Und plötzlich politisch kontrovers

Und plötzlich politisch kontrovers

7 Minuten
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Als freier Journalist beschäftige ich mich mit dem weltpolitischen geschehen

Beschreibung

vor 3 Tagen

Ich bin so lange ich denken kann schon auf Social Media
unterwegs. Sogar auf den frühen wie MSN, MySpace, ICQ und Co.
Immer mal mit mehr oder weniger Content und immer wieder mit dem,
dass ich kurz davor war, richtig viel Bekanntheit zu bekommen,
und irgendein Neider mir das dann kaputt gemacht hat. Damit will
ich nicht behaupten, dass ich unschuldig bin, denn ich kam mit
den Ansprüchen von Followern, der Kritik und dem Hass oft nicht
zurecht. Was habe ich also oft gemacht – klar, Account
gelöscht.


In den ganzen Jahren, seit es Social Media gibt, war Social Media
noch nie so unsozial wie es jetzt ist. Da rede ich nicht mal von
ein, zwei Hasskommentaren, die man stehen lässt, weil diese
diesmal nicht so schlimm waren wie die bisherigen.
Droh-Nachrichten sind heute komplett normal und das inzwischen
nicht mal mehr mit Fake-Profilen. Eine Influencerin aus den USA
hat einen Hasskommentar bekommen und hat sich auf die Suche
gemacht. Sie ist drei Stunden gefahren, um den, der kommentiert
hat, auf der Arbeit zu besuchen. Er versuchte, Anzeige gegen sie
zu stellen, weil er sich angeblich bedroht fühlte, diese wurde
aber abgelehnt.


Ich selbst bin in einem Ambassador-Programm, zumindest noch, denn
das könnte sich rasant ändern. Mein Partner erwartet, dass keine
politisch kritischen Aussagen getroffen werden in den Accounts,
die man nutzt.


So gut, so schlecht. Bleibt die Frage: Was tun, wenn die
Welt sich entschieden hat, dein Leben zu einer politischen
Aussage zu machen?


Ich bin ein trans Mann, Intersex, schwul. Journalist, Läufer und
Hundebesitzer. Also ob nicht jedes einzelne Wort von eben für
viele sich anfühlen muss wie ein Schlag ins Gesicht, ist mein
Content genau das. Ich erzähle von meinem Leben, meinen Läufen
und meinem Hund, neben sozial und politisch kritischen
Äußerungen.


Nach meinem Social-Media-Management-Studium habe ich gezielt
beschlossen, dass ich nichts von einer
Einzelthema-Account-Content-Strategie halte – wobei,
wenn man genau hinschaut, dann ist es ein
Einzelthema – mein Leben ist das Thema.


Dass mein Leben tatsächlich politisch ist, hat damit zu tun, dass
sich Politik, Wirtschaft und Medien dazu entschieden haben, über
mich zu urteilen, weil ich trans, inter, schwul, Hundebesitzer,
Journalist und content creator bin.


Wenn man sich das also anschaut, dann kritisieren mich Menschen
im Internet aus unterschiedlichen Gründen. Denn sie sind
überzeugt, ich dürfe mein Leben nicht so leben, wie ich es lebe.
Je nachdem, wem ich zuhöre, komme ich in die Hölle, vergifte die
Gedanken von Kindern, bin pervers oder passe nicht in die
Gesellschaft. Vor allem recherchiere ich wohl nie richtig,
berichte nur einseitig und bin ohnehin grün-links versifft, und
man sieht es mir immer an.


Von der Politik, weil trans und intersex sein, von Politikern
plötzlich für ihre Agenda genutzt wird, um Meinungen zu pushen,
die mit der Realität nichts gemein haben. Politiker im Alltag
immer wieder gegen Journalisten hetzen und versuchen, ganz
offiziell Schutzgesetze zu untergraben oder dies aufheben zu
lassen.


Von Medien, weil sie lieber Juresica Parker schreiben statt Mario
Olszinski und lieber ein Bild in Drag drucken als ein Bild von
Mario, dem Angeklagten, ohne Make-up, ohne Frauenkleidung. Damit
ein problematisches politisches Meinungsbild erschaffen.


Von Firmen, die mit mir zusammenarbeiten, weil sie überzeugt
sind, dass ich nur für sie einen Account eröffnen soll, und dort
soll alles beige, unpolitisch und nur ein Thema sein. Sorry, aber
dafür, dass es „nur“ ein Ambassador-Programm ist, bekomme ich
nicht genug raus. Ambassador heißt nichts weiter, als dass ihr
das Geld für eine Kooperation nicht ausgeben wollt.


Zu guter Letzt auch noch von anderen Influencern, die ihre
Reichweite und ihren Bekanntheitsgrad ausnutzen, um noch mehr
Geld zu machen. Das Ganze, indem sie „Protect the Dolls“
schreiben und Merch raushauen. Von mir erwarten, dass ich dankbar
bin, dass sie etwas für die trans Community tun würden. Das alles
tun sie, ohne sich vorher mit der Geschichte dieser Aussage zu
beschäftigen. Denn ich als weißer trans Mann bin damit nicht
gemeint und auch weiße trans Frauen sind mit dieser Aussage nicht
gemeint. Der Ausspruch kommt aus der BPIOC-Community der 1980er
Jahre, wo schwarze und Latino- sowie indigene trans Frauen keine
Stimme hatten und die Verfolgung dieser Personengruppe extrem
war.


So wird mein Leben urplötzlich zu einer politisch stark
diskutierten Angelegenheit, zu der jeder eine kontroverse Meinung
hat. Und ich will eigentlich nur mein Leben leben und nicht
gerade ein Ambassador-Programm verlieren. Vor allem, da ich mit
der Firma auch privat verbunden bin und es ziemlich bescheiden
wäre, wenn der Vertrag plötzlich gekündigt werden würde.


Bleibt zuletzt die Frage: Was tun, wenn dein Leben ungewollt zu
einem politischen Statement wird und du nichts dagegen tun
kannst?


Ich poste weiter meinen Content, so wie ich ihn posten möchte,
und hoffe, dass Influencer, Politiker, Medien und Firmen
verstehen, dass Still­schweigen auch Zustimmung ist und manchmal
ein Leben ganz ungewollt genau dadurch zur politischen
Kontroverse wird, weil sie es dazu machen.


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