Russischer Einfluss: Ist Georgiens Traum von der EU ausgeträumt?
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vor 9 Monaten
Bei den aktuellen Protesten in Tiflis wehen die Flaggen Georgiens
und der EU direkt nebeneinander. Denn Tausende Menschen sehen den
proeuropäischen Kurs ihres Landes in Gefahr. Ihre Demos sind ein
klares Statement gegen den aktuellen Kurs der
nationalkonservativen Regierungspartei "Georgischer Traum". Der
Politologe Hannes Meissner beobachtet die Lage sehr genau: Er ist
wenig optimistisch, dass die georgischen EU-Befürworter Neuwahlen
durchsetzen können. Für ihn fehlt "die kritische Masse an
Personen, um tatsächlich einen Umsturz zu erzwingen".
Als Experte für postsowjetische Länder erklärt Hannes Meissner im
Podcast "Wirtschaft Welt & Weit" die Ausgangslage in
Georgien: Seit 2012 regiert dort die Partei "Georgischer Traum",
der ein zunehmend autoritärer Kurs vorgeworfen wird. Bei der
Parlamentswahl im Herbst hat sie sich erneut zum Wahlsieger
ausgerufen. Dabei steht der Vorwurf der Wahlmanipulation im Raum:
Die Regierung habe die Wahl massiv beeinflusst, sagt selbst ein
Bericht des Europarates. Auch die bisherige proeuropäische
Staatspräsidentin Salome Surabischwili wurde inzwischen ersetzt.
Die Regierungspartei versuche, die Proteste auszusitzen und die
Zivilgesellschaft einzuschüchtern, sagt Meissner im Podcast.
Gerade erst wurden mehrere Oppositionspolitiker festgenommen.
Viele Beobachter fürchten, dass Russland in Georgien an Einfluss
gewinnt.
Die ehemalige Sowjetrepublik im Südkaukasus ist seit 1991
selbstständig. Im Norden teilt sich das Land eine lange Grenze
mit Russland. Seit einem kurzen Krieg im Jahr 2008 kontrolliert
Russland die Teilrepubliken Abchasien und Südossetien, die an
dieser Grenze liegen. Der Westen hat damals nicht eingegriffen.
Auf diese Situation kommt Hannes Meissner in der neuen
Podcast-Folge zu sprechen: Russland habe damals ein klares Signal
an Georgien gesendet, das er so zusammenfasst: "Wenn wir wollen,
dann überrennen wir euch militärisch." Diese Erfahrung habe
Politik und Gesellschaft "nachhaltig geprägt".
Das erklärt den proeuropäischen Kurs vieler Menschen genauso wie
die pragmatische Einstellung zu Russland. Denn nicht nur
sicherheitspolitisch ist Georgien von Russland abhängig, auch
ökonomisch gibt es enge Beziehungen. Dabei ist der russische
Angriffskrieg gegen die Ukraine für Georgien wirtschaftlich von
Vorteil. Das Land hat sich den westlichen Sanktionen gegen
Russland nicht angeschlossen. "Viele Dienstleistungen sind von
Russland nach Georgien verlagert worden", so Meissner. Zudem
profitiere Georgien von Sanktionsumgehungen über den Südkaukasus.
Das habe einen "wirtschaftlichen Boom" eingeleitet: "Das erste
Mal seit Jahrzehnten sieht das Land einen deutlichen
wirtschaftlichen Aufschwung", konstatiert Meissner.
Welche Pläne verfolgt der Milliardär Bidsina Iwanischwili, der
die Partei Georgischer Traum einst gegründet hat? Der reichste
Mann Georgiens ist in Russland aufgewachsen. Ökonomisch und zu
einem hohen Grad auch politisch spreche man "im wahrsten Sinne
des Wortes eine gemeinsame Sprache", so Meissner. Aber was genau
bedeutet nun eine Annäherung Georgiens an Russland ganz konkret?
Vertritt Iwanischwili eine eher pragmatische Haltung oder agiert
er offen prorussisch? Und wie weit gehen die hybriden
Einflussnahmen Russlands? Das gilt es im Blick zu haben. "An
einer Aufgabe der Souveränität Georgiens und der bedingungslosen
Eingliederung in die russische Welt hat auch Iwanischwili mit
Sicherheit kein Interesse", so Meissner.
Was heißt das aus europäischer Perspektive? Georgien ist von
jeher eine wichtige Handelsroute zwischen Asien und Europa. Der
sogenannte "mittlere Korridor" der neuen chinesischen
Seidenstraße, der durch Georgien führt, hat seit dem
Ukraine-Krieg stark an Bedeutung zugelegt. Gewinnt Russland dort
weiter an Einfluss, wird laut Meissner "der Westen geostrategisch
aus diesem Raum herausgedrängt". Dabei steht für ihn primär das
Thema Energie im Fokus: Die Route über Aserbaidschan und Georgien
sei einst ausgebaut worden, um die energietechnische Abhängigkeit
Europas von Russland zu reduzieren.
Der Politologe Hannes Meissner ist Experte für postsowjetische
Länder an der Hochschule für Wirtschaft, Management und Finance
und an der Universität Wien. Außerdem berät er Unternehmen zu
politischen Risikomanagementstrategien in diesen Ländern.
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