Suchen und Finden

Suchen und Finden

Eine Zeichnung von Alexander Walter
24 Minuten

Beschreibung

vor 3 Jahren

Das Suchen, das Finden 


und die Freimaurerei





Es ist so eine Sache mit dem Suchen und Finden im Leben. Manchmal
sucht man und findet, manchmal sucht man und findet nicht. Hin
und wieder aber sucht man nicht und findet doch. Und dann wieder
sucht man nicht und findet auch nicht. Diese 4 möglichen
Kombinationen des Suchens und Findens bilden sich in der
Freimaurerei und dem einzelnen Freimaurer ab, wie auch schon bei
den Menschen, die sich auf dem Weg in die Königliche Kunst
befinden. Denn tatsächlich beginnt die maurerische Sozialisation
weit vor der Initiation. 





***





In der Regel, wie auch immer die Aufmerksamkeit des Einzelnen für
die Freimaurerei geweckt worden ist, ist zunächst im
beiderseitigen Interesse zu klären, ob die Freimaurerei das ist,
beinhaltet oder bieten kann, was der Profane sucht. Denn nur wenn
hier auch dasjenige gefunden werden kann, was gesucht wird,
besteht eine realistische Chance, einen lebenslangen Bund
einzugehen.





Umgekehrt verhält es sich genauso. Nur wenn die Bruderschaft in
einem Profanen das findet, was sie sucht, nur wenn die Loge in
einem aufrichtig interessierten Menschen, der sich der Maurerei
im persönlichen Austausch, über eine gewisse Zeit genähert und
bis zu einem bestimmten Grad zu erkennen gegeben hat, dasjenige
erblicken kann, was sie in einem menschlichen Sinne bereichert,
kommt die Ermutigung zum Stellen eines Aufnahmegesuchs in
Frage. 





Die Annäherung an die Königliche Kunst beginnt also mit einem
sich steigernden gegenseitigen Vertrauen. Der Profane öffnet sich
der Bruderschaft und die Bruderschaft öffnet sich dem Profanen.
Doch muss der Profane zunächst das bleiben, was er dem Wortsinn
nach ist, jemand, der "vor dem Heiligtum", dem "Fanum", dem
geweihten Tempel, bleibt. Suchen und finden beide Seiten, was sie
sich erhofften, kann der Profane, gestützt von einem Bürgen, sein
Aufnahmegesuch stellen. Ab diesem Zeitpunkt bezeichnet man ihn
auch nicht mehr als Profanen, obgleich er noch immer keinen
Zutritt zum Tempel hat. Man spricht nun stattdessen auch in
maurerischer Terminologie von einem 'Suchenden', obwohl dies der
Profane rein inhaltlich selbstverständlich bereits schon vorher
sein sollte.





***





Wie in diesem Prozess die Logen, deren Brüder, die Profanen und
Suchenden agieren und auftreten, ist sehr individuell.
Grundsätzlich hat jede Loge einen ganz eigenen Charakter, der
sich auch in der Art widerspiegelt, wie der Prozess des
Kennenlernens gestaltet wird. Und gerade Menschen, die ernsthaft
überlegen, ob die Bruderschaft etwas für sie wäre, zeichnen sich
nicht selten durch eine vielschichtige, hochgradig individuelle
Persönlichkeit aus. Mit anderen Worten treffen zwei sehr
komplexe, einzigartige Systeme bei der Annäherung an eine
Freimaurerloge aufeinander. 





Das hat drei Konsequenzen, von denen zwei bereits genannt sind.
Es braucht einerseits Zeit, andererseits Vertrauen, um diesen
Prozess gegenseitig so zu gestalten, dass Klarheit entstehen kann
über den Wunsch zur Mitgliedschaft. Die dritte Konsequenz ist
vielleicht die Frappierenste. Unzweifelhaft Fakt ist nämlich,
dass Profane, Suchende und Brüder zwar verbunden sind dadurch,
dass sie etwas suchen, keineswegs aber darin, was sie suchen. Das
ergibt sich zum einen aus der Komplexität der Individuen, die
sich mit der Maurerei beschäftigen, andererseits aus der
Komplexität, welche in und mit der Königlichen Kunst gegeben ist.





