Eine Kastration löst nicht sämtliche Verhaltensprobleme

Eine Kastration löst nicht sämtliche Verhaltensprobleme

Alles, was Du über das Thema Kastration bei Hunden wissen musst, erfährst Du in dieser Podcastfolge. Etwa:...
44 Minuten

Beschreibung

vor 3 Jahren

Alles, was Du über das Thema Kastration bei Hunden wissen musst,
erfährst Du in dieser Podcastfolge. Etwa: Ist es überhaupt
sinnvoll, seinen Hund zu kastrieren? Und wird mein Hund nach
einer Kastration ruhiger? Antworten hat Verhaltensbiologin Carina
Kolkmeyer, die seit Jahren zum Thema Kastration forscht. In der
Folge erfährst Du u. a., warum Du einen Hund nicht schon vor oder
in der Pubertät kastrieren lassen solltest und dass eine
Kastration nicht automatisch Verhaltensprobleme löst – genau das
ist ja oft der Grund für viele Hundehaler und -halterinnen, ihren
Hund kastrieren zu lassen. Blöd, wenn dann genau das Gegenteil
eintrifft. Das ist allerdings nicht wirklich überraschend. Warum,
hörst Du in der Folge.
Was passiert genau bei einer Kastration?

Von einer Kastration sprechen wir dann, wenn wir beim Rüden die
Hoden entfernen, also wenn wir chirurgisch die Organe wegnehmen
und bei der Hündin die Eierstöcke entfernen und weil es meistens
dann auch eine Ovariohysterektomie ist, also ein etwas größere
Eingriff, wird dann meistens noch neben den Eierstöcken die
Gebärmutter mit entfernt. Das heißt also, wir haben dann die
Gonaden weg bei beiden Geschlechtern und in dem Moment entfällt
auch die Sexualhormonproduktion. Und das wäre dann beim Rüden
eben das Testosteron, was nicht mehr gebildet wird. Und bei der
Hündin wird dann eben das Östrogen nicht mehr gebildet und auch
das Progesteron nicht mehr gebildet.
Denise

Das ist ja unter anderem nicht ganz zu verachten, weil es wichtig
ist, dass es eine Balance gibt – jetzt bleib‘ ich mal beim Rüden
– zwischen dem Testosteron und dem Cortisol, dem sogenannten
Stresshormon. Könntest du vielleicht erklären, warum das so
wichtig ist? Und was passiert bei einer Kastration dann?
Carina Kolkmeyer

Wir haben das Cortisol, unser Stresshormon und das ist
tatsächlich ein sehr wichtiger Gegenspieler von unseren
Sexualhormonen. Wie du es gerade schon richtig gesagt hast, haben
wir bei dem Rüden das Testosteron, was der Gegenspieler von
Cortisol ist. Das heißt, wenn das eine steigt, sinkt automatisch
das andere. Und bei der Hündin haben wir das Östrogen und das
Progesteron als Gegenspieler vom Cortisol. Und wenn jetzt ein
Hund kastriert wird, dann entfällt natürlich diese wichtige
stressdämpfende Wirkung. Das heißt, die Gegenspieler sind weg,
also die Sexualhormone. Und in dem Moment können wir einen
dauerhaft erhöhten Cortisolspiegel haben bzw. ein Hund kann
schneller reizbar, schneller gestresst sein und eben schneller
seinen Cortisolspiegel steigen lassen.
Denise

Da kommen wir jetzt gleich drauf zu sprechen, weil ich habe dir
ja vorab verraten, dass ich auf meinem Instakanal meine
Follower*innen gefragt habe, ob sie irgendetwas interessiert zum
Thema Kastration. Und da kamen einige Fragen, die würde ich gerne
so an dich weitergeben als Expertin. Zum Beispiel hat Ingeborg
gefragt: Ist es denn immer sinnvoll zu kastrieren?
Carina Kolkmeyer

Diese Frage kann man eigentlich mit einem klaren Jein oder Nein
beantworten, weil es ist tatsächlich so, dass es oft ein
Irrglaube ist, dass durch eine Kastration sämtliche
Verhaltensprobleme gelöst werden können.


Also man denkt halt oft: Ja gut, wenn ich meinen Hund jetzt
kastriere, dann kann ich auf einem einfachen Wege durch eine
chirurgischen Eingriff mal eben sämtliche Problematiken
abschaffen. Das heißt, ich könnte meinen Rüden eventuell nachher
weniger aggressiv haben oder er hat nicht mehr so ein
hypersexuelles Verhalten, was eben auch leider oft als Grund
genannt wird.
Wunsch vs. Realität

Die Realität sieht in sehr vielen Fällen ganz anders aus. Also es
gibt wirklich viele Hundehalter und -halterinnen, die hinterher
diesen Schritt auch bereuen und das ist ja ein irreversibler
Schritt. Das heißt, was einmal ab ist, kann halt nicht mehr
wieder dran gesetzt werden. Positiv beeinflussen lässt sich zum
Beispiel bei einer Kastration auch immer nur das Verhalten, was
per se durch die Sexualhormone abhängig ist. Und das sind halt
ganz wenige Verhaltensweisen.


Und da gibt es eben oft so einen Irrglauben oder so viele
Missverständnisse, dass man sofort das Testosteron zum Beispiel
beim Rüden mit ganz vielen Verhaltensweisen in Verbindung setzt,
die eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben. So heißt es
ganz oft der Rüde ist dominant oder er hat eine
Dominanzaggression oder der Rüde hat ein Statusproblem oder der
Rüde gehorcht nicht richtig oder der Rüde läuft immer läufigen
Hündinnen hinterher und man denkt okay, wenn ich jetzt diesen
Rüden kastriere, dann hört das alles auf oder das
Markierverhalten entfällt dann auch. Und das ist tatsächlich eben
ein Irrglaube, weil wir müssen wirklich schauen, welches
Verhalten hängt definitiv vom Testosteron ab. Und das ist wie
gesagt nur ein kleiner Bereich von Verhaltensweisen.
Wann ist eine Kastration ratsam? Denise

Gibt es dann doch Fälle, wo es Sinn macht, einen Hund oder eine
Hündin zu kastrieren.
Carina Kolkmeyer

Ganz klar vom Tierschutzgesetz her natürlich, wenn eine
medizinische Notwendigkeit besteht, also dann, wenn ein Organ
irgendwie lebensbedrohlich erkrankt ist. Also wenn ein Hodentumor
vorliegt oder gefährliche Mammatumore entstanden sind, dann
sollte man natürlich handeln, das ist klar. Da sollte man nicht
vehement sagen, dann stirbt mein Hund jetzt lieber, als dass ich
ihn kastrieren lasse. Das ist natürlich klar. Wenn das Tierwohl
gefährdet ist, dann dürfen wir handeln und dann darf ein Tierarzt
oder eine Tierärztin natürlich auch kastrieren.


