Schmerzcharakter und Therapie chronischer Ischämieschmerzen bei peripherer arterieller Verschlußkrankheit

Schmerzcharakter und Therapie chronischer Ischämieschmerzen bei peripherer arterieller Verschlußkrankheit

Beschreibung

vor 16 Jahren
8. Zusammenfassung Hintergrund: Chronische Ischämieschmerzen
stellen eine der häufigsten Schmerzarten der unteren Extremität
dar. Dennoch sind Ischämieschmerzen bei peripherer arterieller
Verschlußkrankheit (PAVK) bisher wenig untersucht worden. Mittels
quantitativ sensorischer Testung (QST) konnte eine neuropathische
Beteiligung bei ischämischen Schmerzen bei PAVK nachgewiesen
werden. Dabei wurde sowohl eine Hypästhesie als auch
Positivsymptome beobachtet, die auf eine zentrale Sensibilisierung
hinweisen [66]. Die Schmerztherapie bei chronisch ischämischen
Schmerzen ist uneinheitlich. Es existieren bisher keine
evidenzbasierten Empfehlungen zur symptomatischen Schmerztherapie
bei PAVK. Ziel der vorliegenden Arbeit war es, den Charakter
chronischer Ischämieschmerzen bei PAVK mittels verschiedener
Befragungsinstrumente zu beschreiben. Dabei wurde insbesondere
untersucht, ob sich bei PAVK Symptome neuropathischer Schmerzen
auch mittels Fragebögen abbilden lassen. Weiter wurde
herausgearbeitet, ab welchem Stadium der PAVK neuropathische
Schmerzen auftreten. Fragebögen könnten die Diagnostik
neuropathischer Schmerzen bei PAVK unterstützen. Mittels QST wurde
außerdem untersucht, ob bei Patienten mit chronisch kritischer
Extremitätenischämie (Stadium III und IV) ohne Diabetes mellitus
Neuropathiefragebögen mit den Ergebnissen der QST korrelieren. In
einer Befragung unter behandelnden Ärzten wurde ermittelt, welche
Schmerztherapie derzeit bei chronisch ischämischen Schmerzen
eingesetzt wird und welche Relevanz dem Schmerzproblem beigemessen
wird. Methoden: 102 Patienten (Alter 68,1 ± 1,1 Jahre (MW ± SF); 63
m, 39 w) mit symptomatischer PAVK (Stadium II bis IV nach Fontaine)
füllten einen standardisierten Fragebogen aus. Dieser bestand aus
verschiedenen validierten Befragungsinstrumenten zu Schmerzstärke
und -charakter, neuropathischem Schmerz und Schmerzbedingter
Beeinträchtigung (VAS, NPSI, S-LANSS, PDI, SF – MPQ). Aufgrund der
angiologischen Diagnostik wurden die Patienten zu einer der beiden
Gruppen zugeordnet: a) Patienten mit symptomatischer PAVK und
kompensierter Hämodynamik (Claudicatio intermittens, Fontaine
Stadium II) und b) mit chronisch kritischer Extremitätenischämie
(Fontaine Stadium III und IV). 10 Patienten mit chronisch
kritischer Ischämie (Fontaine Stadium III und IV) ohne Diabetes
mellitus wurden mittels QST nach dem Protokoll des Deutschen
Forschungsverbunds für Neuropathischen Schmerz (DFNS) untersucht.
281 Ärzte verschiedener Fachrichtungen, die Patienten mit
chronischen Ischämieschmerzen behandeln, nahmen an einer
standardisierten Befragung teil. Die meisten der befragten Ärzte
waren als Chirurgen, Internisten und Schmerztherapeuten tätig.
Ergebnisse: Patienten mit chronisch kritischer Ischämie bewerteten
ihre Schmerzen in Ruhe mit 5,4 ± 0,4 (MW ± SF) auf einer visuellen
Analog-Skala (VAS) von 0 bis 10. Die Schmerzbedingte
Beeinträchtigung (PDI) lag bei 32,5% (PDI global 22,7 ± 1,7) für
Claudicatio und bei 48,5% (PDI global 34,0 ± 2,3) für chronisch
kritische Ischämie. Die Fragebögen für neuropathischen Schmerz
(S-LANSS und NPSI) zeigten – unabhängig von Diabetes mellitus –
deutlich erhöhte Werte für chronisch kritische Ischämie. Der S –
