie stützt sich auf
mehrere Schlüsselkomponenten:
* Apps SDK & “In-Chat-Apps”: Mit dem neuen
Apps SDK ermöglicht OpenAI die nahtlose Integration von Diensten
wie Canva, Spotify, Expedia oder
Booking.com direkt in den Chat. Das strategische
Ziel ist klar formuliert: Nutzer sollen die ChatGPT-Plattform
nicht mehr verlassen müssen, um einen Flug zu buchen, eine
Playlist zu erstellen oder ein Design zu entwerfen.
* AgentKit: Ergänzend dazu wird das AgentKit
bereitgestellt, ein Toolkit zur Entwicklung autonomer KI-Agenten,
die Aufgaben für den Nutzer erledigen.
* Das strategische Kalkül: Unternehmen wie
Booking.com stehen unter massivem Druck, diese Integrationen
selbst zu entwickeln. OpenAIs Marktmacht ist so groß, dass es
kaum möglich ist, die Plattform zu ignorieren. Zudem lockt die
Aussicht, von ChatGPT proaktiv empfohlen zu werden und so eine
enorme Sichtbarkeit zu erlangen. Die Angst, von einem
Konkurrenten abgehängt zu werden, der die Integration bereits
anbietet, tut ihr Übriges. OpenAI lässt die Firmen die Arbeit
machen und zementiert so seine eigene Vormachtstellung.
Der Aufstieg der KI-Browser
Als logische Erweiterung dieses Plattform-Krieges etabliert sich
ein neuer Trend: die sogenannten “KI-Browser”. Anbieter wie
Atlas, Arc, Perplexity, Brave AI oder auch
Microsoft mit Copilot+ Edge bauen Browser, die weit mehr sind als
reine Anzeigeprogramme für Webseiten.
* Autonome Recherche: Die KI sucht nicht nur
nach Links, sondern durchsucht Inhalte selbstständig, fasst sie
zusammen und bewertet die Quellen für den Nutzer.
* Tiefgreifende Personalisierung: Der Browser
lernt kontinuierlich aus dem Kontext und dem Verlauf des Nutzers.
Er versteht nicht mehr nur, was man tippt, sondern was man meint.
* Datenschutz-Implikationen: Diese neuen
Fähigkeiten haben ihren Preis. Die KI “liest” permanent mit, was
der Nutzer tut. Dies wirft erhebliche Datenschutzbedenken auf und
macht die Wahl des KI-Assistenten zu einer sehr persönlichen
Entscheidung über die eigene digitale Souveränität.
Dieser erbitterte Kampf um die Benutzerofläche führt uns direkt
zur größten Umwälzung, die das Internet seit seiner
Kommerzialisierung erlebt hat: der Transformation der Suche.
Die Transformation der Suche: Google stellt das Web auf den Kopf
Was Google derzeit mit seiner Suchmaschine macht, ist weit mehr
als nur ein Feature-Update. Die Aktivierung des “KI-Modus” –
jetzt auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz – ist ein
fundamentaler Angriff auf das bisherige Geschäftsmodell des
offenen Webs, das auf dem Austausch von Klicks und Traffic
basiert.
Das Ende der blauen Links
Googles neue Suche verändert das Nutzererlebnis und die
dahinterliegende Mechanik radikal:
* Funktionsweise: Anstelle der klassischen Liste
blauer Links präsentiert Google nun direkt eine KI-generierte
Zusammenfassung als Antwort. Die Suche wird zudem multimodal und
akzeptiert Eingaben in Form von Text, Bildern und Sprache.
* Dramatische Folgen für Publisher: Die
Auswirkungen auf Webseitenbetreiber sind verheerend. Analysen aus
den USA, wo “AI Overviews” schon länger aktiv sind, zeigen, dass
Publisher bis zu 89 % weniger Klicks
verzeichnen. Die Nutzer erhalten ihre Antwort direkt von Google
und haben kaum noch einen Anreiz, die ursprüngliche Quelle zu
besuchen.
* Das Internet als Wissensarchiv: Diese
Entwicklung zementiert eine neue Rolle für das Web. Es wird
zunehmend zu einem reinen “Wissensarchiv für die KI”. Die
Inhalte-Ersteller liefern die Daten, aber der direkte Kontakt zum
Nutzer wird von der KI-Plattform gekappt.