Aus verhaltensbiologischer Perspektive sieht es so aus, dass wir
eigentlich wie gesagt nur dann kastrieren können, wenn wir per se
eine Sexualhormonabhängigkeit haben. Das heißt zum Beispiel, wenn
wir jetzt im Falle des Rüden gesprochen, wirklich mal
hypersexuelles Verhalten haben. Und von hypersexuell sprechen wir
aber wirklich nur dann, wenn wir von dem Rüden die gesamte
Verhaltenskaskade gezeigt bekommen, die zu hypersexuellem
Verhalten dazugehört. Das reicht nicht aus, dass man sagt „Mein
Hund, der ist ständig am Aufreiten, der rammelt alles kurz und
klein, der rammelt an Gegenständen, womöglich sogar andere Hunde
oder sogar vielleicht am menschlichen Bein.“ Also der Rüde ist in
dem Moment noch nicht hypersexuell, weil das Aufreiten zum
Beispiel auch eine ganz andere Herkunft haben kann. Es kann auch
als Ursache wieder das Cortisol mit reinspielen. Es kann wieder
eine Stresshandlung sein. Eine Übersprungshandlung oder
stereotypes Verhalten. Also da muss man halt ganz doll aufpassen.
Empfehlung bei wirklich hypersexuellem Verhalten

Wenn wir wirklich hypersexuelles Verhalten haben, dann sagen wir
auch immer: „Okay, erst einmal bitte von einem Experten
abschätzen lassen, beobachten lassen. Also das heißt immer eine
Expertise einholen. Wir bieten zum Beispiel auch so eine Beratung
an, lassen uns dann mitunter auch mal Videos schicken und gucken
uns das Verhalten an und werten das dann eben aus und sagen:“
Okay, ja, das fängt an mit Maul lecken, Zähneklappern, einer
gewissen T-Formation – dass sich ein Hund in einer bestimmten
Formation zu einem anderen Hund stellt, schon mal das Kinn
aufgelegt wird und die Deckbereitschaft gezeigt wird bis hin zu
Ejakulatstropfen, die rauskommen oder schon ein richtiger
Deckakt, mit einer richtigen Kopulationsbewegung.


Wenn diese ganze Kaskadeabfolge da ist, dann können wir sagen:
Okay, das ist hypersexuell. Wenn das nur mal auftritt, wenn eine
läufige Hündin vor ihm steht, ist das noch nicht hypersexuell,
sondern einfach nur reines Sexualverhalten. Aber wenn der Rüde
natürlich extrem leidet, er macht eine Futterverweigerung, er
schläft nicht mehr, der Hund haut ständig ab und man kann im
Prinzip mit diesem Hund nichts mehr anfangen. Er ist ein Häufchen
Elend. Dann kann man sagen: Okay, da könnte auch mal wirklich aus
Verhaltensperspektive kastriert werden.
Denise

Du hast gerade gesagt, man kann sich bei Fragen zu hypersexuellem
Verhalten an euch wenden. Wie genau geht es dann?
Carina

Entweder schreibt man direkt eine E-Mail an mich oder an Dr. Udo
Gansloßer. der ist ja mein Doktorpapi und quasi bei uns auch –
ja, das Headmitglied quasi unseres Teams, unserer Mammalia AG.
Genau, wir sind ja für verhaltensmedizinische Beratungen
zuständig. Tatsächlich hilft es vielen als Entscheidungshilfe
einfach auch noch mal einen anderen Blickwinkel zu haben und zu
schauen okay, soll ich jetzt meinen Hund wirklich kastrieren und
hab ich das richtig abgeschätzt das Verhalten? Das kann auf jeden
Fall ganz hilfreich sein.


Kontakt zu Carinas TeamHerunterladen
Verändert sich mein Hund nach einer Kastration? Denise

Weil in der Tat, also ich habe viele Kunden und Kundinnen, aber
auch so Menschen in meinem Umfeld, die sich genau die Frage
stellen: Soll ich meinen Hund kastrieren? Also aus
unterschiedlichsten Gründen, eben oft auch in der Hoffnung, bei
Rüden aggressives Verhalten abschalten zu können. Was du ja schon
angesprochen hast, was eigentlich nur Sinn ergeben würde, wenn
dieses Verhalten, wie du es vorhin gesagt hast,
testosterongesteuert ist. Also wenn der Hund nach vorne geht,
weil er Angst hat, dann ändert sich nach einer Kastration wenig.
Beziehungsweise kann sogar vielleicht noch schlimmer werden. Aber
da komme ich drauf noch zu sprechen, weil da gibt es auch Fragen.


Und zwar: Der Martin hat mir zum Beispiel auch ein paar Fragen
geschickt. Er sitzt im Rollstuhl und hat eine Hündin und die
Läufigkeit seiner Hündin, die stresst ihn sehr, weil er kann dann
nicht mehr alleine mit ihr raus und er hat zum Beispiel gefragt –
also das bezieht sich jetzt in seinem Fall auf eine Hündin: Wie
heftig ist das mit einer Wesensveränderung nach einer Kastration?
Und die Frage hat mir Caro auch noch mal gestellt. Also mit
welchen Wesensveränderungen muss man bei Hunden und Hündinnen
nach einer Kastration rechnen?
Carina

Zuerst einmal großes Lob. Es ist immer super, dass man sich
vorher schon mal damit beschäftigt. Nicht nur was kann ich alles
abschaffen durch eine Kastration, sondern was kann alles folgen
nach einer Kastration? Das ist schon mal, finde ich, der erste
richtige und wichtige Schritt und der erste Gedankenschritt, den
man auch gehen muss.
Aggression und Angst können zunehmen

Was auch auftreten kann, also ich kann jetzt mal so von unseren
eigenen Studienergebnissen sprechen, sind vor allem vermehrte
Aggression und da verschiedene Aggressionsformen tatsächlich
auch. Vermehrt Angst natürlich, weil eben bedingt durch diesen
erhöhten Cortisolspiegel der Hund schneller mal schreckhaft ist
oder unsicher in gewissen Situationen ist.


