Knochenneubildung und Knochendefektheilung durch den rekombinanten humanen Wachstumsfaktor Osteogenic Protein-1 (BMP-7)

Knochenneubildung und Knochendefektheilung durch den rekombinanten humanen Wachstumsfaktor Osteogenic Protein-1 (BMP-7)

Beschreibung

vor 15 Jahren
Die Behandlung ausgedehnter knöcherner Substanzdefekte stellt in
der Unfall- und Wiederherstellungschirurgie sowie auch in der
Orthopädie nach wie vor ein nur unbefriedigend gelöstes Problem
dar. Die Transplantation autogener Spongiosa wie auch die
Kallusdistraktion als derzeitge Standardverfahren sind mit
erheblichen verfahrensimmantenten Nachteilen verbunden, so daß seit
Jahrzehnten nach geeigneten Alternativen gesucht wird. Durch die
Methoden der Gentechnologie eröffnete sich schließlich die
Möglichkeit, osteoinduktive Wachstumsfaktoren kommerziell
herzustellen und therapeutisch einzusetzen, wobei sich im
Kleintierversuch das rekombinante humane Osteogenic Protein-1 (Bone
Morphogenetic Protein-7) bereits als sehr vielversprechend erwiesen
hat. Allerdings spiegelten die verwendeten Versuchsmodelle bisher
keine der Humansituation vergleichbaren klinisch-realistischen
Problemdefekte wieder. Anhand eines überkritischen Extremmodells
sollte daher in der vorliegenden Studie versucht werden, die
Möglichkeiten bzw. Grenzen des klinischen Einsatzes von
rekombinantem humanem Osteogenic Protein-1 als Bestandteil von
Bioimplantaten zur Überbrückung langstreckiger segmentaler
Knochendefekte aufzuzeigen. Um die Konkurrenzfähigkeit des
Wachstumsfaktors gegenüber den Standard-verfahren zu beschreiben
diente als relevanter Parameter die Knochenneubildung in
qualitativer, quantitativer und zeitlicher Hinsicht. Dabei sollte
der getestete Wachstumsfaktor zumindest vergleichbare oder bessere
Ergebnisse erzielen als das Standardverfahren der autogenen
Spongiosatransplantation. Um eventuelle Unterschiede der Verfahren
möglichst deutlich erkennen zu können wurde gezielt eine
überkritische Defektsituation gewählt, in der auch durch aufwändige
autogene Spongiosatransplantation keine regelmäßige Ausheilung mehr
erzielt werden kann. Dazu wurde bei insgesamt 15 weiblichen
Merinoschafen an der linken Tibia ein 5,0 cm langer segmentaler
Knochendefekt mit einem Defektvolumen von 20 ml geschaffen und mit
einem aufgebohrten Marknagel unter einer beabsichtigten
Rotationsinstabilität von 10° osteosynthetisch versorgt. Der Defekt
wurde mit folgenden Implantaten aufgefüllt: In Gruppe 1 mit 5 mg
Osteogenic Protein-1 kombiniert mit inaktivierter demineralisierter
Knochenmatrix als Kollagenträger, in Gruppe 2 mit autogener
Spongiosa und in Gruppe 3 nur mit inaktivierter demineralisierter
Knochenmatrix zum Ausschluß bzw. zur Beurteilung einer eventuellen
Eigenaktivität des Kollagenträgers. Die Auswertung erfolgte anhand
von seriellen Röntgenverlaufskontrollen im Abstand von 2 Wochen bis
zum Versuchsende nach 12 Wochen, anschließender quantitativer
Bestimmung der Knochenneubildung innerhalb des Defektbereiches
durch 3D-CT-Volumetrie, biomechanischer Testung im
4-Punkt-Biegeversuch sowie durch unentkalkte Knochenhistologie und
Histomorphometrie mittels Mikroradiographie. In den
Röntgenverlaufskontrollen zeigten vier von fünf mit Osteogenic
Protein-1 behandelten Versuchstieren deutliche Anzeichen einer
Implantat-induzierten Knochenneubildung innerhalb des
Defektbereiches, allerdings konnte 12 Wochen postoperativ lediglich
in zwei von fünf Fällen der Defekt als ausreichend überbrückt und
damit als geheilt bezeichnet werden. Nach Transplantation von
autogener Spongiosa kam es in allen vier Fällen zu einer
Defektüberbrückung bis hin zur knöchernen Defektkonsolidierung in
ebenfalls zwei Fällen. Durch Implantation der Trägersubstanz
alleine konnte keine Defektüberbrückung erzielt werden. Im
zeitlichen Verlauf der Knochenneubildung zeigten sich keine
relevanten Unterschiede. Auffällig war dagegen eine mitunter
erhebliche Dislokation des osteoinduktiven Implantates aus dem
Defektbereich heraus mit Entwicklung ausgeprägter heterotoper
Ossifikationen in vier von fünf Fällen nach Implantation von
Osteogenic Protein-1. Dieser Effekt konnte in den anderen Gruppen
nicht beobachtet werden. Während in der Auswertung des
Röntgenverlaufs somit durch Implantation von Osteogenic Protein-1
annähernd gleich gute Resultate hinsichtlich der qualitativen
Defektüberbrückung im zeitlichen Verlauf erzielt werden konnten wie
durch autogene Spongiosatransplantation, so zeigte sich in der
quantitativen Knochenvolumen-bestimmung innerhalb des