Strategische Herausforderungen
Diese Verschiebung wirft existenzielle Fragen für alle Akteure
auf:
* SEO der Zukunft: Wie optimiert man Inhalte für
eine KI, die selbst zur Antwort wird und nicht mehr nur verweist?
Die Relevanz für die KI wird zum neuen, entscheidenden Kriterium.
* Googles Geschäftsmodell: Auch für Google
selbst ist dieser Schritt riskant. Wie lässt sich das
hochprofitable Werbegeschäft in ein Antwort-basiertes System
integrieren, ohne die Nutzererfahrung zu stören?
Während etablierte Systeme umgewälzt werden, entstehen
gleichzeitig disruptive neue Fähigkeiten, die die Grenzen dessen,
was KI generieren kann, erneut verschieben – insbesondere im
Bereich Video und menschlicher Interaktion.
Die nächste Generation generativer KI: Video, Audio und Erotik
Die Fortschritte bei generativen KI-Modellen für Video sind
atemberaubend. Die neueste Generation integriert nun auch die
Audio-Erzeugung und wird zunehmend für die breite Masse
zugänglich. Dies läutet eine neue Welle kreativer, aber auch
höchst problematischer Anwendungen ein.
Neue Modelle, neue Gefahren
Zwei Modelle stehen diesen Monat im Fokus:
* OpenAI Sora 2: Die Weiterentwicklung des
wegweisenden Videomodells kann nun auch passenden Ton und Sprache
direkt mitgenerieren.
* Grok Imagine Video: Das Modell von xAI ist
nicht nur gratis verfügbar und unterstützt ebenfalls Audio,
sondern verfügt auch über einen sogenannten “Spicy Modus” mit
deutlich reduzierten Zensurmechanismen.
Das Missbrauchspotenzial dieser Werkzeuge ist immens. Berichte
zeigen, wie mit Grok auf Knopfdruck Deepfakes von Prominenten,
inklusive Nacktbildern, erstellt werden. Besonders beunruhigend
ist die Fähigkeit, die Stimme von Persönlichkeiten wie Donald
Trump perfekt zu klonen und ihm beliebige Aussagen in den Mund zu
legen – ein gefährliches Werkzeug in einer politisch aufgeladenen
Zeit.
OpenAI öffnet die Tür für Erotik
In einem strategischen Schritt, der den riesigen kommerziellen
Markt für KI-gestützte menschliche Begleitung anerkennt, hat
OpenAI angekündigt, ab Dezember Erotik und “mature chats” auf
ChatGPT zuzulassen.
* Die Ankündigung: Verifizierten Nutzern über 18
Jahren wird es erlaubt sein, “mature conversations” zu führen.
Zudem können personalisierte KI-Begleiter mit Profilen wie
“freundschaftlich”, “romantisch” oder “flirtend” erstellt werden.
* Der Marktkontext: OpenAI reagiert damit nicht
nur auf einen gigantischen Markt, der bisher von unzensierteren
Plattformen wie Grok AI bedient wird. Der Schritt ist eine
konsequente Fortsetzung der Ökosystem-Strategie: Jeder Grund, die
Plattform zu verlassen, wird eliminiert. Ein treffender Kommentar
in den sozialen Medien lautete, dass der Begriff “ChatGPT Plus”
dadurch eine völlig neue Bedeutung bekommen könnte.
* Beispiel Grok AI: Wie weit solche
Interaktionen gehen können, zeigt die Erfahrung einer
Journalistin von The Verge mit Groks KI-Begleiterin “Oni”. Sie
beschreibt die Erfahrung als eine “moderne Version einer
Telefonsex-Hotline”, die zu extrem expliziten und verstörenden
Interaktionen führen kann.
Während westliche Firmen neue, kontroverse Märkte erschließen,
verschiebt sich das globale Kräfteverhältnis in der
KI-Entwicklung mit hoher Geschwindigkeit – insbesondere durch den
rasanten Aufstieg Chinas.
