068 — Modelle und Realität, ein Gespräch mit Dr. Andreas Windisch

068 — Modelle und Realität, ein Gespräch mit Dr. Andreas Windisch

Das Thema der heutigen Episode ist »Modelle«. Was ist ein Modell in Bezug zur Realität, welche Art vom Modellen gibt es und wie sollten wir als Gesellschaft mit Modellen umgehen, im besonderen bei Fragen, die das Verhalten komplexer Systeme in die Zu...
1 Stunde 15 Minuten
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Woher kommen wir, wo stehen wir und wie finden wir unsere Zukunft wieder?

Beschreibung

vor 1 Jahr

Das Thema der heutigen Episode ist »Modelle«. Was ist ein Modell
in Bezug zur Realität, welche Art vom Modellen gibt es und wie
sollten wir als Gesellschaft mit Modellen umgehen, im besonderen
bei Fragen, die das Verhalten komplexer Systeme in die Zukunft
projeziert, wie etwa Klimamodelle.


Mein heutiger Gesprächspartner ist, und das freut mich besonders,
ein wiederkehrender Experte, Dr. Andreas Windisch. Andreas ist
ein theoretischer Physiker, der 2014 an der Universität Graz sub
auspiciis praesidentis promoviert hat. Nach mehreren Jahren
als PostDoc an der Washington University in St. Lous in den USA
(Schrödinger Fellow des öst. Wissenschaftsfonds) kehrte er nach
Österreich zurück, und übernahm die Rolle eines
Forschungsteamleiters bei 'Know-Center', einem Forschungszentrum
für KI. 


Andreas ist Mitbegründer und Leader der Reinforcement Learning
Community, einer eigenständigen Arbeitsgruppe, die Teil des
unabhängigen Think Tanks 'AI AUSTRIA' ist. Zudem ist Andreas
Honorary Research Scientist der Washington University in St.
Louis, er betreut Start-Ups bei dem European Space Agency
Inkubator Science Park Graz und lehrt KI an der FH-Joanneum.
 Seit März 2022 hält er auch eine Stelle an der TU-Graz.


Was ist ein Modell? Wie verhält sich ein Modell zur Realität, zur
Natur? Welche Rolle spielen Variable und Freiheitsgrade? Andreas
erklärt zunächst fundamentale Modelle — am Beispiel des
Standardmodell der Teilchenphysik. 


»Der Natur ist unsere persönliche Sichtweise natürlich egal.«


Damit ist die Suche nach der Abweichung vom Modell ein
wesentlicher Aspekt der Modellierung. Was hat es mit der
Filterung durch unsere Sinne und durch unsere Instrumente auf
sich? Können wir überhaupt ohne Modell und Theorie Beobachtungen
machen?


Warum ist Platons Höhlengleichnis ein gutes Beispiel für Modell
und Realität?


Welche Arten der Modellierung gibt es? Vom bottom up /
fundamentalen Modell zur Welt im Großen, zu effektiven Modellen?
Damit stellt sich die Frage: kann ich die Welt im Großen aus dem
fundamentalen Verständnis des Kleinstes modellieren? Also: kann
ich mit dem Standardmodell der Teilchenphysik etwa das Klima
modellieren? Sollte es nicht nur ein Modell der Welt geben?


Andreas erklärt, warum dies nicht möglich ist. Damit stellt sich
die Frage: was ist eine Skala? Was sind Hierarchien von Modellen
nach Skala und Fragestellung? Wir diskutieren Beispiele  von
der Quantenmechanik über die klassische Mechanik bis zur
Relativitätstheorie und wieder zurück.


Wie verhält es sich im Übergang von einem Modell einer Skala oder
Anwendungsbereich zu einem Modell einer andere Skala? Wo liegen
die Grenzen und wie sieht es in den Übergangsbereichen aus? Wie
weit kann Extrapolation gehen? Wenn ich Modelle außerhalb des
Gültigkeitsbereiches »befrage«, bekomme ich Antworten, aber was
ist von diesen zu halten?


Gilt die heute häufig formulierte Annahme: je mehr Daten desto
besser (für die Entscheidungsfindung)? Die richtige Information
und Abstraktion zur richtigen Zeit ist essentiell!


