080 — Wissen, Expertise und Prognose, eine Reflexion

080 — Wissen, Expertise und Prognose, eine Reflexion

Ich denke seit ein paar Wochen über die Begriffe »Expertise« und »Wissen« nach. Wie stehen diese zueinander und in Bezug zu Prognostik. Dazu irritiert die übliche oder alltägliche Verwendung der Begriff »Expertise« beziehungsweise »Experte«. Regelmäß...
33 Minuten
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Woher kommen wir, wo stehen wir und wie finden wir unsere Zukunft wieder?

Beschreibung

vor 7 Monaten

Ich denke seit ein paar Wochen über die Begriffe »Expertise« und
»Wissen« nach. Wie stehen diese zueinander und in Bezug zu
Prognostik. Dazu irritiert die übliche oder alltägliche
Verwendung der Begriff »Expertise« beziehungsweise
»Experte«. Regelmäßig werden in Medien Experten präsentiert
oder von Politikern auf Experten verwiesen, die die Welt erklären
und Prognosen komplexer Systeme mit großem Selbstvertrauen
darlegen. Wenn dann aber regelmäßig von Experten oder
Institutionen schwere Fehler in der Einschätzung gemacht werden,
dann hat das negative Effekte für alle Menschen, für unser
Vertrauen in Politik und in wesentliche Institutionen.


Was ist die Aussage eines Experten wert?


Was ist von Prognosen zu halten?


Zum Einstieg werden einige Beispiele schwerwiegender
Fehleinschätzungen von Experten über die Jahrzehnte diskutiert,
und was noch schlimmer ist, Fehleinschätzungen aus denen offenbar
systemisch nichts gelernt wurde:


Es ist unmöglich die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren
(Paul Ehrlich, 1960er Jahre)

Bevölkerungsexplosion oder -implosion (1960er Jahre bis
heute)?

Peak Oil (1980er bis 2000er Jahre)

Eiszeit oder kochender Planet?

Versagen der deutschen Energiewende

Prognosen über den Ukraine Krieg

Verschiedenste Wirtschaftsprognosen



»Voraussagen der Euro-Dollar-Wechselkurse sind wertlos. Jedes
Jahr im Dezember sagen internationale Banken die Wechselkurse für
das Ende des folgenden Jahres vorher. Meistens liegt der
tatsächliche Kurs außerhalb des gesamten Prognosebereichs.«, Gerd
Gigerenzer


Sind das alles nur Anekdoten, oder wurde die Qualität von
Expertenprognosen systematisch untersucht?


 »Der Durchschnittsexperte hatte bei vielen der von mir
gestellten politischen und wirtschaftlichen Fragen kaum besser
abgeschnitten als hätte er geraten […] «


 »je berühmter ein Experte war umso schlechter war die
Leistung«, Phil Tetlock


Mit anderen Worten: je öfter sie den »Experten« im Fernsehen
sehen, desto schlechter sind wahrscheinlich seine Prognosen.


Was ist nun tatsächlich Expertise? Was ist Wissen? Versuchen wir
eine Definition:


»Expertise ist die Fähigkeit, Veränderungen in der Welt
konsistent vorauszusagen oder herbeizuführen.«


Schon in der Antike gab es unterschiedliche Begriffe für
verschiedene Formen des Wissens:


episteme (gr) oder scientia (lat) für Wissen um seines selbst
Willen sowie

techne (gr) oder ars (lat) für angewandtes Wissen; vielleicht
vergleichbar damit, was ich Expertise nenne.



Gibt es Kompetenz, Expertise ohne Tun? Welche Beispiele für
Bereiche gibt es, in denen man von Expertise sprechen kann,
welche, in denen keine Expertise in diesem Sinne möglich ist?
Gibt es Expertise an der Universität?


Dazu kommt die Frage des Vertrauens, wie in der letzten Episode
betont wurde:


»Vertrauen ist ein sozialer Prozess, und Expertise ist sozial
bestimmt. [...] Du musst der Wissenschaft folgen heißt, du musst
mit meinen Werturteilen übereinstimmen.[...] Eine
Entscheidung kann niemals wissenschaftlich fundiert sein.
[…] «


»Letztendlich ist die Definition eines Experten die eines
Menschen, dessen Urteile man bereit ist, als das eigenen zu
akzeptieren«


Was fangen wir nun mit diesem Befund an? Was tun? Eine
Zusammenfassung in vier Punkten:


(1) Sind wir im Zeitalter der Post-Expertise angelangt?


»In den meisten Teilen der Gesellschaft wird man ermutigt, sich
auf Experten zu verlassen — wir alle tun das mehr als wir
sollten«, Noam Chomsky


(2) Das Tun nicht vergessen — Expertise lässt sich nicht
virtualisieren


»Ich glaube nicht, dass man ein guter Erfinder sein kann, wenn
man nicht weiß, wie das Zeug gebaut wird, dass man designed«,
Walter Isaacson über Elon Musk


(3) Mit Unsicherheit leben lernen — die Herausforderung unserer
Zeit


»Die Menschen neigen dazu, Unsicherheit verstörend zu
empfinden.«, Phil Tetlock


(4) Evolution, oder: meine Arbeits-These zum Fortschritt 


»Seed — Select — Amplify«


Diese Episode ist eine Reflexion und ich freue mich wieder
besonders über kritisches Feedback!


»Dumme Menschen können Probleme verursachen, aber es braucht
häufig geniale Menschen um eine wirkliche Katastrophe
auszulösen«, Thomas Sowell


Referenzen


Andere Episoden


Episode 13: (Pseudo)wissenschaft? Welcher Aussage können wir
trauen? Teil 1

Episode 14: (Pseudo)wissenschaft? Welcher Aussage können wir
trauen? Teil 2

Episode 36: Energiewende und Kernkraft, ein Gespräch mit Anna
Veronika Wendland

Episode 42: Gesellschaftliche Verwundbarkeit, ein Blick
hinter die Kulissen: Gespräch mit Herbert Saurugg

Episode 59: Wissenschaft und Umwelt — Teil 1

Episode 60: Wissenschaft und Umwelt — Teil 2

Episode 62: Wirtschaft und Umwelt, ein Gespräch mit Prof.
Hans-Werner Sinn

Episode 73: Ökorealismus, ein Gespräch mit Björn Peters

Episode 74: Apocalype Always

Episode 76: Existentielle Risiken



Fachliche Referenzen


Leonard Nimoy, Ice Age 1979

Vorsicht, wer die Konjunktur prophezeit, Der Standard
(8.2.2020)

Spectator Inflation Prediction (17.8.2022)

Stuart Ritchie, Michael Story, How the experts messed up on
Covid, UnHerd (2020)

Gerd Gigerenzer, Risiko – Wie man die richtigen
Entscheidungen trifft, Pantheon (2020)

Karl Popper, The Myth of the Framework

Daniel Yankelovich, Wicked Problems, Workable Solutions,
Rowman & Littlefield (2014)

Neil Gershenfield, Lex Fridman #380

Walter Isaacson, Lex Fridman #395

Nassim Taleb, What do I mean by Skin in the Game? My Own
Version, Medium (2018)

Scott Adams, Prediction and Forecast

Thomas Sowell on “Social Justice Fallacies”, Uncommon
Knowledge (2023)

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