***





Wahrhaft spannend sind die Möglichkeiten, die sich damit
eröffnen. Gemeinsam etwas suchen, und doch etwas anderes. Lernen,
was sich noch zu finden lohnt. Impulse bekommen, wie die Suche zu
gestalten ist. Erkennen, was man nicht finden kann. Inspiriert
sein von der Konsequenz, Beharrlichkeit und Kreativität, mit der
Brüder suchen. Verwundert sein über die Überzeugung,
Wahrhaftigkeit und Authentizität, mit der andere glauben,
gefunden zu haben.   





Einerseits sucht der Profane und Suchende also etwas, das er auch
findet, andererseits findet er in der Maurerei auch etwas, das er
nicht unbedingt gesucht hat. Gerade letzteres bleibt auch so als
Bruder. Ständig findet man Menschen, Ideen, Anschauungen und
Inspirationen, von denen man nicht einmal wusste, dass sie
existieren. Für mich ist die Vielfalt, Komplexität,
Unterschiedlichkeit, Varianz oder Mannigfaltigkeit der
Freimaurerei ihr größer Schatz. Die Königliche Kunst und die
Menschen, die sie betreiben, sind so vielgestaltig, dass sie
niemals langweilig werden können.





***





Und doch, auch wenn ich dies so wahrnehme, so heißt das eben
nicht, dass jeder diese Auffassung teilen muss. Manche nähern
sich uns und kommen zu dem Schluss, dass die Maurerei allgemein
oder unsere Loge speziell nichts für sie sind. Sie suchen, aber
sie finden nicht, zumindest nicht bei uns. Es ist zweifelsfrei
ein wertvoller Akt, wenn das gegenseitige Kennenlernen und Prüfen
darin mündet, dass die Loge einen neuen Bruder bekommt. Jenes
Ereignis wird rituell durch die Aufnahme entsprechend
gewürdigt. 





Nicht minder kostbar ist aber auch - und naturgemäß bleibt es
vollkommen ohne Würdigung - wenn der Interessierte und die
Bruderschaft darin übereinkommen, dass ein gemeinsamer Weg nicht
in Frage kommt. Profaner und Bruderschaft wissen dann, dass sie
an anderer Stelle, in anderer Vereinigung und Person suchen
müssen. 





***





Wir haben jetzt gesehen, dass man suchen und finden, suchen und
nicht finden, sowie nicht suchen und finden kann. Der letzte
Fall, das nicht suchen und nicht finden, ist vielleicht der
traurigste. Er stellt sich erst über die Jahre in der Maurerei
und beim einzelnen Bruder ein. Traurig ist er, weil er anzeigt,
dass das Feuer erloschen ist, der Funke, der die Leidenschaft zur
Persönlichkeitsentwicklung, zur Arbeit am rauen Stein, entfacht,
nicht mehr überspringen will. 





Man kommt zur Freimaurerei als jemand, der suchen will und der
finden will. Dieser Wesenszug derjenigen Menschen, die sich der
Maurerei nähern, sollte erhalten bleiben. Denn auch der
Freimaurer ist ein Mensch, der suchen und der finden will. Und im
Idealfall bleibt er das auch. Gut ist, wenn er der Flamme der
Erkenntnis, dem Licht der Erfahrung und dem Feuerschein der
Weisheit immer wieder neuen Brennstoff zuführen kann. Als
Freimaurer hat man die Möglichkeit, dieses Feuerholz von Brüdern
zu beziehen, die es seit über 300 Jahren für einen bereit hat.





Nur, so schön das auch klingt, muss man konstatieren, dass nicht
jeder Bruder davon Gebrauch macht. Denn, auch wenn es genug
Zündstoff in der Maurerei gibt, so bleibt es doch am Einzelnen
sich am Holzstapel zu bedienen. Als Profaner und Suchender sollte
man das unbedingt wissen. Freimaurerei ist nicht ein passiver
Weg, ist nicht ein menschengemachter Raum, in den man sich
tatenlos begeben kann. 