Er kann auch mal panisch sein. Also auch Panik kann definitiv
ansteigen und Stress natürlich allgemein auch. Der Hund 
kann vermehrter hecheln oder kann mit gewissen Situationen nicht
mehr so gelassen umgehen. Also insgesamt kann es zu einer
emotionalen oder auch hormonellen Unausgeglichenheit kommen. Das
heißt man hat vielleicht einen Hund, der schneller mal eine
Übersprungshandlung macht, der zum Beispiel auch nach der
Kastration vermehrt aufreitet oder noch mehr aufreitet als er das
schon vorher gemacht hat. Also da sollte man sich auf jeden Fall
vorher Gedanken machen. Auch das aufreiten  kann zum
Beispiel ja auch bei Rüden und Hündinnen auftreten.
Alle Seiten abwägen

Im Falle deines Fragenstellers, der für die Hündin fragt: Auch da
sollte man sich vorher Gedanken machen. Okay, welche Probleme
oder welche Schwierigkeiten habe ich jetzt gerade mit dem Hund?
Und will ich die eventuellen Schwierigkeiten, die danach
auftreten, auch haben? Kann ich damit umgehen? Habe ich da einen
Experten oder eine Expertin an der Hand, die mir da helfen kann,
gegebenenfalls? Dann kann man das vielleicht mal überlegen, aber
man sollte sich halt echt dessen bewusst sein, dass danach
wirklich auch eine große Veränderung kommen kann.


Ich hatte auch zum Teil Hündinnen, die sehr apathisch zum
Beispiel auch geworden sind nach einer Kastration. Die haben so
eine Art Sozialinkompetenz entwickelt. Also die sind quasi
wirklich voll in ein Individualverhalten gegangen und haben gar
nicht mehr so viele soziale Verhaltensweisen gezeigt, was dann
oft von den Hundehalter*innen so bewertet wurde, dass sie gesagt
haben: „Ja, mein Hund ist seitdem ja total gelassen, der kommt ja
gar nicht mehr in Streitigkeiten mit anderen Hunden. Ich habe mir
gedacht: Ja, aber der Hund kommt auch gar nicht mehr in Kontakt
mit den anderen Hunden. Also man muss sich überlegen, wie lebe
ich mit dem Hund? Wie viel Kontakt hat er zu anderen Hunden und
welche Folgen können vielleicht auftreten? Und kann ich damit in
meiner Lebensumgebung oder meinem Lebensalltag umgehen?
Hunde können nach einer Kastration unruhiger oder aggressiver
werden Denise

Das heißt im Umkehrschluss auch, weil du gesagt hast, unter
anderem können Hunde oder Hündinnen dann ängstlicher werden. Wenn
wir bei dem Beispiel bleiben, was ich vorhin angesprochen hatte,
dass ein Hund zum Beispiel jetzt nach vorne geht aus
Unsicherheit. Und der Halter oder die Halterin denkt sich – warum
auch immer –  okay, ich lasse diesen Hund kastrieren und
dann wird alles gut. Dass das dann eigentlich noch schlimmer
werden kann. Die Unsicherheit und das nach vorne gehen.
Carina Kolkmeyer

Ja, gerade bei angstaggressiven Hunden und auch gerade bei Hunden
aus dem Tierschutzbereich, wo ja leider noch sehr oft pauschal
kastriert wird, ist es eben einfach oft der Fall, dass wir
nachher so ein kleines Häufchen Elend da sitzen haben, was noch
angstaggressiver ist und irgendwann vielleicht sogar schon
resigniert und dann wie gesagt in so eine Apathie vielleicht auch
schon fällt. Oder einfach generell eine Zurückgezogenheit. Ja,
und das waren jetzt natürlich erst mal nur so die
verhaltensbiologischen Konsequenzen, die medizinischen – das ist
noch mal eine ganz andere große Kiste, also auch mit Inkontinenz
oder generell Krebsrisiken, die ansteigen können. Also auch das
sollte man immer auf jeden Fall im Hinterkopf haben.
Die Gefahr der Inkontinenz Denise

Stichwort Inkontinenz: Da hat der Martin nämlich auch gefragt:
Wie hoch ist die Gefahr der Inkontinenz?
Carina Kolkmeyer

Ja, also da gibt es tatsächlich sehr viele Zahlen. Das Spektrum
ist sehr hoch. Es gibt Studien, die sprechen von 1 bis 20 %.
Aber es gibt eben einige Studien, die wirklich sagen, zu
20 % kann eine Inkontinenz auftreten. Das Risiko steigt
natürlich mit dem Alter, je älter die Hündin wird. Und es steigt
aber auch mit dem Alter, in dem die Hündin kastriert wurde. Und
da geht es in die andere Richtung.


Das heißt, je früher die Hündin kastriert wurde, desto
wahrscheinlicher entwickelt sie dann auch eine Inkontinenz,
entweder direkt nach der Kastration oder irgendwann im Laufe
ihres Lebens. Und das hängt natürlich alles mit dem
Blasenverschlussdruck zusammen. Also das heißt, da spielen auch
die Sexualhormone wieder eine wichtige Rolle, dass sie die Blase
sozusagen, ich sag jetzt einfach mal ein bisschen kräftiger
halten, dass sie einfach nicht ihre Aufgabe verlässt oder ihre
Funktion verliert, den Urin halt zu halten.
Möglichkeiten der Behandlung Denise

Ist das denn irreparabel?
Carina Kolkmeyer

Man kann es manchmal behandeln. Ich glaube, es gibt ja auch eine
gute Hormontherapie, die man direkt anschließen kann. Man sollte
vielleicht sogar immer überlegen, hin und wieder auch auf
pflanzliche Mittel zurückzugreifen.


Wenn ich einen persönlichen Bericht mal mit reinbringen kann,
meine Hündin zum Beispiel ist nicht kastriert, fällt aber fast
nach jeder Läufigkeit in eine Inkontinenz. Und es hat lange
gedauert, bis ich jetzt für mich herausgefunden habe, dass meine
Hündin einfach durch diesen Wegfall der Hormone oder durch dieses
Hormonchaos, was einfach nach der Läufigkeit  auftritt, so
ein Tief hat an Sexualhormonen so, dass ihre Blase auch einfach
aufhört zu halten und sie dementsprechend für ein, zwei Wochen
inkontinent ist. Wir dachten immer an Blasenentzündung und haben
es behandelt mit Antibiotika. Und so weiter und meine Hündin wäre
dementsprechend eine absolute Kandidatin für eine Inkontinenz
nach einer Kastration.


