061 — Digitaler Humanismus, ein Gespräch mit Erich Prem

061 — Digitaler Humanismus, ein Gespräch mit Erich Prem

Meinen heutigen Gast habe ich ebenfalls schon länger auf meiner Wunschliste und es hat mich gefreut, dass er auch sofort zugesagt hat! Erich Prem ist nicht nur Vertreter des "digitalen Humanismus" (DH) — das Thema der heutigen Episode — sondern ein b...
1 Stunde 8 Minuten
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Woher kommen wir, wo stehen wir und wie finden wir unsere Zukunft wieder?

Beschreibung

vor 1 Jahr

Meinen heutigen Gast habe ich ebenfalls schon länger auf meiner
Wunschliste und es hat mich gefreut, dass er auch sofort zugesagt
hat! Erich Prem ist nicht nur Vertreter des "digitalen
Humanismus" (DH) — das Thema der heutigen Episode — sondern ein
breit gebildeter, interdisziplinärer Denker, wie in dieser
Episode deutlich werden wird.


Er ist in seiner Erstausbildung Computerwissenschafter, der sich
mit künstlicher Intelligenz beschäftigt. Er hat am ÖFAI in Wien
am sogenannten Symbol Grounding Problem gearbeitet und am MIT in
den USA an verhaltensbasierter Robotik. Er leitet seit über zwei
Jahrzehnte ein strategisches Technologieberatungsunternehmen,
Eutema, in Wien, das neben der EU Kommission auch Ministerien und
Universitäten berät. 


Er beschäftigt sich als Philosoph — seiner Zweitausbildung — mit
komplizierten Fragen an der Schnittstelle von Ethik,
Digitalisierung und Technologiepolitik. 


Neben vielen anderen Publikationen ist er Mitherausgeber des
jüngst erschienen Buches »Perspectives of digital humanism«. Er
unterrichtet Digitalen Humanismus an der TU-Wien und Datenethik
an der Universität Wien.


In dieser Episode beginnen wir mit der Frage, wie unsere tägliche
interaktion mit digitalen Geräten tatsächlich aussieht und wie
wir uns das eigentlich wünschen würden. Wie verändert sich die
Arbeitswelt? Wie gehen junge Menschen mit digitalen sozialen
Räumen um?


Welche Rolle spielen digitale Technologien im geopolitischen und
ökonomischen Sinne auch für Europa? Denken wir an Überwachung,
langfristige Absicherung wesentlicher Technolgien.


Dann setzen wir uns mit dem relativ neuen Begriff des »digitalen
Humanismus« etwas konkrete auseinander: Was ist Humanismus? Was
ist die Rolle des Menschen, vom Menschenbild des alten
Griechenlands über klassische Bildungsideale zur heutigen Zeit.
Spielt Humanismus heute überhaupt noch eine Rolle und sollte er
eine Rolle spielen?


Was ist nun der DH und warum braucht es diesen neuen Begriff? Die
Kritik von Adorno und Horkheimer am Humanismus wird im DH
aufgenommen und Freiheit, Menschenrechte — liberale, westliche
Werte verankert, bei einigen Vertretern ist auch eine starke
Kapitalismuskritik zu finden, sowie Hinweis zum
Überwachungskapitalismus.


Allerdings betont Erich, dass das Individuum nicht alleine im
Zentrum stehen darf, sondern sich immer in Reflexion mit der
Gesellschaft befindet. Denn digitale Technologien sind auch
Machtinstrument und bedürfen politischer und
gesellschaftspolitischer Debatte um die Frage zu beantworten: wer
formt »das Digitale« eigentlich, wem nutzt es?


Dann diskutieren wir die unterschiedliche Wahrnehmung digitaler
Technologien zwischen Kulturen und Nationen, etwa am Beispiel des
Techniums von Kevin Kelly, europäischer Philosophie und der
Globalisierung, sowie der Frage, woher eigentlich das Design von
Technik stammt: top down, bottom up oder gar ungesteuert?