Vielmehr bleibt die Maurerei von Anbeginn an eine Wanderung, ein
aktives Fortschreiten auf Pfaden, die einem die Brüder
eingelaufen haben - aber durchaus auch einmal querfeldein über
Stock und Stein. Und man selber wird zu einem konstitutiven Teil
dieses menschengemachten Raums, wird ein Baustein im Tempel der
Humanität. Allerdings muss man sich selber dazu formen. Die
Brüder und die Freimaurerei stellen lediglich die Werkzeuge dazu
bereit. Handhaben muss man sie selber.





***





Man kann sicherlich in unterschiedlichem Ausmaß in der
Freimaurerei aktiv sein. Grundsätzlich gilt aber, dass sie nicht
stattfindet, wenn man nicht an ihr teilnimmt. In welchem Umfang
man sich an ihr beteiligt, entscheidet man selber. Gerade am
Anfang bedient man sich, freilich herzlich eingeladen, an den
Holzscheiten und Brandbeschleunigern, welche die Brüder hüten und
die das eigene Feuer braucht, um wärmend, erleuchtend, aber eben
durchaus auch verzehrend zu brennen.





Und irgendwann, spätestens, wenn die Lehrlings- und Gesellenzeit
vorüber ist, ist es dann an einem selber, Holz zu schlagen,
Brennmaterialien bereit zu stellen und zu pflegen, an denen sich
Profane, Suchende und junge Brüder bedienen können. Und weil das
Bild doch zu leicht missverstanden werden kann, in aller
Deutlichkeit: Wir spielen nicht mit dem Feuer! Wir bieten
Menschen lediglich "gesunde"Brennmaterialien, die wir selber
nachhaltig und regenerativ hergestellt haben. Sie verbrennen
rückstandslos, ohne giftigen Rauch und sind vollkommen ungeeignet
für jede Form der geistigen Brandstiftung.





***





Geglückte Freimaurerei ist also eine solche, die von suchenden
Brüdern bevölkert ist, die finden und nicht finden, sowie von
Brüdern, die nicht suchen und doch finden.  -
 Gescheiterte Freimaurerei hingegen ist eine solche, in der
die Brüder weder suchen noch finden, weil sie zu passiv sind. Ob
Freimaurerei glückt oder scheitert, kann der einzelne Freimaurer
in sehr hohem Maß mitbestimmen, voll umfänglich für das eigene
Leben, wobei die entscheidende regulative Größe die der Aktivität
ist. Das Schöne an der Freimaurerei ist, dass geglückte Maurerei
zu den wertvollsten Geschenken gehört, die man sich selber machen
kann, dass aber gescheiterte Maurerei keinerlei Schaden anrichten
muss. Hat man den notwendigen Mut und die gebotene Vernunft, kann
man nur gewinnen.





***





Im Leben und in der Freimaurerei sind das Suchen und das Finden
wesentliche Prozesse, die man zu wenig bedenkt. Sie prägen uns
maßgeblich und wir selber haben großen Einfluss darauf, wie wir
sie bewerkstelligen. Betrachten wir das Suchen: Man kann frei,
ergebnisoffen und mit weiter Aufmerksamkeit und doch hoch
konzentriert suchen. Oder man kann getrieben, engstirnig und
voreingenommen, dabei vollkommen unaufmerksam und unempfindlich
für die Phänomene, die sich einem abseits des Gesuchten
darbieten, suchen. 





Beides hat durchaus seine Berechtigung im Leben. Manchmal muss
man zielgerichtet, rein funktionell suchen. Es wäre doch
hinderlich, sich an der Schönheit von allerlei
Einrichtungsgegenständen zu erfreuen, wenn man dringend seiner
Schlüssel bedarf. Oder? Und manchmal ist das vage Suchen, ein
Umherschweifen, der richtige Weg der Suche. Es ist wahrhaft
beeindruckend, was sich auf einer solchen Suche finden
lässt. 





Obgleich die Maurerei klare Formen, Regeln, Traditionen, Sitten,
Bräuche, Rituale und Symbole hat, entspricht mein Weg in ihr
einem solchen geistigen Vagabundieren. Und dabei handelt es sich
keineswegs um ein orientierungsloses Umherirren. Dieses ist in
der Freimaurerei aufgrund ihrer Wertegebundenheit ausgeschlossen.
Es ist eine gebundene, offene, freie Suche in Gemeinschaft, auf
welcher etappenweise gefunden wird und deren Richtung sich in
Anpassung an die Persönlichkeitsentwicklung immer wieder
verändert.