Das heißt also, wenn es sich bei meiner Hündin irgendwie
vermeiden lässt, dann möchte ich sie auch wirklich niemals
kastrieren lassen, weil ich glaube, ihr würde es wirklich nicht
gut tun. Sie ist sowieso eine Rüdin. Also es gibt ja auch bei
Hündinnen sogenannte Rüdinnen, die halt einfach auch das Beinchen
heben, die mal so ein Testosteronschub eventuell schon über die
Gebärmutter durch ihre Brüder quasi abbekommen haben. Und das
passt bei meiner Hündin auch wie Pfote aufs Auge.
Nicht zu früh kastrieren Denise

Wenn sich jetzt Hörer und Hörerinnen fragen: Hä? Wie Rüdinnen?
Das ist oft so, wenn zum Beispiel in einem Wurf, ich sag jetzt
mal von zehn kleinen Welpis sind neun Jungs und eine kleine Dame,
dann kann das eine sogenannte Rüdin sein, weil einfach so viel
Testosteron da schon dabei war, nur dass wir da zum Verständnis
beitragen. Dann habe ich hier noch weitere Fragen von
Follower*innen und zwar hat Caro gefragt: Wann darf denn ein Hund
kastriert werden?
Carina Kolkmeyer

Da würde ich definitiv immer erst die Pubertät abwarten, das
heißt also immer erst dann, wenn der Hund quasi im
Erwachsenenalter angekommen ist. In der Regel sind große
Hunderassen da ein bisschen Spätentwickler, das heißt die
brauchen ein bisschen länger. Bei denen  können das auch
schon mal zweieinhalb und in ganz Extremfällen auch mal drei
Jahre sein. Und bei den kleineren Hunderassen sprechen wir, so
ca. von anderthalb Jahren, dass die dann ihre Pubertät
durchlaufen haben als Richtwert, kann man sonst auch nehmen. Man
schaut sich die Hündin an von der gleichen Rasse und guckt, wann
sie ihre dritte Läufigkeit durchlaufen hat. Und wenn diese dritte
Läufigkeit durch ist, dann darf man, wenn überhaupt, erst das
Messer wetzen.
Die Risiken einer zu frühen Kastration Denise

Oder wetzen lassen, hoffe ich. Carina, warum sollte man denn
Hunde auf gar keinen Fall zu früh kastrieren?
Carina Kolkmeyer

Also vor der Pubertät sollte es wirklich, wirklich, wirklich
vermieden werden. Es sei denn so wie ich es vorhin gesagt habe,
es ist medizinisch notwendig und ein Weiterleben wäre sonst nicht
möglich für den Hund. Da muss man es natürlich machen, aber auch
da sollte man immer mit den Konsequenzen rechnen, die passieren
können. Also medizinisch große Kaskade.


Wir haben während der Pubertät einfach unglaublich viele
Umbaumaßnahmen, die stattfinden. Also das ganze Gehirn wird ja im
Grunde noch einmal umgekrempelt. Das ist wie eine große Autobahn,
die gebaut wird und die wird erst mal aufgerissen und dann werden
neue Straßen gelegt. Wir haben neue Nervenbahnen, die verknüpft
werden, wir haben auch im Knochengerüst oder im Sehnen und
Muskelgerüst alles, das noch mal gestreckt, gedehnt und von den
Wachstumsphasen her abgeschlossen wird.


Das heißt das ganze System wird einmal quasi geöffnet und noch
mal neu verknüpft. Und wenn wir jetzt während dieser Baustelle
sagen Stopp! Und jetzt wollen wir auf der Autobahn aber
weiterfahren, ohne dass wir sie weiter ausgebaut haben, finde ich
das etwas gefährlich. Also ich würde mich nicht auf so eine
Baustelle trauen und dann mit mein Auto drüberfahren, sondern
würde sagen: Nee, das schließen wir mal lieber erst ab, bevor wir
da irgendwelche Gefahren eingehen.
Typisch für einen früh kastrierten Hund

Ein Frühkastrat bleibt ganz oft eben auf dem Level eines jungen
Hundes stehen. Das heißt, die wirken oft desorientiert, sind oft
unsicher, die können oft nicht mit neuen Situationen gut umgehen,
die sind sprunghaft, die sind halt einfach richtig jung
geblieben. Ja, da fehlt es so ein bisschen einfach an der Reife,
im Wachstum. Und was das Knochengerüst angeht oder generell
Muskeln und Sehnen. Wir haben ein verlängertes Röhrenwachstum der
Knochen, das heißt, hier haben wir oft so einen schlaksigen Gang.


Sieht man finde ich auch ganz oft bei gewissen Hunden aus dem
Tierschutzbereich. Und das kann natürlich auch nicht nur unschön
aussehen, sondern kann auch schwere Folgen mit sich führen. Wir
haben schneller eine HD also ein Hüftgelenksdysplasie oder auch
generell an den Gelenken Probleme, am Knie Probleme. Sehnen
reißen schneller. Also solche Hunde haben schnell auch mal einen
Bänderriss oder einen Kniesehnenriss. Also da sollte man
wirklich, wirklich Abstand von nehmen. Einen Hund früh zu
kastrieren ist sicherlich keine gute Wahl. Und wenn man es machen
muss, dann würde ich persönlich immer sehen, dass ich irgendwie
versuche, noch bis zum Abschluss der Pubertät hormonell den Hund
weiterhin durch Präparate oder ähnlichem zu unterstützen, damit
der Hund einfach eben noch reif werden kann und das Ganze noch
abgeschlossen werden kann, was da eben noch so wachsen muss.
Denise

Was wären das dann für Präparate?
Carina

Ja, entweder kann man mal schauen. Ich weiß nicht, ob das jetzt
schon bei allen Tierarztpraxen so gang und gäbe ist, aber manche
bieten da direkt auch schon Präparate an. Ansonsten geben wir in
unserer Beratung zum Beispiel auch immer das Mönchspfeffer als
Empfehlung. Mönchspfeffer als Agnus Castus. Das ist eine ganz
tolle Pflanze, auch im Humanbereich total beliebt, gerade bei
Frauen in den Wechseljahren oder bei Frauen mit schweren
Menstruationsbeschwerden oder so, aber auch Männer können es
theoretisch auch nehmen. Im Prinzip ist es ein pflanzliches
Östrogen, das man dann einnimmt. Und das kann halt wie gesagt
noch mal so ein bisschen Östrogen oder so eine Sexualhormonmenge
im Körper dann eben ja losschicken und dadurch kann man wieder
etwas mehr ins Lot geraten.
Warum wird oft noch pauschal zur Kastration geraten? Denise

