045 – Mit »Reboot« oder Rebellion aus der Krise?
Gerade in Zeiten der Krise liest und hört man immer wieder
Geschichten, Phantasien, manchmal auch Schreckens- oder gar
Wunschvorstellungen, unsere (globale) Gesellschaft könnte
kollabieren und dann einen sogenannten Reboot durchleben. Wie ein
Phoenix...
21 Minuten
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Beschreibung
vor 2 Jahren
Gerade in Zeiten der Krise liest und hört man immer wieder
Geschichten, Phantasien, manchmal auch Schreckens- oder gar
Wunschvorstellungen, unsere (globale) Gesellschaft könnte
kollabieren und dann einen sogenannten Reboot durchleben. Wie ein
Phoenix aus der Asche könnte eine neue, bessere Gesellschaft aus
den Ruinen der alten aufstehen.
So wird auch von manchen extremeren Gruppen die Idee in den Raum
gestellt, eine solche Disruption bewusst herbeizuführen.
»Traditionelle Strategien wir Petitionen, Lobbying, Wahlen und
Proteste haben aufgrund der tief verankerten Interessen von
politischen und ökonomischen Kräften nicht funktioniert. Unser
Vorgehen ist daher gewaltfreier, disruptiver ziviler Ungehorsam —
eine Rebellion um Änderungen herbeizuführen, zumal alle anderen
Mittel versagt haben«, Extinction Rebellion global, Website
(Hervorhebungen von mir)
Es gibt noch radikalere Vorstellungen und Phantasien in politisch
radikalen Strömungen, von Anarchisten bis zu rechts-radikalen und
in radikal religiösen Bewegungen wie dem Islamismus oder
evangelikalen Bewegungen, etwa in den USA, die ebenfalls glauben
über radikale Änderungen eine bessere Welt herbeiführen zu können
oder gar über einen Kollaps und Neuaufbau.
Der britische Philosoph John Gray fasst dies so zusammen:
»Der millenaristische Geist glaubt, die menschliche Welt kann
komplett und schlagartig transformiert werden […] Zur Zeit
des Mittelalters wurde dies durch Gott oder Gottes Vertreter auf
Erden erreicht. In modernen Zeiten, gilt als Autor dieser neuen
Welt die Humanität oder selbsternannte revolutionäre Avantgarde.«
Nutzen wir doch die Krise, räumen wir das alte Zeug weg, und
bauen wir von vorne neu auf! Wir beginnen also von vorne, aber
wissen es diesmal besser, machen alles besser und alles wird gut?
In dieser Episode diskutiere ich einerseits die Idee schneller,
radikaler Reformen und die Frage, ob es möglich ist, eine moderne
Gesellschaft aus den Ruinen der heutigen wieder aufzubauen.
Die kurze Antwort ist: nein. Wir haben die Leitern, auf denen wir
auf die heutige gesellschaftliche Komplexität hochgeklettert
sind, weggeworfen. Nicht nur würde ein Kollaps unfassbares Leid
anrichten, wir wären wohl auch nicht mehr in der Lage eine
moderne Gesellschaft wiederherzustellen.
Auch die Phantasien schneller, radikaler Reformen sind aus
mehreren Gründen nicht nur unrealistisch sondern wahrscheinlich
brandgefährlich. Etwas zerstören ist einfach, etwas
funktionierendes Aufbauen ungeheuer schwierig und, wenn es große
Teile der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik betrifft, auch
nicht planbar.
»Eine Revolution lässt sich nicht als Fortschritt beschreiben«,
Christoph Möllers
Die Kunst der Transformation unserer Gesellschaft hin zu einem
nachhaltigen Lebensstil ist daher wohl ein ungeheuer komplexer
Balanceakt, wo substantielle Veränderung geschehen sollte, dies
hochgradig rational und nicht von Ideologien getrieben, aber bei
gleichzeitiger Erhaltung bestehender Systeme und Strukturen, bis
diese tatsächlich durch funktionierende neue ersetzt wurden.
Referenzen
Andere Episoden
Episode 44: Was ist Fortschritt, Gespräch mit Philipp Blom
Episode 41: Intellektuelle Bescheidenheit
Episode 37: Probleme und Lösungen
Episode 27: Wicked Problems
Episode 17: Kooperation
Fachliche Referenzen
John Gray, Black Mass
John Gray, BBC A Point of View, The recurrent dream of an
end-time (2019)
Andy Clark, Being There
Extinction Rebellion Website
Christoph Möllers, Freiheitsgrade, Suhrkamp (2020)
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