Wie böse ist der Kapitalismus? (Werner Plumpe)

Wie böse ist der Kapitalismus? (Werner Plumpe)

39 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

Unser Wirtschaftssystem hat ein Imageproblem. Der Klimawandel,
die Kluft zwischen Arm und Reich, jetzt auch noch eine neue
Bankenkrise: Schuld an all dem sei der Kapitalismus, glauben
immer mehr Menschen. Andererseits gab es auf der Welt noch nie so
viele Menschen, die in – zumindest bescheidenem – Wohlstand
lebten und noch nie so wenige, die hungern mussten. Irgendetwas
macht der Kapitalismus also wohl auch richtig. Im aktuellen
Podcast der Agenda Austria erklärt der Historiker Werner Plumpe,
Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der
Universität Frankfurt und erfolgreicher Buchautor, warum die
kapitalistische Ordnung bisher alle Krisen überstanden hat. 


Einerseits komme der Kapitalismus der Natur des Menschen offenbar
sehr entgegen. „Er bietet Möglichkeiten, sich zu bereichern oder
Geltung zu erlangen. Für die breite Masse macht der Kapitalismus
aber einfach die Regale in den Supermärkten voll und ermöglicht
ihnen ein hintergrundentlastetes Leben.“ Also ein Dasein ohne
täglichen Überlebenskampf. „Die Reichen hatten immer schon alles,
sie brauchen keine industrielle Güterproduktion. Kapitalismus ist
letztlich kapitalintensive Massenproduktion für große Märkte, auf
denen der einzelne Konsument nicht reich genug ist, um sich teure
Handarbeit zu leisten.“


Dass nun wieder die Angst vor einer Finanz- und Bankenkrise
umgeht, ist für Plumpe Indiz für einen Fehler im System. „Die
Risiken der Akteure für solche windigen Geschäfte müssten
steigen. Das ist das Problem, das wir seit der Finanzkrise von
2008 haben: Der Staat beziehungsweise die Zentralbank greifen
ein. Dieses Retten großer Akteure ist nicht gut. Eine effektive
kapitalistische Ökonomie, in der Fehlverhalten auch wirklich
sanktioniert wird, wäre immer noch die beste Variante.“


„System change not climate change“, steht auf den Transparenten
von Klimaaktivisten. Nur wenn sich das Wirtschaftssystem von
Grund auf ändere, sei die Welt noch zu retten, glauben viele.
Werner Plumpe widerspricht: „Ich würde die technologische Dynamik
des Kapitalismus nicht unterschätzen. Joseph Schumpeter sprach
sehr richtig von der schöpferischen Zerstörung. Der Kapitalismus
ist permanente Erneuerung.“ Man könnte dem Wirtschaftssystem
höchstens ankreiden, dass es in den vergangenen zwei
Jahrhunderten ein enormes Bevölkerungswachstum ermöglicht habe –
das natürlich den Ressourcenverbrauch beschleunigte. „Um 1800 hat
ein Bauer etwa vier weitere Menschen ernährt, heute liegt das
Verhältnis bei 1 zu 125. Die Klimaaktivisten müssten mir mal
erklären, wie sie mit ihren Vorstellungen von Ressourcenverbrauch
die Weltbevölkerung ernähren wollen“, sagt der Experte. 


Die kapitalistische Marktwirtschaft erwies sich in allen Krisen
und sämtlichen Anfeindungen zum Trotz bisher als erstaunlich zäh
und stabil. Doch jetzt könnte es gefährlich werden, meint Plumpe.
„Wir leben in einer Welt, die den Kapitalismus aus politischen
Gründen nicht will. Die Energiewende in Deutschland – nur als
Beispiel – hat dazu geführt, dass es keinen funktionsfähigen
Energiemarkt mehr gibt. Ein großer Teil der Bevölkerung geht auch
keiner Erwerbsarbeit mehr nach und lebt von staatlichen
Transferleistungen. Wir halten Unternehmen am Leben, die längst
nicht mehr Leben sein sollten. Wir haben eine öffentliche
Meinung, die dem Markt misstraut. Das alles könnte für den
Kapitalismus zu einer echten Gefahr werden.“

Werner Plumpe, 68


Der deutsche Historiker ist Professor für Wirtschafts- und
Sozialgeschichte an der Universität Frankfurt/Main. Er hat
mehrere Bücher geschrieben, darunter „Das kalte Herz“, eine große
Geschichte des Kapitalismus. Werner Plumpe war Vorsitzender des
Deutschen Historikerverbands und wurde 2014 mit dem
Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet.
 

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