Eine Besonderheit des DH, auch als Abgrenzung anderer
wissenschaftlicher Strömungen wie etwa der
Technikfolgenabschätzung ist, dass DH von Informatikern geprägt
ist, mit dem Anspruch, die Folgen der eigenen Technologie besser
zu bestimmen. Dies geschieht nicht Technologie-feindlich, sondern
in der Erkenntnis, dass wir uns in Frühzeit der Digitalisierung
befinden, die in vielen Bereichen schlicht noch nicht gut genug
ist, beziehungsweise falsche Wege eingeschlagen hat. Der DH nimmt
also an, dass es kein Schicksal ist sondern nach
gesellschaftlichen Vorstellungen Technik gestaltbar ist.


Ich stelle dann die Frage, ob wir nicht teilweise auf
Medien-Hypes hereinfallen und die Bedrohungen möglicherweise gar
nicht so groß sind. Als Stichworte könnte man nennen: Social
Score in China, Google Flue Trends oder Covid AI, und
unterscheiden sich die rechtlichen Prinzipien in der analogen
Welt wirklich so stark von der digialten, wie manchmal behauptet
wird?


Auch wenn es hier und da Übertreibungen gibt, so erkennen wir
doch zahlreiche Folgen der Digitalisierung, die sich mit dem
Bild, den digitale Humanisten haben, nicht zur Deckung bringen
lässt. Darf eine Person etwa auf ihre beobachtbaren Effekte
reduziert werden — vor allem von der Vergangenheit in die Zukunft
mit vielleicht anderen Kontexten? Wie sieht es mit dem Filtern
und der Moderation von Inhalten auf Plattformen aus? Oder, was
ist schlimmer: gute oder schlechte »künstliche Intelligenz«?


Einen Kritikpunkt des DH spreche ich noch an, nämlich die Frage
des Anthtropozentrismus? Fokussiert sich der DH zu stark auf den
Menschen? Was ist mit Nachhaltigkeit und anderen systemischen
Fragen?


Zuletzt grenzen wir noch den Digitalen Humanismus vom ähnlich
klingenden Begriff der Digital Humanities ab und, was
wesentlicher ist, stellen die Frage, was unter Digitaler
Souveränität zu verstehen ist: ist Souveränität das gleiche wie
Autarkie? Was haben wir in Europa in dieser Hinsicht in den
letzten Jahren übersehen, wie sollten wir politisch reagieren?


Referenzen


Andere Episoden


Episode 4 und Episode 5: »Was will Technologie«, wo ich
genauer auf die Ideen von Kevin Kelly eingehe, die wir im
Gespräch erwähnen

Episode 28 mit Prof. Jochen Hörisch zur Idee und aktueller
Situation der Universität

Episode 24 mit Peter Purgathofer: Hangover: Was wir vom
Internet erwartet und was wir bekommen haben 

Episode 30 mit Tim Prilove über Techno-Optimismus



Erich Prem


Homepage von Erich

eutema

ÖFAI

Technikphilosophie der Uni-Wien



fachliche Referenzen


Manifest zum digitalen Humanismus

Hannes Werthner, Erich Prem, Edward A. Lee, Carlo Ghezzi,
Perspectives on Digital Humanism, Springer (2022)

Erich Prem, A brave new world of mediated online discourse,
Communications of the ACM (Feb. 2022)

Shoshanna Zuboff, Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus,
campus (2018)

Kevin Kelly, What Technology Wants, Penguin (2011)

Edware Lee, The Coevolution, MIT Press (2020)

Social Score China: Spectator Podcast, Chinese Whispers:
Mythbusting the social credit system (2022)

Why Google Flu is a Failure, Forbes (2014)

What we can learn from the epic failure of Google Flu Trends,
Wired (2015)

Hundreds of AI tools have been built to catch covid. None of
them helped. | MIT Technology Review (2021)

Jonathan Haidt, Why the Past 10 Years of American Life Have
Been Uniquely Stupid, The Atlantic (2022)

Coleman Hughes on The Death Of Conversation with Jonathan
Haidt (2022)

Cathy O'Neill, Weapons of Math Destruction, Crown (2016)

David Edgerton, The Shock of the Old (2019)

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