Globale Machtverschiebung: Der Aufstieg Chinas in KI und Robotik
Der “State of AI Report 2025”, eine der wichtigsten jährlichen
Analysen der Branche, signalisiert eine neue Phase des globalen
Wettbewerbs. Der Fokus verlagert sich von der reinen Größe der
Modelle hin zu deren Fähigkeit zur logischen Schlussfolgerung
(Reasoning), Planung und Selbstkorrektur. Genau in diesem Bereich
holt China massiv auf.
Kernerkenntnisse aus dem State of AI Report 2025
* Eine neue KI-Phase: Die entscheidenden
Faktoren für die Leistungsfähigkeit von KI-Systemen sind jetzt
Reasoning, Planning und Self-Correction.
* Chinas unaufhaltsamer Vormarsch: Chinesische
KI-Labore wie DeepSeek und Qwen
schließen die Lücke zu westlichen Spitzenmodellen in
beeindruckender Geschwindigkeit. Eine zentrale Statistik
unterstreicht diesen Trend: Qwen hat Metas Llama überholt
und ist mit einem Anteil von über 40 % an neuen monatlichen
Modellderivaten das meistgenutzte Open-Source-Modell der
Welt.
* Europa im Rückstand: Der Bericht stellt fest,
dass Europa bei der praktischen Umsetzung des EU AI Act
hinterherhinkt.
Chinas Dominanz in der Robotik
Dieser Vormarsch bei der Software wird durch eine ebenso
beeindruckende Dominanz bei der Hardware ergänzt.
* Überholmanöver: China hat die USA mit
über 300.000 installierten Industrierobotern
bereits überholt.
* Die neue humanoide Generation: Die neuesten
vorgestellten humanoiden Roboter zeigen massive Fortschritte:
* Unitree H2: Ein 1,82 m großer und 70 kg
schwerer Industrie-Humanoid, dessen offizielles Werbevideo
“Destiny Awakening” von vielen Beobachtern als verstörend
empfunden wurde.
* Figure 03: Ausgestattet mit erweiterter
Sensorik, kabellosem Laden und für den Einsatz in Industrie und
Haushalt konzipiert. Vorgängermodelle dieses Roboters sind
bereits in BMW-Fabriken im produktiven Einsatz.
* Tesla Optimus: Als Randnotiz sei erwähnt, dass
auch Teslas Roboter beeindruckende Fortschritte macht und
mittlerweile Kung Fu lernt.
Diese technologischen Machtverschiebungen lösen weltweit
politische und gesellschaftliche Reaktionen aus, die versuchen,
mit dem Tempo der Entwicklung Schritt zu halten.
Die Reaktion: Regulierung und gesellschaftliche Disruption
Die rasante und tiefgreifende Entwicklung der KI zwingt
Regierungen und ganze Industriezweige weltweit zum Handeln.
Regulierung ist längst kein rein europäisches Phänomen mehr.
Politische und Regulatorische Initiativen
* Kalifornien: Der US-Bundesstaat, Heimat des
Silicon Valley, hat ein wegweisendes Transparenzgesetz für
sogenannte “Frontier KI” verabschiedet. Für Entwickler von sehr
großen Modellen (Schwellenwerte: > 10²⁶ Rechenoperationen oder
> 500 Mio. USD Umsatz) gelten ab 2027 strenge Pflichten,
darunter ein jährlicher Transparenzbericht und eine Meldepflicht
bei Sicherheitsvorfällen. Verstöße können mit Strafen von bis zu
1 Million US-Dollar geahndet werden.
* Albanien: In einem bemerkenswerten Schritt hat
das albanische Parlament die virtuelle KI-Ministerin “Diella”
(albanisch für Sonne) offiziell als Teil des Regierungskabinetts
bestätigt. Ihr erklärtes Ziel ist die Förderung von Transparenz
und die Bekämpfung von Korruption bei öffentlichen Aufträgen.
Disruption in der Entertainment-Branche
Die Auswirkungen von KI sind besonders in der Kreativwirtschaft
spürbar und führen zu einer tiefen Verunsicherung.
* Hollywood in Schockstarre: Während Berichte
über eine regelrechte “KI-Apokalypse” in Hollywood laut Experten
stark übertrieben sind, befindet sich die Branche in einer Art
Schockstarre. Der massive Hype um KI führt zu einer tiefen
Unsicherheit, die Studios zögern lässt, klassische und teure
Produktionen zu beauftragen. Gleichzeitig sorgt die erste
buchbare KI-Schauspielerin “Tilly Norwood” für Aufruhr und
scharfe Kritik von Stars wie Emily Blunt.
