Funktionale Korrelate der Antisakkadenstörungen bei Schizophrenie

Funktionale Korrelate der Antisakkadenstörungen bei Schizophrenie

Beschreibung

vor 20 Jahren
Sakkaden sind schnelle Augenbewegungen, welche dazu dienen, ein im
peripheren Gesichtsfeld entdecktes Sehziel zu fixieren und damit
zur Detailerkennung auf der Stelle des schärfsten Sehens
abzubilden. Man unterscheidet Reflex- und Willkürsakkaden.
Reflexsakkaden werden durch plötzlich auftauchende, periphere
Stimuli ausgelöst. Willkürsakkaden erfolgen auf ein vorgestelltes,
instruiertes oder erinnertes Blickziel. Eine Anordnung zur
Untersuchung von Reflexsakkaden besteht darin, dass rechts oder
links von einem zentralen Fixationsobjekt ein Zielreiz dargeboten
wird und zu diesem möglichst schnell sakkadiert werden soll. Die
hierbei erfassten Sakkaden werden auch als Prosakkaden bezeichnet.
Sollen Sakkaden in Richtung der Gegenseite eines plötzlich
auftauchenden peripheren Reizes ausgeführt werden, muss einerseits
eine Reflexsakkade unterdrückt und andererseits eine Willkürsakkade
generiert werden. Diese erstmals im Jahr 1980 von Hallett &
Adams beschriebene experimentelle Anordnung bezeichnet man als
Antisakkadenaufgabe. In einer Antisakkadenaufgabe machen
Schizophrene vermehrt Fehler (sogenannte Antisakkadenfehler), d.h.
sie führen häufig zuerst eine Prosakkade in die Richtung des
Stimulus aus, anstatt bei Erscheinen des Stimulus direkt zur
Gegenseite zu sakkadieren. Außerdem sind die Latenzen korrekt
ausgeführter Antisakkaden bei Schizophrenen häufig gegenüber
Gesunden erhöht, während die Prosakkadenlatenzen Schizophrener
denen von Kontrollen vergleichbar sind. Eine erstes Ziel der
Untersuchung bestand darin, diese in der Literatur berichteten
Ergebnisse mittels eines entsprechenden Pro- und
Antisakkadenparadigmas zu sichern. Während eine erhöhte
Antisakkadenfehlerrate durch ein im Rahmen schizophrener
Erkrankungen bestehendes Inhibitionsdefizit hinreichend erklärt
werden kann, könnte den verlängerten Antisakkadenlatenzen eine
Störung der Inhibition von Reflexsakkaden und/oder eine Störung der
Initiierung von Willkürsakkaden zugrunde liegen. Ein weiteres Ziel
der Untersuchung bestand daher darin, die für die Verlängerung der
Antisakkadenlatenzen verantwortlichen funktionellen Ursachen zu
klären. Zu diesem Zweck wurde eine Willkürsakkadenaufgabe mit einem
zentral dargebotenen Richtungshinweis entwickelt. Hierbei wurde die
Information, zu welcher Seite die Versuchsperson sakkadieren
sollte, zentral durch einen entsprechenden Richtungspfeil nach
rechts oder links vermittelt. In dieser Aufgabe ist eine Inhibition
einer möglichen Reflexsakkade nicht erforderlich. Es wurden also
reine Willkürsakkaden sowie Pro- und Antisakkaden bei Schizophrenen
und gesunden Kontrollpersonen durchgeführt. Neben okulomotorischen
Reaktionen wurden auch manumotorische Reaktionen in der Pro- und
Antisakkadenaufgabe erhoben. Diese sollten Aufschluss über die
Spezifität der Art der Reaktion der berichteten
Antisakkadenstörungen erbringen. Es wurden außerdem Korrelationen
mit der Vigilanzleistung vorgenommen, um zu prüfen, ob mit den
okulomotorischen Defiziten Störungen der Vigilanz assoziiert sind.
Zur Prüfung der Frage, ob Antisakkadenstörungen durch
neuroleptische Behandlung beeinflußt sind, wurde neuroleptisch
behandelte und unbehandelte Patienten miteinander verglichen. In
der vorliegenden Untersuchung fand sich bei den Patienten eine
signifikant erhöhte Antisakkadenfehlerrate. Außerdem waren die
Latenzen der Willkür- und Antisakkaden schizophrener Patienten
gegenüber den Kontrollpersonen signifikant verlängert und darüber
hinaus hoch miteinander korreliert. Die Latenzen der Reflexsakkaden
unterschieden sich dagegen nicht. Die manumotorischen Reaktionen
waren bei Schizophrenen sowohl in der Pro- wie auch in der
Anti-Bedingung gegenüber Kontrollen verzögert. Es fand sich somit
eine Dissoziation zwischen okulo- und manumotorischen Reaktionen
dahingehend, dass sich Unterschiede zwischen Schizophrenen und
Kontrollen in der Prosakkadenaufgabe zwar bei der Ausführung von
manuellen, nicht hingegen von okulomotorischen Reaktionen finden
ließen, wohingegen Schizophrene in der Antisakkadenaufgabe sowohl
bei manu- wie auch bei okulomotorischen Reaktionen verlangsamt
waren. Die Vigilanzleistung korrelierte in beiden Gruppen
signifikant negativ mit der Willkürsakkadenlatenz. Die
Veränderungen der Latenzen und Fehlerraten unterschieden sich nicht
bei neuroleptisch behandelten und unbehandelten Patienten, sind
also nicht mit der neuroleptischen Medikation assoziiert. Aus
diesen Daten kann abgeleitet werden, dass den im Rahmen
schizophrener Erkrankungen gefundenen Störungen bei der Generierung
von korrekten Antisakkaden eine Störung in der Generierung von
Willkürsakkaden zugrunde liegt. Bei den schizophrenen Patienten
besteht zusätzlich ein davon unabhängiges Hemmungsdefizit, das sich
in einer erhöhten Antisakkadenfehlerrate niederschlägt. Dagegen
sind die für die korrekte Ausführung von Antisakkaden zusätzlich
erforderlichen Inhibitionsprozesse bei Schizophrenen nicht
beeinträchtigt. Dafür spricht die bei Schizophrenen vergleichbare
Erhöhung der Latenzen von Willkür- und Antisakkaden, die außerdem
hoch miteinander korreliert waren. Die Dissoziation zwischen manu-
und okulomotorischen Reaktionen unterstützt die Hypothese, dass die
kontrollierten Verarbeitungsprozesse bei der Schizophrenie gestört
sind, wohingegen die automatisierten Verarbeitungsprozesse normal
funktionieren. Derartige kontrollierte Verarbeitungsprozesse werden
bei Schizophrenen und Gesunden gleichermaßen von der Vigilanz
beeinflusst. Vermutlich lassen sich die Störungen dieser
kontrollierten Verarbeitungsprozesse einer Funktionsstörung im
präfrontalen Cortex zuschreiben. Diese Hirnregion ist bei
Schizophrenie bekanntermaßen hirnstrukturellen Veränderungen und
Hirnfunktionsstörungen unterworfen.

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