Zu dem Themenkomplex passt gerade auch eine Frage von Elise:
Warum kastrieren so viele Tierärzte noch so oft, so früh, zum
Beispiel nach der ersten Läufigkeit?
Carina

Ja, das ist tatsächlich eigentlich sehr traurig. Das liegt vor
allem daran, dass hier oft auch mit falschen Zahlen einfach
operiert wird. Hier wird noch eine Studie zitiert. Ich weiß jetzt
ehrlich gesagt nicht, aus welchen Jahren sie ist, aber auf jeden
Fall aus dem letzten Jahrhundert. Und diese Studie hat damals
nicht die, ich sag mal direkten Zahlen rausgegeben, hat keine
relativen Zahlen genannt, sondern einfach gesagt: 25 % der
Hündinnen haben ein Risiko für einen Mammatumor. Und wenn man die
Hündin jetzt vor der ersten Läufigkeit oder nach der ersten
Läufigkeit auf jeden Fall noch vor der Beendigung der Pubertät
kastriert, dann sinkt dieses Risiko so enorm ab auf nahezu weiß
nicht 1, 2 %, sodass die Tierärzt*innen jetzt einfach der
Meinung sind, damit könnte man einem Mammatumor definitiv
entgegenwirken. Aber diese Zahlen sind halt leider irreführend
und leider auch falsch zitiert und falsch berechnet worden. Das
generelle Risiko für einen Mammatumor besteht zum Beispiel nur
bei 1,86 Prozent und eben nicht bei jeder vierten Hündin, also
bei 25 Prozent. Und das sind wirklich unter 2 %. Und wenn
man eine Hündin dann vor der dritten Läufigkeit kastriert, dann
sinkt das Risiko auch oft nur auf 0,5 %. Das heißt, wir
haben von 1,8 % auf 0,5 % und das sind schon ganz
andere Zahlen, finde ich. Aber diese Zahlen kennen die meisten
Tierärzte halt nicht.


Ein-paar-Infos-zu-MammatumorenHerunterladen
Denise

Eine Frage von Lara: Werden Hündinnen vor dem zweiten Lebensjahr
kastriert: Verlängert das dann die Lebenserwartung? Sie fragt
das, weil sie das jetzt schon von mehreren Seiten gehört hat.
Carina Kolkmeyer

In der Regel kann ich sagen: eigentlich nicht, weil vor allem die
Kaskade an medizinischen Risiken, die noch auftreten können,
danach einfach sehr groß ist. Das heißt also das, was eben noch
an Krebsrisiken oder auch, wie es vorhin schon genannt hatte, mit
dem verlängerten Knochenwachstum war, wabbelige Sehnen und die
Muskeln nicht richtig ausgebildet. Also diese Liste an Folgen ist
einfach viel, viel länger als das, was eventuell gegebenenfalls
mal präventiv verhindert werden kann. Und wie gesagt, wenn man
das mit dem Mammatumoren sich vor Augen führt, das ist ja einfach
der Grund schlechthin medizinisch, dass man sagt okay, wenn ich
die Hündin jetzt auch früh kastriere, dann entwickelt die keinen
Mammatumor. Aber wenn wir uns da die Prozentzahlen angucken, dann
rechtfertigt das in keinem Fall eine Kastration.
Denise

Eine weitere Folge ist – da hat mir Ingeborg geschrieben, dass
ihr Hund nach der Kastration zugenommen hat. Kommt das häufiger
vor? Das frage ich jetzt. Und woran liegt das denn?
Carina Kolkmeyer

Ja, das kommt tatsächlich häufig vor bzw. es kommt vor allem dann
vor, wenn man nicht aufpasst bzw. wenn man die Futterration nicht
dementsprechend umstellt. Das liegt daran, dass auch die
Sexualhormone unseren Stoffwechsel enorm beeinflussen und alles
kann dann halt einfach gebremst werden, langsamer werden und eine
ganz andere Umsetzung findet einfach danach statt. Also ja, das
kommt auch häufig vor und man sollte da definitiv auch dann
aufpassen.
Was kann ein Kastrationschip? Denise

Caro hat gefragt: Lohnt es sich, vor der echten Kastration einen
Chip auszuprobieren?
Carina Kolkmeyer

Ja, auf jeden Fall. Das kann ich definitiv so unterschreiben.
Wenn man wirklich natürlich den ernsthaften Gedanken einer
Kastration hat. Immer mal spaßeshalber einfach einen Chip zu
setzen, würde ich auch nicht. Nur um mal zu gucken, was da so
passiert. Wir haben hier immerhin immer einen chemischen bzw.
hormonellen Eingriff, der auch manchmal Spuren hinterlassen kann.
Das heißt, der Chip ist natürlich ein Probelauf, also eine super
chemische Alternative zur Kastration. Wir greifen ja nicht
chirurgisch ein, es ist reversibel. Wir haben ja einmal den
Halbjahreschip und der würde dann eben nach einem halben Jahr
auslaufen. Oder wir haben ein Ganzjahreschip und da würde dann
nach einem Jahr eben wieder alles wieder sozusagen hoffentlich im
Normalzustand sein.


Man kann sich das Verhalten während dieser Chipphase anschauen.
Das heißt man kann beobachten, wie hat sich mein Hund jetzt
verändert oder wie verändert er sich gerade? Man kann es dann
eben quasi verhaltensbiologisch einschätzen und hinterher kann
man im Prinzip entscheiden, ob jetzt eine Kastration vielleicht
die geeignete Wahl oder eben nicht.


