Lou Andreas-Salomé und Lou Zucker

Lou Andreas-Salomé und Lou Zucker

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Beschreibung

vor 1 Monat

Das Studio B befindet sich in seinem Wechselmodell-Monat, in dem
wir uns die Freiheit nehmen, auch andere Dinge als Bücher zu
rezensieren. So ganz komme ich aber vom Thema nicht weg und
während ich überlegte, worüber ich unsere Leser- und Hörer:innen
diesen Sonntag informieren, ja womit ich sie vielleicht sogar
erfreuen könnte, stieß ich zunächst auf Lou Andreas-Salomé. Der
Name der 1861 in St. Petersburg geborenen Schriftstellerin,
Essayistin und Psychoanalytikerin aus deutsch-russischer Familie
war mir durchaus ein Begriff, jedoch weniger aufgrund ihres
Schaffens, sondern eher wegen der Kreise in denen sie gewirkt hat
und der namhaften Zeitgenossen wegen, mit denen sie befreundet
war. Namen wie Rainer Maria Rilke, Friedrich Nietzsche und
Sigmund Freud finden sich darunter. Da ich diesen ihren
Zeitgenossen schon in anderen Rezensionen Aufmerksamkeit gewidmet
habe – sei es die Interpretation von Rilkes Gedicht Schlussstück,
Klaus Modicks Konzert ohne Dichter, in dem es ebenfalls
autofiktional um Rilke und den Worpsweder Künstlerkreis geht,
oder auch Irvin D. Yaloms Und Nietzsche weinte, unnötig zu sagen,
wen wir hier antreffen – möchte ich mich dieses Mal auf Lou
Andreas-Salomé konzentrieren, die in zuletzt genanntem Roman
ebenfalls eine Rolle spielt. Und wer vergessen hatte oder noch
gar nicht wusste, dass es zu den jeweiligen Werken bereits
Rezensionen von mir gibt, dem sei natürlich das Studio B Archiv
empfohlen, in dem man diese alle nachhören kann.
https://lobundverriss.de/studiob-archiv/


Grundlage für meine Rezension bildet der 2016 erschienene und
neulich von mir angesehene Spielfilm von Cordula Kablitz-Post,
der den Titel seiner Protagonistin Lou Andreas-Salomé trägt. In
diesem berichtet eine ältere Lou über ihre Kindheit, aber vor
allem von ihrem Leben als junge und erwachsene Frau, die weit
gereist ist und stets versuchte, sich dem Eindruck ihrer Familie,
speziell ihrer Mutter und den Konventionen der Gesellschaft zu
entziehen und ihr Leben so zu leben, wie sie es für richtig und
gut empfand. Während sie – für ihre Zeit undenkbar – mit Paul Ree
und Friedrich Nietzsche freundschaftlich in einer
Arbeitsgemeinschaft zusammenleben wollte, um gemeinsam zu
schreiben, zu studieren und zu diskutieren, war ihre Mutter eher
bestrebt, sie schnellstmöglich zu verheiraten. Doch die
Wunschvorstellung von der „Dreieinigkeit“, wie sie es selbst
bezeichnete, ging nicht auf. Beide Herren wollen Salomé in eine
Ehe drängen, die sie von vornherein ausgeschlossen hat. Während
sie mit Paul Ree jedoch trotzdem weiter freundschaftlich
verbunden bleibt, führt ihre Weigerung gegen diese Ehe mit
Nietzsche zum Zerwürfnis.


Salomé studierte Philosophie, Religionsgeschichte und Theologie
und gilt als eine der ersten deutschen Psychoanalytikerinnen.
Zwar musste sie ihr Studium in Zürich krankheitsbedingt
abbrechen, doch ihrem Wissensdurst tat dies keinen Abbruch und so
begann sie später, mit 51 Jahren, noch einmal zu studieren und
besuchte Vorlesungen Sigmund Freuds, der gleichzeitig zur
Vaterfigur für sie wurde. Mit ihren wissenschaftlichen Aufsätzen
und Essays zur Rolle der Frau in der Gesellschaft und zur
weiblichen Sexualität beeinflusste sie diesen zudem. Trotz der
Tatsache, dass sie von ihren Zeitgenossen und darüber hinaus für
ihren Intellekt, ihren Drang nach Wissen, ihre unkonventionelle
Lebensweise und auch ihre Ausstrahlung sehr geschätzt wurde und
in den Künstlerkreisen ihrer Zeit ein wichtiger Bestandteil war,
ist ihr eigentliches Werk doch heutzutage größtenteils in
Vergessenheit geraten oder wird zumindest kaum noch rezipiert.
Ich denke, es ist an der Zeit, diesem wieder die nötige
Aufmerksamkeit zu schenken.


Wie es der Zufall so will, hatte ich kürzlich Besuch von einer
guten Freundin, die mir ein kleines Heftchen mit dem Titel Eine
Frau geht einen trinken. Alleine. der Autorin Lou Zucker,
erschienen im Maro Verlag, schenkte. Schon seit Monaten hätte sie
es für mich zu Hause liegen gehabt und nun war endlich die
Möglichkeit gekommen, es mir zu schenken. Nicht nur der Titel,
auch die Illustration des Covers – eine Anlehnung an Edward
Hoppers bekanntes Gemälde Nighthawks, zog mich direkt in seinen
Bann. Der Name der Autorin brachte mich – wir sind nicht
überrascht – auf die Idee, ihr Werk in meine Rezension
einzubeziehen. Die 32 Seiten, die es umfasst, waren schnell
gelesen und meine anfänglich Begeisterung bestätigte sich. Aber
worum geht es?


