Oscars & Himbeeren - der Film- und Serien-Podcast
Texte, Kritiken und ein wöchentlicher Podcast über Kino, Erinnerung und die Magie der Bilder - zwischen VHS-Nostalgie, Streaming-Gegenwart und dem, was Film in uns auslöst.
Podcaster
Episoden
28.11.2025
36 Minuten
“Train Dreams” ist einer dieser seltenen Filme, die sich nicht
anbiedern, nicht hetzen und auch nicht versuchen, mit künstlicher
Dramatik Aufmerksamkeit zu erzwingen. Er erzählt das Leben des
Bahn- und Holzarbeiters Robert Grainier so unspektakulär, wie das
Leben eines Menschen nun einmal oft ist. Und genau darin liegt
die Kraft dieses Netflix-Films.
Die Inszenierung ist leise und entschleunigt. Die Kamera
beobachtet mehr, als dass sie inszeniert, und das funktioniert
erstaunlich gut. Die Bilder stimmen, die Atmosphäre trägt, und
Joel Edgerton spielt Robert mit einer Zurückhaltung, die am Ende
mehr über diesen Mann verrät, als es laute Szenen je könnten. Es
ist ein Film, der sich Zeit nimmt: für Landschaften, für
Stimmungen und für die kleinen Wechsel in einem Gesicht. Wer
schnelle Wendungen oder klassische Western-Konflikte erwartet,
wird hier definitiv nicht bedient. Aber wer sich auf die Ruhe
einlässt, bekommt ein sehr intensives Erlebnis.
Besonders stark ist, wie der Film große Themen wie Verlust,
Einsamkeit und Wandel nicht erklärt, sondern einfach spürbar
macht. Es gibt keine großen Monologe und keine Konstruiertheit.
Alles wirkt natürlich und uneitel. Der Schmerz, der Alltag und
die ständigen Versuche weiterzumachen. All das wird sehr
schlicht, aber sehr präzise erzählt.
“Train Dreams” ist kein Film für jeden Abend und nicht für jeden
Geschmack. Er ist langsam, melancholisch und streckenweise
schwer. Doch genau so soll er sein. Und wer diese Art von
Erzählung schätzt, bekommt ein herausragendes Werk, das lange
nachhallt. Kein lauter Oscar-Bittsteller, sondern ein stiller
Film, der seine Wirkung erst zeigt, wenn man danach noch eine
Weile sitzen bleibt.
Für Fans ruhiger, atmosphärischer Filme ist “Train Dreams” ein
ganz klarer Empfehlungstitel. Ein Film, den man nicht einfach nur
schaut, sondern den man einatmet.
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21.11.2025
26 Minuten
“Mr. Scorsese” ist eine jener Dokumentationen, die einem sofort
das Gefühl geben, man bekomme etwas Echtes zu sehen. Es ist nicht
nur ein Best-of großer Momente, sondern ein durchdachtes, ruhiges
Porträt eines Mannes, der das Kino geprägt hat und trotzdem
erstaunlich geerdet geblieben ist. Rebecca Miller begleitet
Martin Scorsese mit spürbarem Respekt und mit einer Ruhe, die
dieser Serie guttut. Nichts wirkt aufgeblasen und nichts unnötig
dramatisiert. Schritt für Schritt entsteht das Bild eines
Künstlers, der seine Arbeit seit Jahrzehnten mit derselben
Mischung aus Neugier, Selbstkritik und Leidenschaft betreibt.
Die Gespräche mit De Niro, DiCaprio, Spielberg und vielen anderen
haben etwas Intimes. Sie wirken nicht wie große Statements für
die Pressemappe, sondern wie Erinnerungen von Menschen, die ihn
über weite Strecken ihres Lebens begleitet haben. Gerade die
persönlichen Rückblicke, seine Kindheit in Little Italy, die
katholische Prägung, das fragile asthmakranke Kind im engen New
York der Nachkriegsjahre, lassen spüren, wie tief diese
Erfahrungen später in seinen Filmen weitergearbeitet haben. Viele
Motive, die sein Werk prägen, wirken nach dieser Dokumentation
fast zwangsläufig.
