Deborah Levy : Was das Leben kostet

Deborah Levy : Was das Leben kostet

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Beschreibung

vor 2 Jahren

„Wir bekommen von früher Jugend an zu hören, dass es wichtig sei,
sich ausdrücken zu können, aber es wird nicht weniger Energie in
das Unterbinden von Äußerungen investiert als in die Suche nach
sprachlichem Ausdruck.“ (Pos. 1385)


So schreibt es die 1959 in Südafrika geborene und in
Großbritannien lebende Autorin Deborah Levy in ihrem 2019 in
deutscher Ausgabe im Hoffmann und Campe Verlag veröffentlichten
Roman Was das Leben kostet und um nichts weniger als ihr eigenes
Leben geht es in eben diesem Werk. Es stellt zugleich den zweiten
Teil einer „Living Autobiography“ Reihe dar, welche nicht
rückwärts gewandt von ihrem Leben erzählen möchte, sondern in der
Gegenwart. Insgesamt ist so eine Trilogie entstanden, deren
erster Teil den Titel Was ich nicht wissen will trägt und mit Ein
eigenes Haus ihren Abschluss findet.


In Was das Leben kostet folgt der Lesende aber keiner zwingend
stringenten und lückenlosen Handlung, sondern wird langsam auf
die biografische und literarische Verarbeitung vor allem zweier
großer Themen hingeführt, die letztlich die Frage nach einem
dritten und den Roman umspannenden Aspekt bereiten. Erstes
zentrales Thema der 50 jährigen Protagonistin ist zunächst das
Scheitern und die Trennung einer langjährigen Ehe, die sie mit
einem Schiffbruch gleichsetzt. Es ist dieses Schwimmen und der
feste Grund auf dem sie stehen kann, der ihr verloren gegangen
ist und zu neuem Denken und dem Wunsch führen, ein Leben, das
außerhalb gängiger Konventionen liegt, zu gestalten. Eine
Vorstellung die, wie sich herausstellt, nicht ohne das Aufbrechen
noch immer gängiger Geschlechterrollen und Klischees von
Mutterschaft und Häuslichkeit möglich ist. Denn während ein
vormals liebevoll eingerichtetes Heim langsam ausgeräumt und
wieder in seine Einzelteile zerlegt wird, zeigt sich:


„Wenn vom Märchen des schönen Heims, in dem Glück und Behagen von
Mann und Kind immer vorgehen, die Tapeten abgerissen werden,
kommt dahinter eine unbedankte, ungeliebte, vernachlässigte,
erschöpfte Frau zum Vorschein.“ (Pos. 122)


Eine Beschreibung die noch weit über die Kritik an der
patriarchalischen Vater-Mutter-Kind-Vorstellung hinausreicht, in
der die Frau diejenige ist, die sich um den Nachwuchs und das
Heim kümmert. Denken wir nur daran, wie uns dieser Tage wieder
allzu oft gewahr wird, wie viel unbezahlte Arbeit Frauen vor
allem im sozialen und privaten Umfeld leisten, wenn es
beispielsweise um die Betreuung Angehöriger geht und es geradezu
vorausgesetzt wird, dass der Mann weiter seinen Beruf ausübt,
während die Frau ihren Anspruch auf beruflichen Erfolg gegen die
Rolle der Kümmerin eintauschen muss. Und dennoch werden viele
Kinder ihrerseits das alte Ideal – so möchte ich es einmal nennen
– nach Meinung der Autorin eines Tages wieder anstreben.


Für unsere Protagonistin ergibt sich mit ihrem Umzug – nach
Nordlondon in den sechsten Stock eines abgerockten Wohnblocks –
noch ein weiteres Problem. Zwar hat sie für sich und ihre Töchter
wieder ein Dach über dem Kopf, aber ein Platz für sie zum
Arbeiten, genauer gesagt zum Schreiben, fehlt ihr. Eine Thematik
die mich fast unweigerlich an Virginia Woolfs Ein Zimmer für sich
allein erinnert hat, in dem sie bereits fast 90 Jahre vorher die
Wichtigkeit und die Notwendigkeit eines privaten Raumes
beschreibt, den auch Frauen benötigen, um kreativ und
schöpferisch tätig sein zu können. Umso absurder erscheint in
diesem Zusammenhang, dass Frauen, die ja oftmals die so genannten
“häuslichen Pflichten” übernehmen, in diesem Kontext einen
solchen Raum meist nicht für sich in Anspruch nehmen können. Aber
wir haben Glück, unsere Protagonistin findet in Form eines
kleinen Gartenhäuschens eine Möglichkeit ungestört ihrer Arbeit
nachgehen zu können und wir spüren, wie unter die bodenlosen Füße
allmählich wieder etwas Halt gerät.


