#3 - Die Flöte der Hawakani

#3 - Die Flöte der Hawakani

16 Minuten

Beschreibung

vor 2 Jahren

#3 - Die Flöte der Hawakani


Geschrieben und gesprochen von Heinrich Dickerhoff


Ich will euch eine seltsame Geschichte erzählen, aber zuerst
will ich mich kurz vorstellen. Mein Name ist Jakob Philipp von
Hardenberg, ich stamme aus einem so alten wie weitverzweigten,
aber leider nicht sonderlich begütertem norddeutschen
Adelsgeschlecht. Für nachgeborene Söhne, die nicht den
Familiensitz erben, gibt es nur drei standesgemäße
Beschäftigungen: das Militär, die preußische Verwaltung oder
die kirchliche Laufbahn. Anders gesagt: Stumpfer Kadavergehorsam,
Schreibstuben-Langeweile oder scheinheilige Frömmelei. Weil ich
nichts davon wollte, versuchte ich mich mit wechselndem Erfolg
als Dichter und Schriftsteller. Und nun, am Ende meines langen
Lebens angekommen, will ich ein letztes Werk schreiben, es soll
heißen: Das Grauen am Ende der Welt. Und weil hoffe, dort weitere
Inspirationen zu bekommen, habe ich mich noch einmal aufgemacht
zu den Hawakani-Inseln, die wirklich am Ende der Welt liegen und
über die ich viel Unheimliches gelesen hatte.


So schiffte ich mich ein, von Amsterdam nach Philadelphia, von
Philadelphia nach Nouvelle Orleans, von dort nach Vera Cruz in
Mexico, dann über Land nach Guadalajara, wo ich ein Schiff nach
San Francisco fand. Dort angekommen war meine Reisekasse fast
leer, so suchte ich eine günstige Unterkunft und fand in der
Nähe des Hafens die „Madre de Corazon“, die Mutter der Herzen.
Vor dem Haus steht eine schäbige Marienstatue mit tränendem
Herzen, aber nichts passt weniger zu der Spelunke als diese
Figur. In der Madre de Corazon trifft sich der Bodensatz von San
Francisco, Mexikaner und Amerikaner, Engländer, Franzosen,
Spanier, Seeleute ohne Heuer, desertierte Soldaten, schmierige
Händler, kleine Gauner, Glücksritter, Spieler, und natürlich
höchst zweifelhafte Damen. Doch das Essen und der Wein sind
akzeptabel, ich bekam eine recht saubere Kammer, das alles zu
einem günstigen Preis. Und so zwielichtig die Mutter der Herzen
auch war, ich war dort kaum in Gefahr. Meine Kleidung und mein
Gepäck ließen ganz zu Recht nicht auf Reichtum schließen, mein
Alter schützte mich vor Pöbeleien und Prügeleien, und meine
Pistolen, die ich durchaus zu gebrauchen weiß, trugen auch dazu
bei, mir Respekt zu verschaffen.


Während ich auf eine Passage zu den Hawakani-Inseln warten
musste, saß ich Abend für Abend an einem kleinen Tisch in der
Ecke der Kneipe und betrachtete das Treiben. Und ab und zu lud
ich eine abenteuerliche Gestalt oder eine verlorene Seele ein,
sich zu mir zu setzen, mir ihre Geschichte zu erzählen und mit
mir meinen Weinkrug zu leeren. Fast vier Wochen war das so, bis
ich endlich eine Mitfahrtgelegenheit fand.
An meinem letzten Abend in der Madre de Corazon spielten am
Nebentisch vier Männer Karten. Einer gewann ständig, doch dann
wurde er als Falschspieler entlarvt. Die betrogenen Mitspieler
stürzten sich auf ihn, verprügelten ihn, nahmen ihm sein Geld
ab und warfen ihn auf die Straße. Dann machten sich zwei der
Mitspieler davon, der dritte aber, ein blasser magerer Junge,
kaum zwanzig Jahre alt, fragte, ob es sich zu mir setzen dürfte,
wogegen ich nichts einzuwenden hatte. Er war noch ganz aufgeregt
und erzählte mir ungefragt von seinem Leben. In England geboren
war er nicht ganz freiwillig Schiffsjunge geworden, dann aber bei
einem Aufenthalt auf den Hawakani-Inseln davongelaufen. Zwei
Jahre hatte er sich dort aufgehalten. Ich bat ihn, mir mehr von
diesem Ort zu erzählen. „Ach“, sagte er, „da ist nichts
Besonderes. Fromme Spinner wie überall in Amerika. Korrupte
Herren, wie überall, wo England herrscht. Unheimliche und
Verrückte, wie überall, wo die Wildnis nah an die Menschen
heranrückt. Nur eins ist dort ungewöhnlich, das ist die Flöte
der Hawakini.“


Weiter kannst du diese Folge auf unserer Homepage lesen.



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