Besonders stark ist die Serie dort, wo Scorsese über seine Krisen
spricht. Momente, in denen Studios Druck machten, Projekte zu
scheitern drohten oder seine Vision infrage gestellt wurde. Die
Episode rund um Taxi Driver, in der er offen darüber spricht, wie
weit er zu gehen bereit war, um seinen Film zu schützen, zeigt
nicht nur seine Beharrlichkeit, sondern auch seine
Verletzlichkeit. Trotz all dieser Härte bleibt er erstaunlich
selbstironisch und nie selbstgefällig.
Millers Inszenierung ist zurückhaltend und präzise. Sie lässt
Scorseses Stimme Raum und vertraut auf seine Erinnerungen, ohne
sie zu überhöhen. So entsteht ein menschliches und oft
überraschend leises Bild eines Regisseurs, der sich nie auf
seinem Ruf ausgeruht hat.
“Mr. Scorsese” ist keine spektakuläre Enthüllungsdokumentation.
Sie braucht das auch nicht. Es ist ein ruhiges, sorgfältig
erzähltes und respektvolles Porträt eines Filmemachers, dessen
Filme unser Bild von Moral, Gewalt, Schicksal und Erlösung über
Jahrzehnte geprägt haben. Genau deshalb funktioniert diese
Dokumentation so gut. Sie lässt einen Mann sprechen, der sein
Leben lang versucht hat, die Welt zu verstehen, Bild für Bild.
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14.11.2025
26 Minuten
Guillermo del Toro hat sich mit “Frankenstein” an eines der
bekanntesten Werke der Literaturgeschichte gewagt. Und wie zu
erwarten, liefert er kein klassisches Kostümstück, sondern eine
eigene, visuell überwältigende Interpretation. Der Film ist in
jeder Einstellung üppig ausgestattet: großzügige Sets,
sorgfältige Kostüme und ein atmosphärisches Licht, das zwischen
düsterer Melancholie und märchenhafter Überhöhung pendelt. Man
sieht sofort, wie viel handwerkliche Liebe in diesem Projekt
steckt. Dieser Film wirkt nicht einfach nur produziert, sondern
gebaut und geschmiedet.
Del Toro interessiert sich aber weniger für die philosophischen
Kernthemen, wie Mary Shelley sie in ihrem Roman anlegte, sondern
stärker für sein eigenes mythologisches Universum. Die Fragen
nach Verantwortung, ethischer Grenzen und dem existenziellen
Schmerz der Kreatur sind zwar vorhanden, aber sie treten hinter
der starken Bildsprache und del Toros persönlicher Deutung
zurück. Genau hier liegt der zentrale Punkt: Seine Version lässt
vieles von dem, was den Roman seit zwei Jahrhunderten so stark
macht, spürbar außer Acht. Die literarische Tiefe, die kühle
Klarheit und die moralische Wucht - all das wird von einer sehr
freien, sehr modernen Interpretation überlagert.
Das ist nicht zwingend schlecht, nur anders. Wer eine werkgetreue
Adaption sucht, wird irritiert sein. Wer aber bereit ist,
“Frankenstein” als del Toros eigenes Märchen aus Fleisch, Blut
und Metall zu sehen, findet einen Film, der einen packen kann.
Unterm Strich: ein sehenswertes Werk. Kein Shelley-Frankenstein,
aber ein del-Toro-Frankenstein: opulent, emotional und extrem
eigensinnig. Und auf seine Weise absolut faszinierend.
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07.11.2025
38 Minuten
“Ballad of a Small Player” ist ein Film, der viele Versprechen
macht, am Ende jedoch erstaunlich wenig einlöst. Schon nach den
ersten Minuten merkt man, dass hier großes, poetisches Kino
entstehen soll. Alles liegt in sanftem Licht, jedes Bild ist
präzise komponiert und jede Bewegung exakt überlegt. Doch genau
das macht Edward Bergers Film schwer greifbar. Es ist, als würde
man einem Gemälde beim Trocknen zusehen. Schön und vollkommen,
aber ohne Leben. Der Film möchte berühren, schafft es aber nur in
den seltensten Momenten.
Colin Farrell spielt mit jener vertrauten Schwermut, die ihm so
leicht gelingt. Trotzdem bleibt seine Figur seltsam leer, wie ein
Spiegel, in dem kein Gesicht zurückblickt. Man erkennt, dass er
verzweifelt sein soll, dass in ihm etwas ringt, doch es erreicht
einen nicht. Zu viel Form und zu wenig Empfindung. Alles an
diesem Werk scheint der Ästhetik verpflichtet, nicht aber dem
Potenzial seiner Geschichte.