Mir ist nichts mehr zuwider als Menschen, die sich einbilden,
endgültig und umfassend gefunden zu haben. Sie sind langweilig,
anstrengend und im schlimmsten Fall gefährlich. Und mir ist
nichts lieber als Menschen, die tatsächlich gefunden haben, sich
die Weisheit bewahrend, dass man nie vollends finden kann, und
die bereit sind zu erläutern, teilen und anzuleiten, wie sie
gefunden haben, dabei anerkennend, dass sie ein
orientierungsgebendes Vorbild sind, das keinen Anspruch hat auf
eine Kopie seiner selbst.





Das Suchen und Finden in der Königlichen Kunst, wie im Leben,
dreht sich stets um Erkenntnis. In der Freimaurerei bringen wir
das durch die Lichtsymbolik zum Ausdruck. Das wirkmächtigste
Instrument der Erkenntnis ist die menschliche Erfahrung. In einer
guten Bauhütte findet auch das Berücksichtigung. Denn
Traditionen, Sitten, Bräuche, Rituale und Symbole werden nur
wirksam, wenn sie erfahren werden können. Das ist übrigens auch
das viel zitierte freimaurerische Geheimnis. Und da Erfahrung
individuell ist, kann man es auch nicht verraten. Das maurerische
Geheimnis besteht im Erlebnis der Freimaurerei. Wir haben es also
dort versteckt, wo es niemand suchen würde, an der
offensichtlichsten Stelle: Im Licht.





***





Zur Erkenntnis brauchen wir die Erfahrung und zur Erfahrung
brauchen wir die Sinnesorgane. Da der wichtigste Sinn mit der
visuellen Wahrnehmung gegeben ist und deren Zustandekommen auf
Licht beruht, erscheint es sinnvoll und folgerichtig, dass das
Licht als Symbol für Erkenntnis aufgefasst werden kann. Suchen
und Finden sind insofern Erfahrungen, Erlebnisse, die zur
Erkenntnis führen können, die uns zum Licht bringen.





Aber man kann das Licht auch blind finden, es ist nämlich - die
Ausnahmen will ich vernachlässigen - warm. Das gilt ganz
besonders für das freimaurerische Licht. Und da spreche ich
durchaus aus Erfahrung, ich bin tatsächlich blind. Was meine
Mitmenschen und Brüder immer wieder verwundert ist, dass man zum
Suchen und Finden, und zwar in jeglichem Kontext, nicht sehen
können muss. Manchmal macht das sehende Suchen auch blind für das
Finden. Licht kann auch blenden und so Erkenntnis unmöglich
machen. Vielen Menschen geht es so in Bezug auf die Dominanz des
visuellen Systems. Denn Erfahrung und Erkenntnis kann man auch
durch das Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken machen.





Im maurerischen Werdegang wird dieses symbolische Schauen des
metaphysischen Lichts, das man mit allen Sinnessystemen befördern
kann und sollte, zu einer Art undogmatischen Handlungsmaxime. So
soll der Lehrling in sich, der Geselle um sich und der Meister
über sich schauen. Es gilt also sich selber, seine Mitmenschen
und die Welt zu erkennen. Die Loge stellt Ort, Gelegenheit und
Mittel zur Verfügung, damit diese Erkenntnisprozesse im
Einzelnen, also individuell und doch in Gemeinschaft, ablaufen
können. 





Und trotz ihrer Individualität sind diese Prozesse, inspiriert
von Ritualen, Symbolen, Bräuchen und Brüdern, keineswegs
willkürlich oder ungerichtet. Denn sie sollen der
Selbstvervollkommenung dienen. Diese wiederum steht im Dienste
einer verbesserten Gesellschaft, im Dienste der Verwirklichung
einer gesellschaftlichen Utopie, die wir den Tempelbau der
Humanität nennen, bei welchem der einzelne Bruder ein Baustein
ist, den er selber durch die Arbeit am rauen Stein geformt hat.





