Banana Yoshimoto: Tsugumi - Federkleid - Lebensgeister

Banana Yoshimoto: Tsugumi - Federkleid - Lebensgeister

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Beschreibung

vor 2 Jahren

Mein Lesejahr 2021 begann mit einem der großen japanischen
Autoren, der auch hierzulande vielen bekannt sein dürfte und
durch Werke wie Kafka am Strand und viele andere weltberühmt
geworden ist. Richtig, die Rede ist von Haruki Murakami. Danach
war die von mir ausgewählte Literatur jedoch eher von weiblichen
Autorinnen geprägt und so kam es mir gerade Recht, als ich durch
einen glücklichen Zufall mit einer echten Banana Yoshimoto
Kennerin ins Gespräch kam, denn die, wie Murakami ebenfalls aus
Japan stammende Autorin, war mir bis dato unbekannt. Und so wurde
ich, nachdem ich mein Interesse an ihr bekundet hatte, wenig
später umgehend mit Literatur von ihr versorgt. Wann immer ich
ein Buch beendet hatte, war auch schon das nächste für mich
ausgesucht und zurecht gelegt worden. So kam es zu der
diesjährigen und mein Lesejahr beendenden Anzahl von allen guten
Dingen, nämlich drei Büchern, die ich zum Jahresabschluss
versuchen will, in einer Rezension zu besprechen.


Banana Yoshimoto, eigentlich Mahoko Yoshimoto, wurde 1964 in
Tokio als Tochter eines einflussreichen japanischen Denkers,
Dichters und Literaturkritikers sowie einer Dichterin, geboren.
Sie selbst begann angeblich bereits im Alter von 5 Jahren zu
schreiben und studierte später japanische Literatur. Es scheint
also, dass ihr eine gewisse Prägung und Affinität für Literatur
schon in die Wiege gelegt wurde. Ihre Werke Tsugumi, Federkleid
und Lebensgeister erschienen in den Jahren 1989, 2003 und 2011 im
Original und wurden jeweils erst einige Jahre später ins Deutsche
übersetzt und im Diogenes Verlag veröffentlicht. Alle drei Bücher
eint, dass sie aus der Perspektive einer Ich-Erzählerin
geschrieben wurden, die den Lesenden durch ihre Geschichte führt.


Der Roman Tsugumi erzählt die Geschichte der beiden Cousinen
Maria und Tsugumi, die ihren letzten gemeinsamen Sommer
verbringen, bevor Maria, die in diesem Fall auch die Erzählerin
ist, das Küstenstädtchen, in dem sie bis dahin gewohnt hatte,
verlässt, um mit ihren Eltern in Tokio zu leben. Die Spannung des
Romans macht dabei zu einem großen Teil die Unterschiedlichkeit
der beiden Mädchen aus. Während Tsugumi zwar kränklich ist und
oft im Bett liegen muss, weil es ihr nicht gut geht, ist ihr
Wesen trotzdem wild und ihr Verhalten teilweise fast unverschämt,
aber auch bedingungslos. Wohingegen Maria ihren zurückhaltenden
und liebevollen Gegenpol darstellt, was es ihr auch mitunter
schwer macht, mit Tsugumis Art zurecht zu kommen und sich nicht
vor den Kopf gestoßen zu fühlen. Letztlich eine Geschichte über
Freundschaft, aber auch über einen ganz besonderen
Lebensabschnitt, der angefüllt ist mit Träumen, Hoffnungen und
dem bereits die Ahnung innewohnt, dass sich Lebensverhältnisse
und -realitäten ändern werden. Ein letzter Sommer: schon die
Formulierung scheint zur Metapher geworden zu sein, bei der sich
einem zwangsläufig Bilder auf die Netzhaut drängen, die von Wärme
und Freude, aber ebenso von Abschied geprägt sind. Ein
leichtfüßiger Roman, der viele Sehnsüchte in sich vereint und
sich, soweit ich das mittlerweile beurteilen kann, von anderen
Werken Yoshimotos in einigen Punkten deutlich unterscheidet.


In dem viele Jahre später erschienenen Roman Federkleid dreht
sich die Handlung um die Protagonistin Hotaru, deren
Liebesbeziehung zu einem verheirateten Mann nach vielen Jahren
abrupt endet. Dieses Ende lässt sie nicht nur den Boden unter den
Füßen verlieren, sondern verdeutlicht ihr auch, in welcher
Abhängigkeit sie zu ihrem Geliebten gelebt und wie wenig sie sich
um sich selbst gekümmert hat. Sie verlässt daraufhin das
gemeinsame Appartement in Tokio, welches er ihr überschrieben hat
und kehrt in ihre Heimatstadt zurück. Hier hilft sie im Café
ihrer Großmutter aus und knüpft neue Freundschaften bzw. entdeckt
alte wieder.