Defektbereiches mittels 3D-CT-Scan eine eindeutige Überlegenheit
der autogenen Spongiosatransplantation gegenüber der Implantation
des Wachstumsfaktors. Durch autogene Spongiosatransplantation wurde
mit durchschnittlich 21,45  9,20 ml mehr als doppelt so viel neuer
Knochen gebildet als durch Osteogenic Protein-1 (durchschnittlich
9,35  2,48 ml). Durch den Einsatz von Osteogenic Protein-1 konnte
aber immerhin um 50% mehr neuer Knochen gebildet werden als durch
die Trägersubstanz alleine (6,28  1,94 ml). Das primäre Einbringen
von mineralischer Substanz bei autogener Spongiosatransplantation
scheint dabei keinen Einfluß auf eine falsch-positive Verzerrung
der Ergebnisse zu haben, da die Relationen der Fraktionen
unterschiedlich dichten Knochens dabei in allen Gruppen
vergleichbar waren. Das vermeintlich relativ gute Ergebnis nach
Implantation der Trägersubstanz alleine ist durch die Miterfassung
der Defektkanten und der von diesen ausgehenden Spontanregeneration
zu erklären. Biomechanisch konnten alle vier Tibiae nach
Spongiosatransplantation und eine mit Osteogenic Protein-1
behandelte Tibia untersucht werden. Dabei reflektierten alle
getesteten Tibiae lediglich Charakteristika bindegewebig
organisierter Pseudarthrosen mit einer relativen Bruchlast von
9,6-18,4 % gegenüber der jeweiligen unversehrten kontralateralen
Tibia. In der Kontrollgruppe (nur Kollagenträger) war keine
operierte Tibia ausreichend stabil für die biomechanische
Auswertung. Histologisch zeigten sich in der Färbung nach
Laczko-Levai im Gruppenvergleich keine qualitativen Unterschiede
des neu gebildeten Knochens. In allen Fällen handelte es sich um
noch ungerichteten Geflechtknochen mit allen typischen
Bestandteilen. In der Alizarin-Toluidin-Färbung sowie in der
Färbung nach Laczko-Levai war bei vier von fünf mit Osteogenic
Protein-1 behandelten Versuchstieren eine lokalisations-abhängige
Ausbildung von gelenktypischem Knorpelgewebe am Interface zwischen
Marknagel und neu gebildetem Knochen auffällig. Dieser neugebildete
Knorpel fand sich nur an Lokalisationen, wo in unmittelbarer Nähe
auch neuer Knochen gebildet wurde. Wie bei einer regelrechten
synovialen Gelenkfläche befand sich der neugebildete Knorpel an der
Oberfläche zum mobilen Marknagel hin und stand über eine
subchondrale Platte in fester Verbindung mit dem darunter liegenden
simultan gebildeten Knochen. Dieser Effekt konnte in den anderen
beiden Gruppen jeweils nur in einem Fall und auch nur in deutlich
geringerem Ausmaß beobachtet werden. Dieses in der vorliegenden
Studie beobachtete Phänomen einer simultanen Knochen- und
Knorpelbildung durch rekombinantes humanes OP-1 in Abhängigkeit
einer unterschiedlich ausgeprägten mechanischen Belastungsstruktur
wurde bislang noch nicht im Rahmen eines extraartikulären Modells
beschrieben. Mikroradiographisch wurden im Gruppenvergleich
ebenfalls keine qualitativen Unterschiede des neu gebildeten
Knochens festgestellt. Die quantitativen Messungen korrelieren gut
mit denen der 3D-CT-Volumetrie. In allen Gruppen erfolgte die
Knochenneubildung ferner erwartungsgemäß lokalisationsabhängig
verstärkt im ersatzstarken Lager. Zusammenfassend kann dem
rekombinanten humanen Wachstumsfaktor Osteogenic Protein-1 auch im
großen segmentalen Problemdefekt eine ausgeprägte lokale
osteogenetische Potenz zugeschrieben werden, allerdings erscheint
eine humanmedizinische Anwendung der gegenwärtig angebotenen
Applikationsform im langstreckigen segmentalen Kontinuitätsdefekt
der lasttragenden unteren Extremität aufgrund noch ungelöster
Probleme hinsichtlich Applikation, Dislokation, Dosierung und
Releasing aus der Trägersubstanz derzeit noch nicht gerechtfertigt.
Diese Studie zeigt aber ferner, daß Osteogenic Protein-1 bei
entsprechenden biochemischen und insbesondere biomechanischen
Milieubedingungen das Potential zur Generierung von gelenktypischem
Knorpel haben kann. Interessant erscheint dabei vor allem die wohl
von der lokal unterschiedlichen Belastungsstruktur abhängige
simultane Induktion sowohl von Knochen- als auch von Knorpelgewebe
durch Osteogenic Protein-1. Damit eröffnet sich ein weiteres
Forschungsfeld im Zusammenhang mit diesem Wachstumsfaktor im
Hinblick auf die Regeneration von osteochondralen Defekten. Diese
Tatsache bekräftigt aber auch die unabdingbare Notwendigkeit einer
stabilen Osteosynthese bei Anwendung von Osteogenic Protein-1 mit
dem Ziel der reinen Osteoinduktion.

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