Beschreibung

vor 20 Jahren
In einem prospektiven, hypothesengeleiteten Design mit zwei
Messzeitpunkten wurde die Krankheitsverarbeitung
(Bewältigungsstrategien, Kausal- und Kontrollattributionen) von
Patienten mit malignen Lymphomen sowie deren Zusammenhänge mit
Lebensqualität und emotionalem Befinden vor und sechs Monate nach
Hochdosischemotherapie mit autologer Blutstammzelltransplantation
untersucht. Neben soziodemographischen Daten wurden medizinische
Parameter wie Karnofsky-Index und Remissionsstatus erhoben. Die
Untersuchung stützte sich auf multidimensionale, standardisierte
und normierte Testverfahren, deren Gütekriterien an verschiedenen
Stichproben, großteils auch an Krebspatienten, überprüft worden
waren. Im Erhebungszeitraum (März 1999 bis August 2001) konnte eine
Stichprobe von n=69 Patienten akquiriert werden. Diese reduzierte
sich aus Gründen von Tod, anderer medizinischer Behandlung und
persönlicher Ablehnung auf n=45 zum zweiten Erhebungszeitpunkt. Im
Hinblick auf soziodemographische und medizinische Parameter wurden
die Patienten mit der Studie von Langenmayer, 1999 an autolog
blutstammzelltransplantierten Lymphompatienten und mit Daten der
Normalbevölkerung (Statistisches Bundesamt Wiesbaden) verglichen.
Die statistische Auswertung erfolgte in Abhängigkeit vom
Skalenniveau und den Verteilungscharakteristika der Daten mit Hilfe
von parametrischen und nonparametrischen Verfahren. Neben
t-Test-Vergleichen, dem U-Test nach Mann-Whitney und Wilcoxon, den
χ2-Techniken, der Produkt-Moment-Korrelation nach Bravais-Pearson
und Spearman’s Rangkorrelation, wurden ein- und mehrfaktorielle
Varianzanalysen, multiple Regressionsanalysen und Clusteranalysen
nach der Ward-Methode berechnet. Um Scheinsignifkanzen durch
α-Fehler-Kumulierung zu vermeiden, wurden die
Irrtumswahrscheinlichen nach der Bonferroni-Methode korrigiert. In
der Krankheitsbewältigung (FKV) zeigte sich eine im Vergleich mit
Muthny et al., 1992 geringere Tendenz zum sozialen
Abwärtsvergleich, was möglicherweise mit der Schwere und
Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung in Zusammenhang steht. Bei den
subjektiven Kausalattributionen (PUK) konnten im Hinblick auf
Lebensqualität und emotionales Befinden adaptive und maladaptive
Formen identifiziert werden. Dies spricht gegen die prinzipielle
Maladaptivität subjektiver Krankheitstheorien (Riehl-Emde et al.,
1989; Muthny et al., 1992; Faller et al., 1995). Die Attribution
auf "Umweltverschmutzung" ist bei Krebspatienten häufig (vgl.
Becker, 1984; Verres, 1986) und erwies sich als adaptiv;
"Gesundheitsverhalten", "Alltagsstress", "Verarbeitungsdefizite",
"eigene seelische Probleme" und "geringes Durchsetzungsvermögen"
hingegen als maladaptiv. Der Autor vermutet Zusammenhänge mit
Selbstbeschuldigungsprozessen, was durch eine multivariate
Varianzanalyse gestützt wurde: die bislang noch nicht publizierte
Differenzierung zwischen natur- und handlungskausalen Attributionen
erwies sich als einzig signifikanter Einflussfaktor auf
Lebensqualität und emotionales Befinden im multivariaten Vergleich.