Die Autorin beschreibt uns zunächst, wie problematisch es sich
einerseits für sie als Frau anfühlt, allein in eine Bar zu gehen
und wie selbstverständlich es im Gegenteil für Männer ist. Oft
ist es nicht möglich, als Frau einfach nur allein an der Bar zu
sitzen und einen Drink zu nehmen. Beäugende und musternde Blicke
von Seiten der Männer sind ihr dabei oft sicher und meist noch
das geringste Übel. Oft werden Frauen, die allein unterwegs sind
angesprochen, weil sie, einfach nur aufgrund der Tatsache, dass
sie allein sind!, bei Männern den Eindruck erwecken, dass sie
angesprochen und abgeschleppt werden wollen. Eine andere
Möglichkeit scheint völlig ausgeschlossen, weshalb Männer Frauen
mitunter umso hartnäckiger bedrängen, was wiederum zur Folge hat,
dass es für viele Frauen gar nicht in Frage kommt, allein in eine
Bar zu gehen. Wie oft habe ich solche Situationen als Barkeeperin
selbst erlebt, in denen ich letztlich auch eingreifen musste.
Aber auch von der anderen Seite des Tresen ist mir das Problem
durchaus bekannt, manchmal war ich dabei nicht mal allein,
sondern habe mit einer Freundin am Tresen gesessen und selbst
dann konnten die Typen ganz schön hartnäckig sein – zum Glück
kann ich ziemlich harsch sein.


Anhand dieser Problematik analysiert Lou Zucker, wieso das
Alleine-Ausgehen bis heute eher Männersache ist. Wir erfahren
dabei, dass der physische öffentliche Raum, zu dem neben Parks
und Plätzen eben auch Bars gehören, bis heute und vor allem
nachts, oft männliches Territorium ist, wohingegen Frauen im
privaten angetroffen werden und den Großteil an Pflegearbeiten
übernehmen. Der private und der öffentliche Raum und seine
Entwicklung sind es, an dem uns Lou Zucker exemplarisch vor Augen
führt, wie es zu den verschiedensten Abwertungen, Zuschreibungen
und Diskriminierungen kommt, wobei sie sich dabei nicht
ausschließlich auf Frauen, sondern auch auf FLINTA* bezieht.
Thematisch reißt sie dabei sowohl die Hexenverfolgung als auch
die Entwicklung des Frauenbilds vom 17. zum 18. Jahrhundert an,
es geht um Sexarbeit und deren Stigmatisierung, Kolonialismus,
Beispiele aus verschiedenen anderen Ländern, aber auch
grundsätzliche Probleme in der Erziehung. Nun kommt vielleicht
die Frage auf, wie sie das auf so wenigen Seiten schafft, aber
sie schafft es. Informativ und nachvollziehbar, mit Belegen und
Quellen untermauert und wunderbar illustriert von Josephin
Ritschel.


Was die beiden Lous jedoch unterscheidet ist Folgendes: Während
Lou Andreas-Salomé zwar äußerst bestrebt war, ein
selbstbestimmtes Leben zu führen, sich den gängigen Konventionen
nicht zu beugen und sie ebenfalls mit dem Großteil der
Frauenrechtlerinnen ihrer Zeit vertraut war, geht es ihr dabei
vor allem um ihren persönlichen Anspruch auf Selbstständigkeit
und Freiheit. In ihrem Werk selbst setzte sie sich jedoch nicht
für die Emanzipation der Frau ein und generalisiert diesen
Anspruch damit nicht. Wohingegen Lou Zucker, wenn es um die
Vorurteile und Zuschreibungen um Frauen geht, die allein
ausgehen, ganz klar sagt: „Wie kann sich das endlich ändern?
Reclaim the Night!“ Und uns fast ein kleines Handbuch mitgibt, um
zu verstehen, wieso manche Dinge so sind, wie sie sind, aber
damit auch deutlich macht, dass es schon immer Entwicklungen
gegeben hat, alles im Fluss ist und auch wir etwas ändern können.
Eine ganz klare Leseempfehlung.


Und was Lou Andreas-Salomé angeht und die angesprochene, kaum
vorhandene Rezeption ihres Werkes, so möchte ich mit einem ihrer
Gedichte enden, welches auch im Film rezitiert wird und an dieser
Stelle auch die Auseinandersetzung mit ihrer Person und ihrem
Werk ganz klar empfehlen.


Wolga


Bist Du auch fern: ich schaue Dich doch an,


Bist Du auch fern: mir bleibst Du doch gegeben -


Wie eine Gegenwart, die nicht verblassen kann.


Wie meine Landschaft, liegst du um mein Leben.


Hätt ich an deinen Ufern nie geruht:


Mir ist, als wüßt ich doch um deine Weiten,


Als landete mich jede Traumesflut


An deinen ungeheuren Einsamkeiten.


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