Wir sprechen weiters über mathematische Symmetrien, »Schönheit«
und Qualität von Modellen, datengetriebenem (machine learning)
vs. Modell-Zugang. Sind wir am Ende der Theorie angelangt, wie
vor einiger Zeit behauptet wurde, oder war das ein Irrtum?


Wie repräsentativ sind die Daten mit denen modelliert wird im
Bezug auf die Daten, die in der Realität zu erwarten sind? Ändert
sich das über die Zeit der Modell-Nutzung? 


Wir kehren dann wieder an den Anfang zurück und diskutieren ein
fundamentales historisches Beispiel, das n-Körper-Problem,
beziehungsweise eine vereinfachte Form davon, das
Dreikörperproblem, das ja einfach physikalisch zu lösen sein
sollte. Oder doch nicht? Warum nicht? Was sind die Erkenntnisse
und Folgen dieses historischen Problems, getrieben von König
Oskar II und Henri Poincaré?


Es kann doch nicht so schwer sein, die Bahnen von Sonne, Erde und
Mond zu berechnen!


Aus diesem Beispiel folgend: Was sind (nicht-lineare) chaotische
Systeme und was bedeutet das für Modellierung und Vorhersage, vor
allem in Bezug auf die Anfangsbedingungen und die Möglichkeit
diese genau zu bestimmen? Wie hängt dies mit den intrinsischen
Zeitskalen des Systems zusammen? Liegen hier natürliche Grenzen
der Vorhersagbarkeit, die wir auch mit stetig besseren Sensoren,
Computern und Algorithmen nicht brechen können?


Was sind Attraktoren komplexer dynamischer Systeme und Tipping
Points (auch Kipppunkte,Phasenübergänge oder Regime Shifts
genannt)? Kann man vorhersagen, wann sich ein System einem
Kipppunkt nähert?


Dann diskutieren wir die Konsequenzen für Risikomanagement, den
Unterschied zwischen statistisch gut beschreibbaren und bekannten
Systemen, versus komplexen chaotischen Systemen und dem
Vorsorgeprinzip. Was können wir daraus für politische und
gesellschaftliche Entscheidungsprozesse mitnehmen?


Passend zur vorigen Episode disuktieren wir auch das Risiko des
»Overselling« wissenschaftlicher Erkenntisse und vor allem von
Modell-Ergebnissen als Wissenschafter.


Zum Schluss stellen wir die Frage, wie weit wir als Gesellschaft
kritischen Diskurs verlernt haben. 


»Alle Experten sagen...« ist keine relevante Aussage, sondern ein
rhetorischer Trick um Diskurs zu beenden.


Unterschiedliche Meinungen sind gerade bei komplexen (wicked)
Problems von größter Bedeutung. Es gibt keine zentrale
Anlaufstelle der Wahrheit, auch wenn das von manchen politischen
Akteuren gerne so dargestellt wird. Was Information und
Misinformation ist, stellt sich in der täglichen Praxis als sehr
schwieriges Problem heraus. Auch die aktuelle Rolle der »alten«
Medien ist stark zu hinterfragen.


Referenzen 


Andere Episoden


Episode 79: Escape from Model Land, a Conversation with Dr.
Erica Thompson

Episode 67: Wissenschaft, Hype und Realität — ein Gespräch
mit Stephan Schleim

Episode 55: Strukturen der Welt

Episode 53: Data Science und Machine Learning, Hype und
Realität

Episode 47: Große Worte

Episode 37: Probleme und Lösungen

Episode 27: Wicked Problems

Episode 25: Entscheiden unter Unsicherheit

Episode 10: Komplizierte Komplexität



Andreas Windisch


Andreas Windisch auf LinkedIn

Episode 18: Gespräch mit Andreas Windisch: Physik,
Fortschritt oder Stagnation



Fachliche Referenzen


Chris Anderson, The End of Theory: The Data Deluge Makes the
Scientific Method Obsolete, Wired (2008)

Daisyworld Model

TED-Talk Bill Gates: The next outbreak, we are not ready
(2015)

Marten Scheffer, Catastrophic regime shifts in ecosystems:
linking theory to observation (2003)

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