Naturkausal werden solche Attributionen bezeichnet, auf die der
Patient intentional keinen Einfluss nehmen konnte (z.B. Zufall,
Schicksal, Vererbung), während handlungskausale Ursachen
prinzipiell veränderbar gewesen wären (z.B. hohe Anforderungen an
sich selbst, Alttagsstress, berufliche Belastungen). Patienten mit
handlungskausalen Attributionsmodellen hatten eine signifikant
geringere Lebensqualität, geringere emotionale Funktion und erhöhte
Werte an affektiven Belastungen: sie waren häufiger
niedergeschlagen, müde und missmutig; auch gaben sie signifikant
mehr Ursachen für ihre Erkrankung an, zudem in höherer Gewichtung.
Es zeigte sich ein positiver Einfluss internaler
Kontrollattributionen auf Lebensqualität und Rollenfunktion sechs
Monate nach autologer Stammzelltransplantation, was die
Untersuchungen von Baider & Sarell, 1983; Reynaert et al., 1995
und Eckhardt-Henn et al., 1997 bestätigt, unserer Hypothese aber
widerspricht, dass sich im Setting der Hochdosischemotherapie mit
Angewiesenheit auf Ärzte, Pflegepersonal und Angehörige
sozial-externale Attributionen als adaptiver erweisen würden.
Hinsichtlich des Remissionsstatus und einiger soziodemographischer
Parameter ergaben sich geringe bis mittelstarke Zusammenhänge mit
der Krankheitsbewältigung, Kausal- und Kontrollüberzeugungen. Diese
hielten einer Bonferroni-Korrektur jedoch nicht stand, so dass sie
lediglich als Tendenzen interpretiert werden dürfen. Keine
Zusammenhänge zeigten sich in Bezug auf den Karnofsky-Index und die
Diagnosegruppen. Mit Clusteranalysen nach der Ward-Methode wurden
die untersuchten Patienten eindeutig differenzierbaren Clustern der
Krankheitsbewältigung (FKV) bzw. Kontrollattribution (KKG)
zugeordnet. Letztere entsprachen den von Wallston & Wallston,
1982 beschriebenen "rein internalen" bzw. "doppelt externalen"
Typen, dem des "Nay-sayer" und "Type thought not to exist". Es
zeigten sich wenig signifikante Unterschiede im Hinblick auf
Lebensqualität oder emotionale Belastungen. Die Zusammenhänge
zwischen emotionalem Befinden und Krankheitsverarbeitung wurden mit
kreuzvalidierten, multiplen Regressionsanalysen untersucht. Dabei
leistete der Autoregressor jeweils einen wesentlichen Beitrag zur
Varianzaufklärung des Kriteriums. Insgesamt scheinen die
Bewältigungsstrategien das emotionale Befinden vorwiegend in den
distalen Modellen zu beeinflussen, während in den proximalen
Modellen auch Einflüsse des Karnofsky-Indexes bestehen. Da sich in
der vorliegenden Untersuchung wie auch bei Filipp et al., 1989 und
Faller et al., 1994b die Zusammenhänge für die verschiedenen
Kriterien und Prädiktoren unterschiedlich darstellten, sollten
kausale Beziehungen zwischen Coping und Befinden für jede
Krankheitsverarbeitungsform bzw. jedes Adaptationskriterium separat
überprüft werden. Die Verarbeitungsmechanismen erwiesen sich im
matched-pair-Vergleich als relativ änderungsinvariant im
untersuchten Sechs-Monatszeitraum. Dies widerspricht der These von
Faller, 1988, nach der es sich bei subjektiven Krankheitstheorien
um situationsabhängige Argumentationsprozesse handelt, wie auch der
von Lohaus, 1992 beschriebenen Variabilität von
Kontrollüberzeugungen. Die Krankheitsverarbeitung könnte mit
Persönlichkeitsmerkmalen in Verbindung stehen, was künftige Studien
untersuchen sollten. Möglicherweise kann die Unterscheidung
zwischen natur- und handlungskausalen Attributionen künftig sowohl
bei der Skalierung als auch bei der Identifikation einer
Risikogruppe von Patienten behilflich sein, die einer besonderen
psychotherapeutischen Unterstützung bedürfen.

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