Aber ganz kurz vielleicht noch: Man sollte immer im Hinterkopf
behalten, hier ist auf jeden Fall Vorsicht geboten. Der Chip
führt beim Rüden in den ersten Wochen immer erst mal zu einem
Testosteronpeak. Das heißt hier kann es sein, dass der Hund auch
mal richtig ausrastet, wenn das Verhalten dann
testosteronabhängig war oder es vielleicht nicht so abhängig war,
aber der Hund dann noch einmal total testosterongesteuert sein
könnte. Danach flaut es dann aber ab. Danach ist es auch einer
chirurgischen Kastration entsprechend. Die Hoden schrumpfen und
danach hätten wir dann auch wirklich den Zustand einer
eventuellen Kastration.
Der Kastrationschip ist kein Dauerzustand Denise

Das heißt, in dem Fall sollte man auf jeden Fall einfach sich
nicht von dem Anfangsverhalten abschrecken lassen, wenn das erst
mal schlimmer wird, sondern wirklich ein paar Wochen warten und
dann gucken, wie sich da der Hund oder die Hündin verhält. Ich
könnte mir vorstellen, dass sich jetzt vielleicht einige denken:
Ach cool, wenn das mit dem Kastrationschip so einfach ist. Dann
erspare ich meinem Hund oder meiner Hündin so einen chirurgischen
Eingriff. Dann setze ich jetzt einfach immer nach einem halben
Jahr neuen Chip ein bis ans Lebensende.
Carina Kolkmeyer

Ja, den Gedanken haben einige. Theoretisch oder auch rein
praktisch darf ein Tierarzt das – ich meine – nur dreimal setzen.
Nach dem dritten Mal darf kein Chip mehr gesetzt werden. Es gibt
sicherlich den einen oder anderen Tierarzt, der das vielleicht
auch noch mal öfter macht, mit Augen zudrücken. Aber in der Regel
sollte es nach drei Mal eigentlich aufhören. Dann sollte man sich
wirklich entscheiden Gefällt mir mein Hund ohne Kastration oder
mit Kastration besser?
Die Nachteile einer Spritze Denise

Und es gibt ja auch so eine Spritze, oder?
Carina Kolkmeyer

Ja, genau, es gibt so eine Spritze, die auch noch mal zu so einer
hormonellen Unterdrückung führt. Aber die hat tatsächlich sogar
etwas knackigere Nebenwirkung. Die wird auch ganz viel im
Zootierbereich eingesetzt.
Denise

Was sind da so für Nebenwirkungen?
Carina Kolkmeyer

Also ich habe mal gehört, ohne mich zu weit aus dem Fenster zu
lehnen, dass die tatsächlich auch ein bisschen auf die Organe
gehen soll. Also wenn man sie nicht richtig gut dosiert, kann sie
tatsächlich auch mal Leberschäden anrichten. Das ist aber nur
das, was ich mal so in der Literatur gefunden habe. Ob das jetzt
immer Einzelfälle sind oder ob das nur für eine Canidenart galt,
weiß ich nicht genau. Aber ja, da sollte man ein bisschen
aufpassen. Bei Hündinnen oder Rüden, da müsste ich mich
tatsächlich noch mal schlau machen. Aber da ist, glaube ich, auch
schon mal ein Einsatz gewesen und es wird ja auch zum Teil noch
eingesetzt und ich glaube, auch da weicht man eher so ein
bisschen davon zurück, weil sie halt echt auf einmal
gesundheitliche Nebenwirkungen hat.
Es besteht noch viel Aufklärungsbedarf Denise

Ich glaube jetzt habe ich alle Fragen von meinen
Instafollower*innen durch und finde es total spannend, weil sich
ein paar Fragen geähnelt haben. Das zeigt ja, dass da schon viel
Interesse da ist. Und ich finde es super, super wichtig
aufzuklären. Und deswegen freue ich mich so sehr, dass wir jetzt
auch drüber sprechen, weil ich bin mir ziemlich sicher, dass die
Hörer und Hörerinnen durch dich jetzt einfach Sachen erfahren,
die sie sonst nie erfahren.
Carina Kolkmeyer

Tatsächlich würde ich mir an dieser Stelle auch unglaublich
wünschen, dass so was mal mehr an die Tierarztpraxen gerät, weil
ich glaube, es gibt super viele Ärztinnen und Ärzte, die dann
auch unserer Meinung wären und sagen, da haben wir uns noch nicht
so wirklich Gedanken drum gemacht. Aber gut, dass wir das mal
erfahren, weil es wird in den tierärztlichen Ausbildungen, also
an den Hochschulen direkt ja auch gar nicht so in der Praxis
umgesetzt.


Da wird halt einfach kastriert und nur wenige Hochschulen zum
Beispiel bieten auch die Sterilisation als Alternative an, man
kann ja einen Rüden oder eine Hündin zum Beispiel auch noch
sterilisieren, indem man nur die Eileiter durchtrennt oder nur
die Samenleiter durchtrennt. Der Hund ist dann eben nicht mehr
fortpflanzungsfähig, was natürlich für eine Mehrundehaltung ideal
ist, wenn man sagt: Ich will einfach nur den Stress nicht, dass
die sich da unkontrolliert vermehren oder in irgendwelchen
Tierheimen oder Auslandstierschutz. Und man hat eben aber den
großen Vorteil, dass in den Hormonhaushalt nicht eingegriffen
wird, denn das läuft ja weiterhin durch die Hoden, dann in die in
die Blutbahn oder auch von den Eierstöcken.
Die größten Kastrationsmythen Denise

Beim Thema Kastration, da gibt es ja so einige Aussagen, die so
viel eher Mythos als Fakt sind. Was sind denn so die größten
Mythen?
Carina Kolkmeyer

Also der erste Mythos ist auf jeden Fall, dass man einen
ruhigeren und gelassenen Hund bekommt. Das heißt ganz oft, mein
Hund ist so aktiv. Wenn ich dem jetzt erst mal seine
Sexualhormone nehme, dann wird er schon ein bisschen gelassener,
oder dann kann ich den auch besser erziehen. Das geht so einen
zweiten Mythos über, dass man sagt, mein Hund ordnet sich mir
nicht unter, ist ja leider wirklich manchmal noch wirklich auf
dieser Ebene. Wir sind noch nicht da, überall angekommen zu
sagen, wir wollen nur eine Bindung zum Hund und nicht nur eine
Erziehung, sondern vor allem eine Beziehung, in erster Linie ein
sicherer Hafen wollen wir sein für unseren Hund.
Bindung vor Sex

Ein anderer großer Mythos, der leider auch wirklich bei
Tierarztpraxen oft noch gang und gäbe ist, ist der unerfüllte
Sexualtrieb von Hunden. Da heißt es manchmal: „Mei, so ein armer
Rüde, der in seinem Leben nie zum Zug kommt. Wie grausam. Das ist
ja Quälerei, wenn man dem jetzt sein Testosteron einfach lässt.“
Das ist tatsächlich einfach erschreckend, weil da sind wir jetzt
eigentlich deutlich weiter, also nicht nur bei uns in unserem
Kastrationsprojekt, sondern wir haben ja noch viele andere
verhaltensbiologische Projekte bei uns im Team.