Regie und Kamera verlieren sich in Oberflächen, in Neonlichtern,
im Regen und in den Farben der Casino-Wände. Macau wird zur
Kulisse, kein Ort, sondern eine Idee von Müdigkeit und
Verlorenheit. Man wünscht sich etwas Raues, etwas
Unvorhergesehenes, doch der Film bleibt glatt und fern. Jede
Bewegung und jedes Wort wirken einstudiert.
“Ballad of a Small Player” scheint etwas erzählen zu wollen über
Schuld und Erlösung, über das, was bleibt, wenn man alles
verspielt hat. Doch die Worte verhallen. Zwischen den makellosen
Bildern und der weichen Musik öffnet sich eine Leere, die nicht
nachklingt, sondern verklingt. Am Ende bleibt man zurück,
beeindruckt von der Eleganz, aber ohne Gefühl. Ein Film, der
glänzt, ohne etwas mitzuteilen.
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31.10.2025
51 Minuten
Kathryn Bigelow ist zurück. Und sie tut das mit einem Film, der
wieder dort ansetzt, wo sie schon in “Zero Dark Thirty” oder “The
Hurt Locker” glänzte: an der Grenze zwischen Macht und
Zusammenbruch. In “A House of Dynamite” wird das Undenkbare wahr.
Eine atomare Bedrohung steht im Raum, niemand weiß genau, woher
sie kommt oder wie sie aufgehalten werden kann. Während in
Washington die Minuten verrinnen, kämpft ein Netzwerk aus
Militär, Politik und Beratern gegen das eigene System. Und gegen
die Angst, die alles lähmt.
Bigelow filmt das mit der Präzision einer Chirurgin. Ihre Kamera
sucht Gesichter, nicht Explosionen. Sie interessiert sich nicht
für den Knall, sondern für den Moment davor, in dem Menschen
Entscheidungen treffen, die über Millionen Leben bestimmen. Die
Spannung entsteht nicht durch Action, sondern durch Schweigen,
durch die Schwere eines Blicks, durch das Geräusch eines Atemzugs
im falschen Moment.
Idris Elba und Rebecca Ferguson tragen Passagen des Films mit
ruhiger Präsenz. Die Kamera von Barry Ackroyd fängt Gesichter und
Räume mit dokumentarischer Genauigkeit ein, während Volker
Bertelmanns Musik kaum hörbar, aber wirkungsvoll Spannung
erzeugt. Alles wirkt bewusst reduziert, fast spröde, als wolle
Bigelow vermeiden, dass Emotion über das Konzept hinauswächst.
Inhaltlich ist “A House of Dynamite” zweifellos sehenswert. Doch
nicht alles zündet, was Bigelow anlegt. Die Figuren bleiben in
manchen Momenten distanziert, fast symbolisch. Der Film will
viel, doch er schafft es nicht immer, seine Themen und
Spannungsmomente in Einklang zu bringen. Trotz eindrucksvoller
Szenen wirkt die Erzählung an manchen Stellen zu sehr mit sich
selbst beschäftigt.
Und trotzdem: Bigelow bleibt eine Meisterin der Atmosphäre. Sie
inszeniert Macht und Ohnmacht mit der gleichen Ruhe, mit der
andere Panik verbreiten. Ihr Film ist kein Spektakel, sondern ein
Nachdenken über Kontrolle, Vertrauen und Verantwortung in Zeiten
des Chaos. Am Ende bleibt weniger die Handlung als das Gefühl,
Zeugin eines gewaltigen inneren Bebens gewesen zu sein.
“A House of Dynamite” ist kein lauter Film, aber ein
eindringlicher. Er fragt, wie lange man die Welt noch festhalten
kann, wenn sie längst beginnt, sich selbst zu lösen.
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Über diesen Podcast
Immer freitags präsentiert Ronny Rüsch "Oscars & Himbeeren",
den Podcast rund ums Streamen! Jede Woche stellen der Filmexperte
und sein Co-Host Axel Max sich die Frage: Was ist neu bei Netflix,
Disney+, Amazon Prime & Co.? Welcher Film erhitzt die Gemüter?
Welche Serie wird jetzt schon gefeiert? Informativ. Unterhaltsam.
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