Giwi Margwelaschwili: Kapitän Wakusch

Giwi Margwelaschwili: Kapitän Wakusch

8 Minuten
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Beschreibung

vor 2 Jahren

Als ich im Jahr ‘91 im westfernsehfreien Dresden meine erste
eigene Wohnung bezog, war verständlich die erste Installation die
einer TV-Satelliten-Schüssel vorm Fenster. Diese empfing in den
dreistelligen Kanälen oberhalb von Homeshopping und videover-
und, perverserweise, audioentschlüsselten Softpornosendern den
frei empfangbaren Ableger von Sky, BSkyB des bondbösewichten
Rupert Murdoch. Dem war der ideologisch subversive Charakter des
utopisch-kommunistischen Star-Trek-"The Next
Generation"-Programms mit Captain Jean-Luc Picard durch die
Zensur gerutscht, weshalb ich mir jeden Nachmittag auf diesem
Sender eine Folge des Meisterwerks im Original ohne Untertitel
geben konnte. Mein englisch war dank sozialistischer
Sprachpädagogik knapp unterhalb von passabel, welches den Genuss
der Space-Opera zu einem linguistisch interessanten Experiment
machte: Die erzählten Stories begaben sich in einem 
abgesteckten und überschaubaren Setting und das Vokabular war
entsprechend limitiert. In diesem gab es jedoch unzählige
Technologismen deren Bedeutung man nur durch Deduktion über ein
paar Szenen hinweg entschlüsseln konnte. Deuteriumkammern,
Holodecks und Warpkerne waren faszinierende Begriffe, die in
bekannten Satzstrukturen, Subjekt, Prädikat, Objekt, eingebunden
waren, deren Bedeutung man ahnte, aber eine ganze Weile nicht
komplett durchstieg. Das erforderte Konzentration, aber da die
Stories faszinierend waren, war mir das die Anstrengung und das
kleine Vertigo wert, wenn immer man die Serie einschaltete und
sich im Sprachdurcheinander zurechtfinden musste.


Giwi Margwelaschwili, ein Deutscher Schriftsteller mit
georgischen Wurzeln, it's complicated, macht ebenfalls einen
Kapitän zum Haupthelden. Im ersten von sieben Bänden seiner
Autobiographie (von denen jedoch erst zwei erschienen sind) heißt
sein Picard “Wakusch” und er ist es sujetbedingt selbst. Nach den
ersten paar Seiten im Buch und dem zweiten oder dritten WTF?
bemerkte ich die kleine Anstrengung und das seltsames Vertigo aus
den Neunzigern wieder, war aber schon so tief in der Story eines,
wie ich durchaus mühevoll entzifferte, Kindes, geboren 1927 in
Berlin und wie es sich im Aufstieg und Fall Nazideutschlands
ebendort lebte. Was war passiert?


Nun: “Kapitän Wakusch” ist eines der wenigen Bücher, die zu
besprechen ohne dem Rezipienten wenigstens eine kleine Leseprobe
an die Hand zu geben, wenig Sinn macht. 


Der erste Satz im Buch lautet:


"Goglimogli ist mit Zucker angerührtes Eigelb, das die kleinen
Wichte zu essen bekommen, damit sie groß und stark werden."


Noch ist nichts Beunruhigendes passiert, auf dem halben Weg zum
Pudding stehen geblieben, ist "Goglimogli" halt etwas, was man in
Georgien isst, denkt man. Georgien vermutet man als Herkunft des
Autors auch ohne Wikipedia zu konsultieren, überlange Namen mit
vielen Ws, Schs und immer noch eine Silbe oder zwei mit I hinten
dran. "Wicht" ist ein reizendes Wort für kleine Kinder, wir sind
gespannt.


"Und es ist der Anfang aller wichtigen Geschichten, die ein
Häuschen und eine Wartburg zum Gegenstand haben", geht es weiter.


Man stutzt. Wartburg. Eisenach? Wikipedia hilft nicht wirklich,
ein Strg-F in Giwi Margwelaschwilis Eintrag um nach "Eisenach"
und "Wartburg" zu suchen, bleibt ergebnislos.


Es folgt:


"In den Goglimogli 27 ist - was jeden Altertumsforscher entzücken
muß - aber auch der Goglimogli des ersten Jahrhunderts
eingeträufelt."


Das seltsame Vertigo beim Lesen stellt sich ein und man ahnt,
dass das hier ein Werk ist, das mit ein paar Regeln bricht und so
tun wir das auch mit einer eisernen falschgoldschen: "Lese nie
über ein Kunstwerk vor dessen Konsumtion". Oder so ähnlich. Ich
verabscheue Klappentexte, die Teaser von Netflix werden
ignoriert, wenn jemand über ein Werk referiert, dass ich plane zu
lesen, hören oder sehen, sing ich laut und schief "Lalala!". Bei
“Kapitän Wakusch” jedoch guck ich kurz in Herausgeber Jörg
Sundermeiers Einleitung und da mir erklärt wird, dass es um eine
Autobiographie von Giwi Margwelaschwili geht, in ein paar Byte
der Wikipedia. 