Wir haben zum Beispiel das Paarbindungsprojekt und da geht es vor
allem im Canidenbereich darum mal zu schauen, wie eng gehen Hunde
oder Hundeartige eigentlich eine Bindung zueinander ein? Und das
ist so knuddelig, dass Hunde wirklich fast monogam leben,
wirklich eine Bindung und ein Partner fürs Leben finden. Und
dieser Partner muss auch nicht immer vier Beine haben. Das kann
auch mal ein Mensch sein oder auch mal ein Meerschweinchen.
Theoretisch ist ein Hund viel mehr darauf bedacht, positive
Verbindungen einzugehen, eine starke Bindung zu einem anderen
Sozialpartner zu haben, als eben sich fortzupflanzen und sich den
ganzen Tag eigentlich nur zu vermehren. Also das ist tatsächlich
auch noch leider so ein Mythos oder Irrglaube, den es gibt. Also
für den Hund gedacht, sage ich mal ganz gerne, gilt einfach:
Bindung vor Sex.
Was tun bei Pauschalratschlägen zur Kastration? Denise

Was würdest du den Hundehalter*innen raten, die gesagt bekommen,
jetzt teilen wir die Frage mal auf, die gesagt bekommen von ihren
Tierärzten, dass sie ihren Hund kastrieren sollen, die sich aber
nicht sicher sind.
Carina Kolkmeyer

Sehr interessant, dass du das fragst, weil das genau das ist, was
wir eigentlich auch die ganze Zeit machen. Ich würde mir da mehr
Hand in Hand wünschen mit den Tierärzten. Das ist einfach unser
Ziel.


In der Regel würde ich tatsächlich jetzt als Hundehalter oder
Hundehalterin einfach den Tierarzt fragen: Okay, auf welchen
Zahlen stützt sich das? Also wirklich mal die konkreten Zahlen
erfragen, welches Risiko er denn jetzt auch meint. Und wenn da
schon keine fundierte Datenbasis ist und es einfach heißt: Ja,
das haben wir immer schon so gemacht. Dann wäre ich vorsichtig,
weil dann ist da tatsächlich kein aktueller Forschungsstand
vorhanden oder bzw. auch generell der Wille da für eine
Diskussion.


Also wenn ich das Gefühl habe, dass ein Tierarzt offen ist und
sagt: Moment, ja, dann könnte ich mich ja wirklich mal,
vielleicht jetzt mal noch mal damit auseinandersetzen. Da haben
Sie Recht. Mit den Zahlen sollte man vielleicht auch nicht so
leichtfertig umgehen. Also wenn da so eine Offenheit dann schon
ist, dann könnte man vielleicht eine Ebene finden, auf der man
sich dann auch gemeinsam mit dem Tierarzt entscheiden kann. Aber
wenn man dann wirklich nur hört: Ja, das ist einfach so. Also das
machen wir schon seit 30 Jahren und es hat immer funktioniert bei
den Hunden, wäre ich vorsichtig.
Denise

Und jetzt zum zweiten Teil: Wenn die Hundehalter*innen von
Bekannten oder von Freunden, Freundinnen oder von den Leuten auf
der Hundewiese gesagt bekommen: Muss mal Deinen Hund kastrieren,
der geht so ab. Wie kann man da am besten reagieren? Weil dann
ist man ja gerne mal ein bisschen perplex, weil man nicht weiß,
was man sagen soll.
Carina Kolkmeyer

Ja, manchmal kommt man sich ja schon doof vor, wenn man es nicht
macht. Ja, das habe ich auch schon oft gehört, dass man
eigentlich auch blöd angeschaut wird. Ich habe natürlich dann das
große Glück, direkt mit meinem Steckenpferd Forschungsthema zu
kommen und zu sagen Ja, ich erforsche das. Meistens sind die
Leute dann auch gleich still. Entweder müsste man sich wirklich
mal die eine oder andere coole Studie raussuchen. Also wenn Du da
was brauchst, sag mir gerne Bescheid. Wir haben auch so einen
Infoflyer ,wo dann einfach die wichtigsten Zahlen noch mal drauf
sind. Sowas kann man sich auf dem Handy auch einfach mal
mitnehmen, zeigen und sagen: Da! Deswegen bin ich unsicher zu
kastrieren.


Infokaestchen-KastrationHerunterladen


Oder die Leute auch einfach direkt vorher fragen: Hast du das
tierschutzrechtlich vorher abgeklärt? Weil das ist zum Beispiel
etwas, was wir jetzt gerade zum Thema noch gar nicht besprochen
haben. Es gibt in Deutschland ein Amputationsverbot. Tatsächlich
handeln Tierärzte und Tierärzte eigentlich juristisch,
tierschutzrechtlich nicht ganz korrekt.
Stichwort Tierschutz

Wir dürfen einem Hund ein gesundes Organ nicht einfach so
entfernen. Ja, der Paragraph 6 sagt wirklich: Ein gesundes Organ,
was nur eventuell mal irgendwann entarten könnte, darf nicht
entfernt werden. Dann gibt es noch den Unterpunkt mit der
Populationskontrolle und da gibt es halt mittlerweile ganz viele
juristische Kommentare dazu, die auch sagen, ja, der Hund gilt in
Deutschland aber nun mal nicht als Streuner. Das heißt hier kann
definitiv eine andere Verhütungsmaßnahme, nenn ich’s mal, dann
auch getroffen werden und dementsprechend darf aus diesem Grund
nicht kastriert werden.


