Stellungnahme des BPE vom 27. 9. 2018 zur Zwangsunterbringungspraxis in Hamburg

Stellungnahme des BPE vom 27. 9. 2018 zur Zwangsunterbringungspraxis in Hamburg

Beschreibung

vor 5 Jahren
27.9.2018 Stellungnahme des Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener
(BPE) e.V. zur Zwangsunterbringungspraxis in Hamburg Verzweifelter
Widerstand eines jungen Mannes und Tod eines
Behördenmitarbeiters Ein psychiatrieerfahrener junger Mann hat
am 24.9. den Vollzug seiner Zwangsunterbringung in die Psychiatrie
zu verhindern versucht, indem er die Bezirksamtsmitarbeiter des
Zuführdienstes mit einem Brandsatz angriff. Einer der Mitarbeiter
starb an seinen Verletzungen. Wir bedauern den Vorfall zutiefst,
müssen jedoch klar äußern, dass wir nicht überrascht sind. Eine
Zwangsunterbringung bedeutet, dass Menschen gegen ihren Willen und
entgegen ihrer klaren Willensäußerung in die Psychiatrie verbracht
werden. In der Psychiatrie angekommen drohen weitere
Grundrechtsverletzungen: Einsperren in einen leeren Raum
(„Isolierung“), Anbinden ans Bett („Fixierung“) und
Zwangsbehandlung mit Psychopharmaka oder Elektroschock. Dabei
handelt es sich nach Einschätzung der Vereinten Nationen um
Folter.(1) Tote auf Seiten der Opfer der Unterbringung gab es
übrigens schon viele. Sie wurden erschossen, weil sie sich wehrten
oder starben in der Psychiatrie unter oft nicht geklärten
Umständen.(2) Dies ist bekannt und wird billigend in Kauf genommen.
Es gehört zur Normalität der Zwangsunterbringungspraxis. Es gibt
also gute Gründe, sich gegen eine Zwangsunterbringung zu wehren.
Leider haben die wenigsten Betroffenen Informationen über
Möglichkeiten, sich der Unterbringung zu entziehen.(3) Hinzu kommt,
dass Psychiatrie-Erfahrene nur selten mit der Solidarität ihrer
Mitmenschen rechnen können oder gar einen Ort haben, an dem sie
Zuflucht vor der Zwangsunterbringung erhalten. Es ist bekannt, dass
Opfer von Zwangsunterbringungen während ihrer Verschleppung um
Hilfe schreien, spucken oder versuchen, sich körperlich zu
verteidigen. Das ist nie von Erfolg gekrönt – in der Regel wird
darauf mit noch mehr Gewalt geantwortet. Es war aus unserer Sicht
nur eine Frage der Zeit, bis eine Person sich mit drastischeren
Mitteln zu wehren versucht. Dass es sich dabei um eine Person
handelt, die zuvor nie durch Gewalttätigkeit aufgefallen ist,
zeigt, zu welchen Taten das menschenrechtswidrige System aus
Psychiatrie und Zwangsbetreuung Menschen treiben kann, wenn sie
derart in die Ecke gedrängt werden. Ohne dieses Zwangssystem wäre
die Gewaltsituation in Hamburg nie entstanden. Der zu Tode
gekommene Bezirksamtsmitarbeiter ist somit ein Opfer dieses
Systems. Die Diskussion um einen besseren „Schutz“ von
Bezirksamtsmitarbeitern z.B. durch Waffen oder Polizei
stigmatisiert Betroffene von Zwangsunterbringungen als
gemeingefährlich. Der Einsatz von Polizei macht eine
Zwangsunterbringungssituation nicht sicherer. Sie verschiebt
lediglich das Risiko, zu sterben, und zwar zuungunsten der
Betroffenen des Zwanges. Das zeigt deutlich, wessen Leben in
unserer Gesellschaft wie viel wert ist. Die seit 2009 auch in
Deutschland geltende UN-Behindertenrechtskonvention verlangt, dass
die Freiheitsrechte von Menschen mit Beeinträchtigungen ebenso
geachtet werden wie die jedes anderen Menschen. Das heißt, dass
niemand gegen seinen Willen psychiatrisiert werden darf. Nein heißt
Nein. Zwangsunterbringungen verstoßen gegen die UN-BRK. Begonnen
hat das Drama von Hamburg übrigens 2014 mit einer freiwilligen
psychiatrischen Behandlung. Im Zuge dieser wurde für den
Betroffenen der Betreuer bestellt, der Urheber der aktuellen
Zwangsunterbringung war.(4)
__________________________________________________________________________________
1 Die Vereinten Nationen stufen diese Zwangsmaßnahmen als
Folterhandlungen ein a) Bericht des Sonderberichterstatters über
Folter, Juan E. Méndez:
https://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/RegularSession/Session22/A.HRC.22.53_English.pdf
b) Abschließende Bemerkungen der Staatenberichtsprüfung des
UN-BRK-Komitees:
https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/CRPD_behindertenrechtskonvention/crpd_state_report_germany_1_2011_ConObs_2015_en.pdf
2 https://taz.atavist.com/polizeitote#chapter-2274951
https://www.zwangspsychiatrie.de/2011/09/kundgebungsdemo-am-15-9-vor-dem-behordlich-medizinischen-komplex-von-berlin-reinickendorf/
https://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/todesschuss-in-reinickendorf-frau-starb-durch-eine-polizeikugel/4536386.html
https://www.heise.de/tp/features/Die-Psychiatrie-ist-im-Kern-Zwangspsychiatrie-3397471.html
https://initiative-zwangbefreit.jimdo.com/2018/04/15/demoaufruf-so-13-mai-mahnwache-ein-jahr-nach-dem-tod-von-ahmet/
https://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.raetselhafter-tod-in-psychiatrie-wie-ist-juergen-mollath-ums-leben-gekommen.797808c5-fea2-4377-924b-d0b6e0016db9.html
https://www.youtube.com/watch?v=YfxdpoMLUwg
https://www.welt.de/regionales/hamburg/article181264358/Hamburg-57-Jaehriger-Patient-stirbt-in-der-Psychiatrie.html
https://www.stimme.de/polizei/suedwesten/Tod-in-der-Psychiatrie-Ermittlungen-gegen-Personal-und-Polizei;art1495,4027363
http://www.bpe-online.de/verband/rundbrief/2016/2-16.pdf (S. 11)
http://www.psychiatrie-erfahrene-nrw.de/psychopharmaka/todesfaelle.html
3 https://www.zwangspsychiatrie.de/erste-hilfe/zwangseingewiesen/ 4
https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Brand-Attacke-Verletzte-ausser-Lebensgefahr,brand6632.html

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