***





Und an dieser Stelle direkt eine Warnung: Nur weil man formal
einem Bund angehört, der sich diesem Weg des Erkenntnisgewinns
verschrieben hat, der seine Mitglieder auffordert, an ihrer
Persönlichkeit und sittlicher Vervollkommnung zu arbeiten, der
sich als ethische Wertegemeinschaft versteht, heißt das eben
nicht, das man gut darin wäre sich selber, seine Mitmenschen oder
die Welt zu erkennen. Es heißt auch nicht, dass man automatisch
durch die Mitgliedschaft gut sei.





Vielmehr ist es genau umgekehrt. Der Freimaurer bleibt immer
Suchender, Lehrling, Geselle und Meister, egal wie lange er schon
dabei ist. Das bedeutet, dass er sich damit einverstanden
erklärt, ständig zu hinterfragen, ob er sich selber, seine
Mitmenschen und die Welt gut und richtig erkannt hat. Er fragt
sich auch fortwährend, was gut ist, ob er gut handelt und wie man
noch besser handeln könnte.





In Summe ist die Freimaurerei so verstanden die Bereitschaft zum
stetigen in Frage stellen des eigenen Selbstbildes, damit das
durch es Abgebildete, also man selber, besser werden kann. Wer
also lediglich bewundert werden möchte, fortwährend Anerkennung
sucht, nach Applaus in allen Lebenslagen giert, ausschließlich
Bestätigung braucht, der mag zwar etwas suchen, für den ist die
Freimaurerei wohl aber die falsche Vereinigung, um es zu finden.
Unser Selbstbewusstsein fußt auf kritischer Selbsterkenntnis und
nicht auf unkritischer Selbstbestätigung.





Wir haben das Suchen bereits hinsichtlich der Zielgerichtetheit
und Offenheit unterschieden. Auf einen wesentlichen Aspekt dabei
möchte ich noch verweisen. Wer fokussiert, zielgerichtet,
teleologisch sucht, der verpasst nicht nur Weises, Schönes und
Starkes, das sich auch in der Peripherie zeigen kann, sondern der
wirkt dabei nicht selten auch verkrampft und verbissen. Und seine
Mitmenschen spüren das. 





Wer in allem nur das Schlechte und Böse sucht, der wird es auch
in allem finden. Wer in allem nur das Gute sucht, der wird es
auch in allem finden. Das Problem dabei ist die mangelnde
Differenzierungsfähigkeit, die keine Abbildung des Realen
zulässt. Denn nichts ist ausschließlich gut oder ausschließlich
böse. Wenn unsere Wahrnehmung und unsere Suche zu stark von dem
geprägt ist, was wir sehen und finden wollen, wird Erkenntnis
unmöglich. Verkrampft und verbissen wirkt dabei dann der Versuch,
alles so zu interpretieren, dass es in das eigene Selbst-,
Menschen- und Weltbild passt.





***





Von Berufswegen bin ich Physiotherapeut und Osteopath. Als
Physiotherapeut suche und finde ich Krankheiten, als Osteopath
suche und finde ich Gesundheiten. Einer der zentralen
Unterschiede dabei ist, wie man sucht. In beiden Kontexten sollte
man einen Tastbefund machen. Es ist ein himmelweiter Unterschied,
ob ich eine durch die Anamnese gemachte Hypothese per Palpation
prüfe, oder ob ich ergebnisoffen perzeptiere. Ersteres ist die
Suche nach Krankheit - zweiteres die Suche nach Gesundheit. 





Wobei mich an dieser Stelle einer meiner Ausbilder in der
Osteopathie bereits zurecht rügen würde. Denn in der Osteopathie
sucht man nicht, in der Osteopathie findet man. Das Interessante
ist folgendes: Es macht nicht nur für mich einen erheblichen
Unterschied, ob ich mich mit Krankheit oder Gesundheit "befasse",
ob ich eher suchen oder eher finden will, sondern auch für meine
Patienten. Sie können den Unterschied zwischen einer suchenden,
verkrampften Bewegung der Therapeutenhände, die Krankheit
entdecken wollen und einer findenden, lockeren manuellen
Bewegung, die Gesundheit "aufspürt", mehr als deutlich empfinden.