LANSS ergab bei chronisch kritischer Ischämie 17,2 ± 0,8 und bei
Stadium II 6,7 ± 0,8 (p < 0,001). Der Summenscore des NPSI war
34,1 ± 3,1 für chronisch kritische Ischämie und 6,6 ± 1,1 für
Claudicatio (p < 0,001). Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass
Schmerzen bei chronisch kritischer Ischämie hauptsächlich
neuropathischen Ursprungs sind (cutoff-Wert ≥ 12) [14]. Dagegen
überwogen bei Claudicatio nicht-neuropathische Schmerzen. Die
Neuropathiefragebögen S – LANSS und NPSI korrelierten gut
miteinander (Spearman-Koeffizient 0,779; p = 0,000). Die Evaluation
der Wörter im SF – MPQ ergab signifikant höhere Bewertungen für die
Schmerzqualitäten stechend, heiss-brennend, empfindlich
(sensorisch) und gemein-peinigend (affektiv) bei Patienten mit
chronisch kritischer Ischämie im Vergleich zu Patienten mit
Claudicatio. Die QST – Werte der 10 Patienten mit chronisch
kritischer Ischämie ohne Diabetes mellitus waren deutlich
pathologisch verändert. Es zeigte sich eine Hypästhesie und
gleichzeitig eine gesteigerte Empfindlichkeit. So fanden sich
erhöhte Schwellen für Temperaturempfindung, Vibration und für die
Empfindung mechanischer Reize und gleichzeitig eine verstärkte
Reaktion auf wiederholte Reize (Wind-up), verminderte Schwellen für
Druckschmerz, Zeichen für Allodynie sowie paradoxe Hitzereaktionen.
Es bestand keine signifikante Korrelation der Gesamtwerte der
Fragebögen für neuropathischen Schmerz mit Parametern der QST. Der
Subscore evozierter Schmerz des NPSI korrelierte jedoch mit dem QST
Parameter Wind-up. Außerdem zeigten sich interessante Korrelationen
von QST-Parametern mit einzelnen Wörtern des SF – MPQ, so zum
Beispiel zwischen Allodynie und dem Wort empfindlich. Die
Ärztebefragung ergab, dass für die Behandlung chronischer
Ischämieschmerzen meist eine medikamentöse Schmerztherapie
(Metamizol / Paracetamol, schwache und starke Opioide) verwendet
wurde. Es zeigten sich Unterschiede zwischen den Fachgruppen, so
wurden beispielsweise Antidepressiva und Antikonvulsiva von
Schmerztherapeuten deutlich häufiger verwendet. Eine Bevorzugung
der medikamentösen Schmerztherapie mit Metamizol / Paracetamol und
schwachen Opioiden zeigte auch die Patientenbefragung.
Schlussfolgerung. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich der
Charakter ischämischer Schmerzen mit der Schwere der Erkrankung
ändert. Während bei Claudicatio ein nicht-neuropathischer
Schmerztyp vorliegt, zeigte sich bei chronisch kritischer Ischämie
ein überwiegend neuropathischer Schmerzcharakter. Eine
neuropathische Beteiligung bei chronisch kritisch ischämischen
Schmerzen konnte durch die QST bestätigt werden. Fragebögen stellen
ein hilfreiches Instrument dar, um neuropathische Anteile bei
Ischämieschmerzen zu untersuchen und zu diagnostizieren. Eine
mögliche neuropathische Beteiligung sollte bei der Therapie
chronischer Ischämieschmerzen bei PAVK weiter berücksichtigt
werden. Die weitere Erforschung der Mechanismen, die zu den
typischen Charakteristika ischämischer Schmerzen führen, erscheint
notwendig. Patienten mit chronisch kritischer Ischämie sind durch
die Schmerzen in ihrem Alltag stark eingeschränkt. Um die
Schmerztherapie dieser Patienten zu verbessern erscheint es
sinnvoll, ein breiteres Spektrum an Therapiemodalitäten zu nutzen
und Empfehlungen für die Schmerztherapie zu entwickeln. Eine
interdisziplinäre Zusammenarbeit scheint dabei unerlässlich.

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