Direkt zu Beginn des Romans wird deutlich, dass die Trennung –
und das sind Trennung, Verlust und Abschied bei Yoshimoto sehr
häufig – ein zentrales Motiv ist. Es ist die Aufarbeitung einer
Vergangenheit die plötzlich als teilweise fremdbestimmt bzw.
losgelöst von den eigenen Erwartungen wahrgenommen wird. Hotaru
schafft es nur sehr langsam sich einen Alltag zu „erarbeiten“.
Vor allem durch Kleinigkeiten lernt sie das Gefühl von Glück und
Geborgenheit wieder spüren zu können. Wichtig in Yoshimotos
Romanen, so auch in Federkleid, ist die ebene des
Übernatürlichen. Diese Phänomene, die ganz unterschiedlicher
Natur sein können, werden jedoch nicht als beängstigend
wahrgenommen, sondern sind ihren Protagonistinnen oft eine Hilfe
um Trost zu finden oder Zusammenhänge und ihr eigenes Leben
besser verstehen zu können.


So verhält es sich auch in dem dritten, von mir besprochenen
Roman Lebensgeister. Die Protagonistin Sayoko verliert durch
einen Autounfall, bei dem sie selbst schwer verletzt wird, ihren
Partner. Durch den Unfall ist sie dem Tod sehr nahe gekommen, hat
quasi für kurze Zeit ein Zwischenreich betreten, in dem sie
sowohl ihrem toten Großvater als auch ihren Lieblingshund, den
sie als Kind besessen hat, begegnet ist. Auch nachdem sie aus dem
Koma erwacht, bleibt ihr die Gabe, Geister zu sehen, erhalten und
diese ermöglicht es ihr auch, langsam ihr Trauma zu bewältigen.
„Ihre Art, mir zu begegnen, gab mir das Gefühl, mit der Welt
verbunden zu sein und nicht als jemand gesehen zu werden, der
leidet und sich quält. Die Gewissheit, Teil des Lebens zu sein
und mit ihm zu verschmelzen, beruhigte mich.“ (B.Y.-
Lebensgeister) Diese übernatürlichen Begegnungen nutzt die
Autorin nicht nur um ihrer Protagonistin durch die Trauerphasen
zu helfen, sondern auch, um ihr wieder Lebenswillen einzuhauchen.
Allmählich gewinnt sie ein Gefühl von Geborgenheit zurück, etwas,
dass uns auch aus Federkleid bekannt vorkommt. Es ist ein
wiederkehrendes Thema bei Banana Yoshimoto die eigenen Schwächen,
Unzulänglichkeiten oder auch die Vergangenheit zu überwinden und
wieder zu mentaler Stärke zu gelangen und neue Möglichkeiten
wahrzunehmen. Dabei spielen natürlich auch neue und alte
Freundschaften im Roman eine Rolle; Menschen die Sayokos Leben
begleiten und dabei, ähnlich wie sie selbst, mit sich hadern oder
eigene Verluste erlebt haben und zu verarbeiten suchen.


Ein wichtiger Fakt, der in der deutschen Übersetzung nicht
vermerkt oder berücksichtig wurde, auf den ich aber in
Vorbereitung auf meine Rezension stieß, ist die Tatsache, dass
Yoshimoto Lebensgeister als Allegorie auf Fukushima verstanden
wissen will. Mit dem Verfassen des Romans folgt sie nämlich der
nationalen Aufforderung an die Kunst, dem japanischen Volk
Aufarbeitung und Trost nach der Katastrophe anzubieten und zu
ermöglichen, um die schrecklichen Geschehnisse verarbeiten zu
können. Ohne diesen Verweis könnte der Roman wie eine weitere
Variation bereits bekannter Themen wirken.


Lebensgeister ist von allen drei von mir besprochenen Werken
definitiv mein Favorit, auch ohne die Vorkenntnis der besonderen
Umstände, unter denen er erstanden ist. Die Ernsthaftigkeit des
Themas und die geradezu Leichtigkeit mit der es Banana Yoshimoto
schafft, dieses zu bearbeiten, hat mich fasziniert.


Alles in allem haben die Werke von Yoshimoto etwas fabelartiges
an sich. Die bereits angesprochenen und oft von ihr verwendeten
Themen wie Verlust und Abschied variiert sie und gibt sie ihren
Protagonistinnen als Aufgabe. Trotz der Schwere dieser Prüfungen
wirken ihre Romane nicht er- oder bedrückend, sondern eher
mühelos. Das Übernatürliche nutzt sie dabei als Stil- und
Hilfsmittel, um ihre Figuren Zusammenhänge verstehen zu lassen,
aber auch als Brücke zur Verbesserung ihrer Lebensumstände. Auch
Freundschaften spielen in diesem Zusammenhang immer eine wichtige
Rolle. Sie schafft damit in gewisser Weise eine Literatur die der
Selbsthilfe dient, sich wunderbar leicht lesen lässt, aber nie
abgedreht wirkt und einen moralischen Kompass nie außer acht zu
lassen scheint.


Definitiv zu empfehlen, wenn es mal nicht der dicke Schmöcker
oder die sonst so ernsten, von mir besprochenen Bücher sein
sollen und man sich trotzdem gut unterhalten fühlen will. Und ein
Buch unter dem Gabentisch macht sich immer gut.


Und weil wir nun so viel über Abschied und Freundschaft gehört
haben und es nunmal meine letzte Rezension dieses Jahres ist,
möchte ich an dieser Stelle noch ganz unkonventionell
allerliebste Grüße an meine Josi nach Amerika senden. Auf bald
meine Liebe!


In der nächsten Woche wird Irmgard Lumpini ihren aktuellen
Lesestoff vorstellen und knapp vor dem Fest noch einige
Empfehlungen für den Gabentisch aussprechen.


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