047 — Große Worte

047 — Große Worte

»Der Starke ist am mächtigsten allein.«, Friedrich Schiller, Wilhelm Tell, beziehungsweise Dagobert Duck in der Übersetzung von Dr. Erika Fuchs Die Idee zu dieser Episode reift schon seit längerer Zeit, aber gerade meine Beobachtung vom Verhalten u...
21 Minuten
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Woher kommen wir, wo stehen wir und wie finden wir unsere Zukunft wieder?

Beschreibung

vor 2 Jahren

»Der Starke ist am mächtigsten allein.«, Friedrich Schiller,
Wilhelm Tell, beziehungsweise Dagobert Duck in der Übersetzung
von Dr. Erika Fuchs


Die Idee zu dieser Episode reift schon seit längerer Zeit, aber
gerade meine Beobachtung vom Verhalten und Auftreten
Intellektueller und Wissenschafter in sozialen (aber auch
traditionellen) Medien hat jetzt den Ausschlag gegeben.
Einerseits erlauben uns soziale Medien die Vernetzung
untereinander und fallweise auch Verteilung und Diskussion
interessanter neuer Ideen, gleichzeitig aber fühlen sich
Netzwerke wie Twitter immer mehr wie ein Virus an, der viele von
uns und damit die Diskussionskultur vergiftet.


Selbst führende Intellektuellen, schaffen es oftmals nicht einen
kühlen, ruhigen and distanzierten Kopf zu bewahren und werden auf
dieser Plattform zu schlechteren Menschen und schlechteren
Wissenschaftern / Experten. Dümmer, weniger interessant,
polarisierend. Oder wie es der Internet-Pionier Jaron Lanier eine
Spur provokanter ausdrückt: 


»Soziale Medien machen dich (wahrscheinlich) zum Arschloch« und
»Die heutigen sozialen Medien ziehen Großmäuler und Arschlöcher
an.«


Was mich besonders beunruhigt: In der aktuellen  Krise zeigt
sich, dass auch Intellektuelle, die bisher eher zu nüchternder
und kluger Analyse geneigt haben, zunehmend neben der Spur
stehen. 


In Episode 32 habe ich mich mit einem anderen, aber
überschneidenden Aspekt dieses Themas beschäftigt: Was ist
Information, was sind Daten, in welcher Form werden wir am besten
informiert? In Episode 41 diskutiere ich
ebenfalls intellektuelle Bescheidenheit, beziehungsweise
meine Forderung danach, aber auch in dieser vergangenen Episode
ist der Bezug ein anderer, nämlich die Frage, wie wir mit
vergangenen Irrtümern und intellektuellen Irrläufern umgehen
sollten.


In dieser Episode steht eher die umgekehrte Richtung im
Vordergrund: also nicht nur wie konsumieren wir Information und
nicht nur Rauschen, sondern vor allem auch, wie interagieren wir
mit anderen und wie tragen wir aktuell zu Diskursen bei. Welche
Rolle spielen soziale Medien dabei heute, und welche sollten sie
für uns in der Zukunft spielen.


Auch in dieser Folge nehme ich zunächst auf Ansichten des
Philosophen Karl Popper aus den 1980er Jahren Bezug:


»Wir dürfen nie vorgeben zu wissen, und dürfen nie große Worte
gebrauchen« 


»Wenn ein Mensch verantwortlich sprechen will, muß er so reden,
daß man ihm nachweisen kann, daß er etwas Falsches gesagt hat.
Dann wird er auch etwas bescheidener sein.«


Ein Aufruf, der heute aktueller ist als je zuvor. Wir sind
umgeben von Besserwissern, Leuten, die die eigenen Fähigkeiten
dramatisch überschätzen oder ihrer Umgebung mehr Sicherheit
vorspielen als gegeben ist. Große Worte und Arroganz schaden der
wichtigen Auseinandersetzung bei unterschiedlichen Ansichten.


Nicht nur soziale Netzwerke selbst sind vergiftet, sondern
zunehmend auch der wissenschaftliche und
politisch/gesellschaftliche Diskurs — quasi als Kollateralschaden
der Reproduktionsform, um mit Günther Anders zu sprechen: 


“Wenn das Ereignis in seiner Reproduktionsform sozial wichtiger
wird als in seiner Originalform, dann muß das Original sich nach
seiner Reproduktion richten, das Ereignis also zur bloßen Matrize
ihrer Reproduktion werden.”


“Wenn das Ferne zu nahe tritt, entfernt oder verwischt sich das
Nahe.”


Sowohl in den Naturwissenschaften aber besonders auch den
Geisteswissenschaften und Sozialwissenschaften finden wir immer
mehr Blender und Schwätzer.


»Jeder Intellektuelle hat eine ganz spezielle Verantwortung. Er
hat das Privileg und die Gelegenheit, zu studieren. Dafür
schuldet er es seinen Mitmenschen (oder der Gesellschaft), die
Erkenntnisse seines Studiums in der einfachsten und klarsten und
bescheidensten Form darzustellen. Das Schlimmste ist, wenn die
Intellektuellen es versuchen, sich ihren Mitmenschen gegenüber
als große Propheten aufzuspielen und sie mit orakelnden
Philosophien zu beeindrucken. Wer’s nicht einfach und klar sagen
kann, der soll schweigen und weiterarbeiten, bis er’s klar sagen
kann.«, Karl Popper


Dieses Wettrüsten der Worte um immer großspurigere und
gleichzeitig inhaltsleere Darstellungen zu befeuern mag dem
eigenen Image dienen (in Form von moral grandstanding
und virtue signaling) schadet aber Wissenschaft,
Gesellschaft und Politik.


Wie können wir es wieder ruhiger und bescheidener angehen und die
(a)sozialen Netzwerke weitgehend hinter uns lassen? Was hat es
mit Rudeln und Einzelgängern auf sich und wie helfen uns diese
Überlegungen bessere Gespräche zu führen und damit zu besseren
Entscheidungen zu kommen.


Referenzen


Andere Episoden


Episode 41: Intellektuelle Bescheidenheit: Was wir von
Bertrand Russel und der Eugenik lernen können

Episode 32: Überleben in der Datenflut – oder: warum das Buch
wichtiger ist als je zuvor

Episode 16: Innovation und Fortschritt oder Stagnation?



Fachliche Referenzen


Jaron Lanier, Zehn Gründe, warum du deine Social Media
Accounts sofort löschen musst

Karl Popper, Ich weiß, dass ich nichts weiß – und kaum das

Karl Popper, Auf der Suche nach einer besseren Welt (1987)

Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, Band 1, Band
2

Brett Weinstein, Dark Horse Podcast mit Daniel
Schmachtenberger, 11. Feb. 2021 

Friedrich Schiller, Wilhelm Tell 

Philipp Blom, Was auf dem Spiel steht, Carl Hanser (2017)

Justin Tosi, Grandstanding: The Use and Abuse of Moral Talk,
Oxford Univ. Press (2020)

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