* Extreme in der Musikindustrie: Die Disruption
zeigt sich hier in zwei gegensätzlichen Entwicklungen: Während
die vollständig KI-generierte Künstlerin Xania
Monet einen Plattenvertrag über 3 Millionen Dollar
erhält, muss Spotify gleichzeitig 75
Millionen KI-generierte Songs von seiner Plattform
löschen, um der schieren Flut an maschinell erstellten Inhalten
Herr zu werden.
Neben diesen großen gesellschaftlichen Umbrüchen rücken nun auch
die konkreten Auswirkungen von KI im Arbeitsalltag stärker in den
wissenschaftlichen Fokus.
Aus der Praxis: KI im Arbeitsalltag und das “Schmankerl des
Monats”
Wie verändert KI unsere tägliche Arbeit wirklich? Um diese Frage
auf eine solide wissenschaftliche Basis zu stellen, führt die
Universität Krems aktuell eine Online-Studie
durch. Die zentralen Forschungsfragen lauten:
* Welche KI-Anwendungen sind im Arbeitsalltag besonders nützlich?
* Wie viel Zeit wird tatsächlich gespart?
* Welche weiteren Nutzenaspekte, wie z.B. die Reduktion von
Ausgaben, gibt es?
Wir ermutigen unsere Zuhörerinnen und Zuhörer zur Teilnahme, um
hier zu besseren Vergleichsdaten zu kommen. Den Link dazu finden
Sie wie immer in den Shownotes.
Das KI-Schmankerl des Monats
Zum Abschluss noch ein Beispiel, das zeigt, wie weit die
kommerzielle Anwendung von KI-Video bereits ist: ein Werbespot
für die Wassermarke “Liquid Death”.
* Der Inhalt: Das Video zeigt eine skurrile
Polizeikontrolle im Schnee, die sich am Ende als aufwendig
inszenierte Geburtstagsüberraschung für den Fahrer herausstellt.
* Die Analyse: Das wirklich Beeindruckende daran
ist, dass die gesamte Produktion – von den Schauspielern über die
winterliche Szenerie bis hin zum perfekt platzierten Produkt, der
Dose Wasser – zu 100 % KI-generiert ist. Der
Spot demonstriert eindrucksvoll, wie sich mit verhältnismäßig
geringen Produktionskosten Ergebnisse erzielen lassen, die von
einer klassischen Produktion kaum noch zu unterscheiden sind.
Fazit und Ausblick
Wenn wir die Entwicklungen des Oktobers 2025 zusammenfassen,
kristallisieren sich drei zentrale Trends heraus, die die nächste
Phase der KI-Revolution prägen werden:
* Der Krieg der Ökosysteme: Der Wettbewerb hat
sich verlagert. Es geht nicht mehr primär um das beste Modell,
sondern um die totale Kontrolle der Nutzerschnittstelle.
KI-Anbieter wie OpenAI und Google bauen geschlossene Welten, die
das offene, dezentrale Internet in seiner bisherigen Form
existenziell bedrohen.
* Die unaufhaltsame Beschleunigung: Die
Fortschritte bei Video- und Robotertechnologie sowie die
kommerzielle Erschließung neuer, kontroverser Märkte wie “Erotik”
schreiten in einem Tempo voran, mit dem die gesellschaftliche
Debatte und die regulatorische Anpassung kaum noch Schritt halten
können.
* Die neue globale Landkarte: Der unaufhaltsame
Aufstieg Chinas, sowohl bei der KI-Software mit Modellen wie Qwen
als auch bei der Hardware in der Robotik, definiert das globale
technologische Kräfteverhältnis neu. Die bisherige Dominanz des
Silicon Valley ist ernsthaft in Gefahr.
Wir stehen an einem Wendepunkt, an dem die Entscheidungen, die
heute in den Laboren und Konzernzentralen getroffen werden, die
Struktur unserer digitalen und physischen Welt für Jahrzehnte
prägen werden. Bleiben Sie kritisch, bleiben Sie neugierig. Wir
hören uns nächsten Monat wieder.
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sindrewimberger.substack.com/subscribe
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