Visuo-Kognitive Leistungen bei Mild Cognitive Impairment (MCI) und Depression

Visuo-Kognitive Leistungen bei Mild Cognitive Impairment (MCI) und Depression

Beschreibung

vor 15 Jahren
Im Zuge des demographischen Wandels und der prognostizierten
Überalterung der Gesellschaftsstruktur ist zugleich mit einem
Anstieg der Prävalenz von dementiellen Erkrankungen zu rechnen. Um
eine pathologische Entwicklung möglichst frühzeitig erkennen zu
können, besteht seit einigen Jahren in Forschung und klinischer
Praxis großes Interesse an Konzepten zur Beschreibung des
Übergangsbereichs zwischen normalem Altern und einer
neurodegenerativen Erkrankung. Das derzeit bedeutendste Beispiel
hierfür ist das so genannte “Mild Cognitive Impairment“ (MCI), das
aber aus neuropsychologischer Sicht nicht ausreichend verbindlich
definiert ist. Hinzu kommt, dass im klinischen Alltag Patienten mit
MCI nicht von Patienten mit depressionsbedingten kognitiven
Leistungseinschränkungen abgegrenzt werden können. Das Ziel der
vorliegenden Arbeit war es, alltagsrelevante visuo-kognitive
Leistungen bei MCI und Depression mit
experimentell-neuropsychologischen Verfahren zu charakterisieren.
Dabei sollte die Erfassung von denkbaren Unterschieden in der
Leistungsfähigkeit zwischen MCI-Patienten und Depressiven der
empirischen Begründung einer möglichen Differentialdiagnose dienen.
Es wurden 24 Patienten mit MCI und 50 Patienten mit Depression im
Alter von 55 bis 74 Jahren untersucht. Dabei kamen
neuropsychologisch-experimentelle Verfahren zum Einsatz, die
visuo-kognitive Leistungen wie die visuelle Suche, das Lesen und
die Exploration erfassen sollten. Bei beiden Patientengruppen
zeigten sich im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden Defizite in
allen Verfahren. Diese kamen insbesondere durch einen erhöhten
Zeitbedarf in aufmerksamkeitsfordernden Aufgaben zum Ausdruck:
Sowohl MCI-Patienten als auch Depressive zeigten in der seriellen
visuellen Suche im Vergleich zu Gesunden einen erhöhten Anstieg des
Zeitbedarfs mit zunehmender Displaygröße. Bedingt durch ein
langsameres Lesetempo wiesen beide Patientengruppen eine
schlechtere Leseleistung auf als die Kontrollprobanden. Außerdem
benötigten MCI-Patienten und Depressive mehr Zeit zur Exploration
von Punktemustern. Auf Einzelfallebene fanden sich Hinweise, dass
die Effizienz des okulomotorischen Systems für beide
Patientengruppen beim Lesen und Explorieren eingeschränkt ist. Die
gefundenen Minderleistungen lassen sich durch Defizite in Prozessen
der Aufmerksamkeit, der visuellen Informationsverarbeitung sowie
der exekutiven Funktionen erklären, wobei diese Prozesse
untereinander mangelhaft interagieren. Die visuo-kognitive
Leistungsfähigkeit bei MCI-Patienten lässt sich von gesunden alten
Menschen und Patienten mit DAT vor allem in quantitativer Hinsicht
unterscheiden. Ein Teil der Patienten wurde zweimalig untersucht.
Bei der Verlaufsuntersuchung von MCI-Patienten nach einem halben
Jahr wurde eine Verschlechterung der visuo-kognitiven Leistungen
erwartet. Bei affektiv verbesserten Depressiven wurde angenommen,
dass sich bei der Verlaufsuntersuchung zur Entlassung aus der
stationären Behandlung eine Verbesserung der visuo-kognitiven
Leistungen zeigt. Allerdings war im Verlauf für keine der
Patientengruppen eine signifikante visuo-kognitiven
Leistungsveränderung festzustellen. Entgegen den Erwartungen
stellte sich außerdem heraus, dass sich MCI-Patienten und
Depressive anhand ihrer visuo-kognitiven Leistungsfähigkeit weder
zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung, noch zum Zeitpunkt der
Verlaufsuntersuchung voneinander unterscheiden ließen. Die
Ähnlichkeit der gefundenen visuo-kognitiven Beeinträchtigungen bei
MCI-Patienten und Depressiven lassen darauf schließen, dass beide
Störungen gemeinsame neurobiologische Veränderungen aufweisen.
Hierbei wirkt sich möglicherweise vor allem ein Hypercortisolismus
bedingt durch eine HPA-Achsendysfunktion negativ auf die Kognition
aus. Bei Depressiven ist denkbar, dass die trotz affektiver
Remission persistierenden visuo-kognitiven Defizite Ausdruck eines
zu Grunde liegenden pathologischen Altersprozesses sind. Es besteht
Anlass zur Vermutung, dass die gefundenen kognitiven
Minderleistungen bei Depression Ausdruck eines MCI sind, so dass
die Diagnose „Depression mit MCI“ gerechtfertigt erscheint. Für die
Zukunft ist es wünschenswert, mehr über gemeinsame neurobiologische
Grundlagen von MCI und Depression herauszufinden. Um den Umgang mit
einer MCI-Diagnose bei Depression eindeutig zu klären erscheint es
zudem sinnvoll, Untersuchungen zum Einfluss des Alters auf die
Kognition bei Depressiven zu unternehmen. Möglicherweise ist die
Vergabe einer MCI-Diagnose auch schon bei jüngeren Depressiven
angezeigt. Aufgrund der hohen Prävalenz von Demenzen sowie
Depressionen im Alter sind Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet
von besonderem medizinischen und sozioökonomischen Interesse.

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