Ein zweites zentrales Thema des Romans ist der Tod der Mutter.
Sie erkrankt nur ein Jahr nach dem Umzug der Protagonistin nach
Nordlondon an Krebs. Es ist aber nicht nur die Geschichte eines
Abschieds, sondern auch die Reflektion über ihre Mutter und
Mutterschaft an sich. Wünschen wir uns Mütter die mit beiden
Beinen fest auf dem Boden stehen, um sie am Ende zu verspotten,
dass sie keine Träume haben, während die Väter hinaus in die Welt
ziehen und den Helden spielen dürfen? Deborah Levy beschreibt
sowohl eigene Erfahrungen als auch allgemeine Gedanken, die
geprägt sind von widersprüchlichen und doch zusammengehörenden
Gefühlen wie der Wunsch nach Abgrenzung und der gleichzeitigen
Sehnsucht nach der eigenen Mutter. Aber auch das Erkennen und
Anerkennen dessen, was die Mutter in ihrem Leben geleistet hat,
die nachträgliche Bewunderung dafür und vielleicht auch die
Trauer darüber, es erst so spät erkannt zu haben. Und letztlich
schreibt Deborah Levy vom Abschied. Den letzten Tagen mit der
Mutter und der Zeit danach, die sich für die Protagonistin
anfühlt, als hätte sie mit der Mutter gleichzeitig ihr inneres
Navigationssystem, ihre Orientierung verloren und dem damit
einhergehenden Wunsch, mehr aus ihrem Leben machen zu wollen als
bisher.


Durch diesen beiden zentralen Themen entwickelt Deborah Levy ein
drittes und den Roman umspannendes Thema in dem es um die Rolle
der Frau im Allgemeinen geht. Wie es möglich ist in unserer
Gesellschaft ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben zu
führen oder den Weg konventioneller und erwarteter Pfade zu
verlassen. Nicht ohne Grund finden sich daher immer wieder
Verweise auf andere Autorinnen wie Simone de Beauvoir oder
Marguerite Duras, mit denen sie sich eingehend befasst zu haben
scheint und die ihr helfen, ihren eigenen Platz zu finden. Es
wird deutlich, dass der Preis für Unabhängigkeit auch
Unannehmlichkeiten bedeutet und es nötig ist, den Mut dafür
aufzubringen, diese in Kauf zu nehmen. Levy schreibt aber nicht
nur todernst, sondern kombiniert die nachdenkenswerten
Komponenten auch mit witzigen Episoden und scharfsinnigen
Beobachtungen.


Daraus entsteht, wie eingangs erwähnt, kein durchkomponierter
Roman der einer strengen Form folgt oder zeitliche Abfolgen exakt
einhält, sondern eher eine Mischung aus Reflektion und Wiedergabe
der eigenen Biografie in der sie nach Antworten auf Fragen sucht,
die sie tief bewegen. Ebenso greift sie auf bereits Vorhandenes
zurück, analysiert es, bekräftigt es für sich selbst oder stellt
es in Frage. Und trotz aller Zweifel die mit diesen Gedanken
einher gehen, wird doch deutlich, dass Deborah Levy oder ihre
Protagonistin stellvertretend für sie, den Willen hat, sich ein
Leben, wie sie es sich wünscht, nämlich selbstbestimmt und nicht
in vorgefertigten Rollenbildern, zu erarbeiten, ohne sich durch
andere Zweifel einreden zu lassen. Sie selbst schreibt in ihrem
Buch: „Freiheit ist nie umsonst. Wer je um Freiheit gerungen hat,
weiß was sie kostet.“ (Pos. 174)


Ein wunderbares Buch, das ich nur wärmstens empfehlen kann und
das auf gerade einmal etwas mehr als 100 Seiten sehr viel
Nachdenkenswertes in sich birgt.


In der nächsten Woche bespricht Irmgard Lumpini "Wer hat meinen
Vater umgebracht" von Édouard Louis.


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