Und so wird der Grund für das Erfinden oder das immer recht
clevere Umwidmen von Begriffen schnell klar. Während der erste
Band von "Kapitän Wakusch" mit dem Untertitel "Deuxiland" die
Jahre von Margwelaschwilis Geburt bis zum Jahr 1947 beschreibt,
geht es im zweiten Band, ominös "Sachsenhäuschen" untertitelt, um
seine Inhaftierung und anschließende Verbannung durch den
sowjetischen Geheimdienst nach Georgien. Mit zwanzig Jahren
findet sich Margwelaschwili also in einem Landesteil, dessen
Sprache er kaum versteht, welches zu einem Staatenbund gehört,
dessen Sprache er kaum spricht und deren Zensoren der Autor,
aufgewachsen in Deutschland während des großen Vaterländischen
Krieges, höchst suspekt ist. In Tbilisi sitzt ein angehender
deutscher Schriftsteller ohne sich in dieser Sprache austauschen
zu können unter permanenter Beobachtung. Da wird man schon ein
wenig wunderlich und so lässt er seinem literarischen
Schnellkochtopf nur sehr kontrolliert den Dampf ab und bemüht
sich die Story zu erzählen, die da raus muss, ohne dass die
Zensoren sie ihm wegnehmen. Denn Kopierer waren im Ostblock
Verschlusssache - und dazu gehörte
Blaupapier. Geschriebenes, welches die Zensur nicht besteht,
ist für immer verloren.


Das Resultat ist ein Kunstwerk an der Scheide von wunderbar und
hässlich, es entscheidet die Tagesform. Nicht die des
Schreibenden, das Werk ist, zumal ob der absurden Länge von
allein 400 Seiten für die ersten zwanzig Lebensjahre,
beeindruckend konsistent. Nein, es hängt enorm von meiner
Bereitschaft ab, die Sprache "gut" zu finden, was für jedes
gewöhnliche Stück Belletristik, einen Whodunnit, eine Space Opera
oder "Harry Potter" ein klarer Daumen nach unten sein muss - aber
"Kapitän Wakusch" ist etwas Anderes, ein Stück zwischen
kreativ-poetischer Belletristik und Wittgensteinscher
Sprachzerlegung zum Zwecke, die halbgebildeten Idioten von der
sowjetischen Zensur mit ihrem nемецко-русский словарь in den
Wahnsinn zu treiben. Man sieht sie vor sich, wie sie Goglimogli
im Wörterbuch nicht finden und zu wenig deutsch sprechen um "zu
fühlen", dass Goglimogli für Ideologien und deren Konsequenzen
stehen, für das Bewusstsein des Selbst und alles was man im Kopf
ist. Und dabei gibt Margwelaschwili doch eine Menge Hinweise. Er
nummeriert sie doch so reizend. Goglimogli 17. Goglimogli 27.
Goglimogli 37. Ja, man muss unterscheiden zwischen dem, der 27 an
die Macht gekommen ist und dem der 27 geboren ist, Herr Zensor,
das muss man im Gefühl haben.


Dann googlen die Dixieland und ahnen, dass damit nicht nur die
Musik gemeint sein kann, denn es gibt rechtes und linkes
Dixieland. Merken sie, dass das linke Dixieland sich nicht
geografisch verortet sondern ideologisch? Dass man im rechten
Dixieland den Charleston tanzt, aber nicht den Boston? Und führen
Dixiebahnen dorthin während man in seiner Burg wartet?


Das alles kann eine Tortur sein zu lesen und es kann ein genialer
Mindfuck sein. Es ist an den besten aller Tage ein permanentes
Bilderrätsel, welches einen durch ein Berlin der Dreißiger führt,
welches, hinter dem Schleier der Wortbildungen seltsam konkret
erscheint. Wie der Kunsttext eine erhöhte Aufmerksamkeit und
Bereitschaft zur Phantasie bedingt, gibt er der Lesenden Schwung
sich ein kleines Kopfkino zu befüllen, zusammengesetzt aus den
Bildern der eigenen Jugend in der Hauptstadt, ein paar Film- und
Fernsehfunkschnipseln und abstrakten Vorstellungen über die
Dreißiger Jahre ist man, Tagesform vorausgesetzt, enorm drin in
einem Berlin in dem sich die Normalität einer Kindheit inmitten
von Veränderungen abspielt, die wir alle faktisch kennen, uns
aber nur schwer ausmalen können. 


An schlechten Tagen jedoch, an denen ich erschöpft in den
Ohrensessel sinke und nur noch “Inspector Barnaby” schauen
möchte, darf ich "Kapitän Wakusch" nicht in die Hand nehmen. Mich
ekelt es vor Goglimogli, "Was für ein blödes Wort!" poltert der
innere Monolog, "Schreib richtiges Deutsch!" befiehlt der ewige
Nazi im Deutschen Literaturkritiker. Deshalb bin ich erst auf
Seite Hundert von Vierhundert im ersten Band und fühle mich
ulyssisch, fürchte, die hoffentlich alle noch im Verbrecher
Verlag erscheinenden Bände, in diesem Tempo im Leben nicht mehr
zu schaffen. Was egozentrischer Scheiß ist, denn Margwelaschwili
hat nicht für mich geschrieben, sondern für sich und ist also
niemandem etwas schuldig. Solcherlei Literatur kann gut gelingen
und schlecht, leichte Literatur ist es fast nie. Für mich ist es
große Kunst, die ihren Platz findet zwischen der vielen kleinen,
einfach lesbaren und sie dabei weit und breit überragt.


In der nächsten Episode bespricht Anne Findeisen “Was das Leben
kostet”, ein Buch von Deborah Levy.


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