Aber alle Hunde und das sind ja sehr viele leider, die nur aus –
ich nenne es wirklich mal Bequemlichkeit kastriert werden oder
aus präventiven Gedanken, dass man sagt, das kann man nicht ab,
das ist juristisch einfach illegal, das dürfen wir nicht machen.
Das würde ich den Leuten dann vielleicht doch wirklich mal fragen
Wie wird es denn juristisch abgeklärt? Durftet ihr das? Durftet
ihr den Hund jetzt kastrieren? Das ist ja gar nicht so einfach
hier in Deutschland. Nur leider ist es halt eine Grauzone. Es
geht halt keiner hinterher, weil die Veterinärmter sind da ja
auch noch ein bisschen pauschal unterwegs und da kommen wir auch
noch nicht so richtig ran.
Mehr auf’s Bauchgefühl hören

Tatsächlich würde ich mir wünschen, dass man wirklich mehr
Einzelfallentscheidungen macht, dass man wirklich mal ein
bisschen mehr auf sein Bauchgefühl hört und sich wirklich auch
mal fragt: Okay, was von Natur aus da ist – und das sind ja nun
mal unsere Sexualhormone und auch unsere dazugehörigen
Sexualorgane – das kann eigentlich nie gut sein, wenn man so was
entfernt. Also wenn so was künstlich entfernt wird, sollte man
sich immer fragen: Okay, das kann erhebliche Folgen haben. Es ist
ein großer Einschnitt im wahrsten Sinne des Wortes Einschnitt in
das Hundeleben. Und das sollte man sich einfach immer wieder
bewusst machen.
Denise

Wenn sich jetzt Menschen nach dieser Folge denken: Puh, das sind
alles Informationen, die waren mir so gar nicht bewusst. Aber wo
kann ich mich jetzt gut informieren? Dann können die sich eben an
euer Projekt wenden oder an dich. Und sich informieren, oder?
Carina Kolkmeyer

Unbedingt. Klar, gerne. Wir machen ja auch Citizen Science. Das
heißt, wir sind ja im Prinzip auf euch Leute da draußen
angewiesen. Also falls auch noch jemand Lust hat, mal an so einer
Studie mitzuwirken. Wir haben Fragebögen, die wir per Link
rausgeben, gerne melden. Ich suche gerade aktuell auch wieder
welche für die Kastrationsstudie, das heißt die dürfen auch
kastrierte und intakte Hunde teilnehmen. Also gerne melden, dann
seid ihr Teil unserer Studie. Die werden auch immer wieder
veröffentlicht. Also wir machen ja im internationalen Raum dann
immer wieder Publikationen und dann euer Hund, natürlich ein
anonymer Weise, aber dann Teil dieser Studie.


Willst Du mit Deinem kastrierten oder gechipten Hund bei einer
Studie dabei sein?Herunterladen
Die Zusammenfassung Denise

Ja, das ist ja hier ein wunderbarer Ausblick. Ich würde gerne
noch kurz zusammenfassen, Was kann man ja als Conclusio sagen?
Also wenn man sich entscheidet zu kastrieren, dann nur aus
medizinischen Gründen und sich vorher am besten vorher jemanden
zu Rate ziehen, der davon wirklich Ahnung hat und einfach auch
auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand ist. Wenn kastriert
werden muss, dann auf gar keinen Fall zu früh.
Carina Kolkmeyer

Genau. Ja.
Denise

Also nicht in der Pubertät, sondern erst wenn Hund oder Hündin
erwachsen ist. Sollte es aus medizinischen Gründen doch notwendig
sein, dass es schon in der Pubertät sein muss. Dann sollte man da
durch Präparate den Hund gut durchbringen, wie zum Beispiel
Mönchsffeffer. Du darfst gerne ergänzen…
Carina Kolkmeyer

Als ja, eventuell kann man da direkt auch beim Mönchnspfeffer
ergänzen. Das heißt, es gibt ja wahrscheinlich auch viele, die
jetzt zuhören und sagen: Mein Hund ist aber schon kastriert, also
was mache ich denn, wenn es schon passiert ist? Ist jetzt alles
verloren? Nein, auf gar keinen Fall. Also ein Hund leidet ja
nicht per se, wenn er kastriert ist. Das möchte ich vielleicht am
Schluss auch nochmal sagen. Ein Hund kann trotzdem noch ein sehr,
sehr glückliches Leben führen, wenn man sich dessen einfach
bewusst ist und vielleicht dementsprechend auch sensibel mit
manchen Verhaltensweisen umgeht oder vielleicht nicht zu sehr
enttäuscht, ist es eben eine bestimmte Verhaltensweise sich nicht
so toll verändert hat, wie der Wunschgedanke war. Und man kann
eben entsprechend auch noch hier mit Mönchspfeffer zum Beispiel
weiterarbeiten.
Denise

Ich kann mir vorstellen, dass ich da jetzt Leute auch gleich
denken Ah, okay, ich besorge mir jetzt Mönchspfeffer. Kann man
das überdosieren oder wo kann man sich informieren, wie man das
richtig einsetzt beim Hund?
Carina Kolkmeyer

Ja, also tatsächlich möchte ich hier jetzt so direkt keine
Empfehlung geben, weil das auch eine Anknüpfungsstudie wird, die
wir an meine Kastrationstudie anknüpfen. Auch da: Wenn jemand mal
Bock hat mitzumachen, gerne melden. Und da suchen wir auf jeden
Fall schon ein paar Probanden. Und was die Dosierung angeht, dann
am liebsten einfach noch mal per Mail an uns, weil dann können
wir es auch einfach hundgerecht und individuell einschätzen,
anstatt so eine pauschale Empfehlung auszugeben. Das ist manchmal
etwas schwierig.
Denise

Super. Aber mir war es jetzt auch wichtig zu sagen: Jetzt nicht
einfach Mönchspfeffer kaufen und dem Hund da Drops oder ins Essen
reinhauen.
Carina Kolkmeyer

Ich glaube nicht, dass man da viel verkehrt machen kann, es sei
denn, man gibt gleich die ganze Packung auf einmal Einwirkung der
Ärztin. Aber ansonsten wir sind noch im pflanzlichen Bereich.
Also ich glaube, da müsste schon echt viel schief gehen.
Denise

Sicher ist sicher. Wir haben ja auch eine Verantwortung. Carina!
Vielen, vielen Dank. Ich hoffe sehr und glaube es aber auch, dass
wir jetzt einfach mit dieser Folge viele Fragezeichen entfernt
haben und hoffentlich vielen Menschen einfach weiterhelfen oder
die Wissenslücke schließen konnten. Weil es geht ja nicht darum,
da jetzt die Kastration per se zu verteufeln, sondern einfach
wirklich sich einen Kopf vorher zu machen und sich Gedanken zu
machen und sich damit auseinanderzusetzen und Bescheid zu wissen.
Und deswegen vielen, vielen Dank dafür, dass du dir jetzt so viel
Zeit genommen hast.
Carina Kolkmeyer

Ich bedanke mich ganz herzlich, dabei gewesen zu sein. Mir hat
das sehr viel Spaß gemacht, das Gespräch und ich freue mich
natürlich immer, wenn unser Wissen oder unsere Datenergebnisse
einfach an die breite Masse kommen und ja, es hat mir sehr viel
Spaß gemacht.


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Verhaltensprobleme erschien zuerst auf .

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