Spannend ist, dass den Patienten dieser Unterschied häufig nicht
bewusst wird, obwohl sie ihn empfinden können, was klar ihre
körperlichen und seelischen Reaktionen auf diese
unterschiedlichen Formen der Berührung anzeigen. Wenn ich
verkrampft suche, finde ich Verkrampfung, suche ich entspannt,
finde ich Entspanntheit. Suche ich Krankheit, finde ich
Krankheit, suche ich Gesundheit, finde ich Gesundheit. Das
Entscheidende daran ist nun, dass es sich nicht etwa um
Wahrnehmungsfehler  handelt. Sondern das jeweils Gefundene
ist tatsächlich für den Augenblick der Berührung da. Und ein
wenig so ist es auch im Leben und in der Freimaurerei.





***





Was und wie man sucht sind also nicht ganz unerheblich. Ein
weiterer wichtiger Punkt beim Suchen und Finden ist angeklungen:
Jener der Bewusstheit. Wir suchen bewusst und unbewusst und wir
finden auch bewusst und unbewusst. Man kann etwas suchen, direkt
vor dem Gesuchten stehen und es nicht erkennen, nicht
realisieren, dass diese Suche zu Ende gekommen, dass gefunden
worden ist. Und man kann Dinge, Menschen, Gefühle, Wahrnehmungen,
Gedanken, Ideen und vieles mehr suchen, ohne dass man sich dieser
Suche bewusst ist, da sich die vergangene implizite Sehnsucht
danach erst in dem Moment offenbart, in dem man gefunden
hat. 





Freimaurerei ist in vielerlei Hinsicht auch ein Weg der
Aufklärung. Die moderne Freimaurerei hat eine wichtige Wurzel im
Jahr 1717, als in England die erste Großloge durch den
Zusammenschluss vier Londoner Logen gegründet worden ist. Die
Königliche Kunst wird daher gerne als Kind der Aufklärung
bezeichnet. Wenn man Licht ins Dunkel bringt - auch das
maurerische - dann klärt man wohl auf. Und zunächst hat der
Maurer das Licht in sich zu tragen, er soll Selbstaufklärung
betreiben. 





Bezogen auf das Suchen und das Finden bedeutet Selbstaufklärung,
dass wir uns möglichst vieler unbewusster Suchen und unbewusster
Funde bewusst werden. In der maurerischen Individuation und
Sozialisation gelingt dies durch Introspektion, Reflexion und den
brüderlichen Austausch. Grundlage dieser Möglichkeiten in der
Freimaurerei sind einerseits die ihr eigenen Formen der Bräuche,
Sitten, Traditionen, Rituale und Symbole, andererseits die
Gemeinschaft aus Menschen, die alle etwas anderes suchen. 





Da ich im Kreise der Brüder mit meiner Suche befasst bin, umgeben
also von Menschen, die etwas anderes in doch auch anderer Art und
Weise suchen, kann ich hin und wieder bemerken, dass meine Brüder
da auf der Suche nach etwas sind, dass ich wohl auch suche. Durch
die Suche der anderen kann mir meine eigene Suche bewusst werden.
Durch das Vorbild des Bruders werde ich so erst in die Lage zur
Selbstaufklärung versetzt. Und das Resultat der Selbstaufklärung
in diesem Sinne kann ein gesteigertes Lebensglück durch mehr
Bewusstheit sein. Dies wiederum kann zu mehr Dankbarkeit und
diese, wenn man sie denn durch Taten ausdrückt, zu einer etwas
besseren Welt führen.





***





Nun, dies sind einige wenige Aspekte, die ich in der Freimaurerei
gesucht und gefunden habe. Ich könnte hier noch endlos weitere
Teilaspekte der königlichen Kunst in dieser Weise beleuchten.
Aber irgendwie muss ich ja auch zu einem Ende dieses Beitrags
kommen. Das hier ist nicht mehr als eine Einzelmeinung. Sie
erhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Andere Brüder
kommen zu anderen Schlüssen, leben und interpretieren die
Maurerei anders. Und genau das macht die Freimaurerei so
faszinierend. Was Sie in ihr, mit ihr und durch sie suchen und
finden können, können nur Sie selber herausfinden. Niemand
anderes kann Ihnen das verraten. 





Viel Freude dabei.








Eine Zeichnung von Alexander Walter

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