Braucht der Staat eine Schuldenbremse? (Christoph Schaltegger)

Braucht der Staat eine Schuldenbremse? (Christoph Schaltegger)

38 Minuten

Beschreibung

vor 10 Monaten

Die jüngsten Krisen haben im österreichischen Staatshaushalt
tiefe Spuren hinterlassen. In nur drei Jahren stiegen die
Schulden der Republik von 316 auf 361 Milliarden Euro. In der
Schweiz gibt es seit mehr als 20 Jahren eine Schuldenbremse. 85
Prozent der Bevölkerung sprachen sich damals dafür aus, die
Politiker zur Budgetdisziplin zu zwingen. Im Podcast der Agenda
Austria erzählt der Ökonom Christoph Schaltegger, wie es dazu
kam, wie die Schuldenbremse funktioniert und welche Effekte sie
hat. 


 Die Schweizer Schuldenbremse sei relativ simpel gestrickt,
sagt Schaltegger. „Es wird geschätzt, wie hoch die Einnahmen des
kommenden Jahre sein werden. Läuft die Konjunktur gut, muss ein
bisschen mehr eingenommen als ausgegeben werden. In einer
Rezession ist es umgekehrt. Aber der Deckel muss eingehalten
werden.“ 

Corona sorgte natürlich auch in der Schweiz zu stark erhöhtem
Finanzbedarf. Wie vertrug sich das mit dem Ausgabenlimit? „Das
Design der Schuldenbremse gibt die Möglichkeit, in gewissen
Situationen das Limit zu erhöhen. Solche Ausgaben werden
außerordentlich verbucht und müssen außerordentlich abgetragen
werden.“ Auch das unterliege einem strengen Reglement. 


Die Schuldenbremse ist in der Schweiz nicht unumstritten. Einige
Ökonomen sehen das Instrument seit je her kritisch. Die lange
Zeit sehr niedrigen Zinsen hätten auch in seiner Heimat die
Debatte befeuert, ob man beim Schuldenmachen nicht etwas
großzügiger sein könnte, berichtet Christoph Schaltegger. Just
Ende des Jahres 2019 stellte der Bundesrat eine Expertengruppe
zusammen, die ausloten sollte, ob angesichts der komfortablen
Zinsen und des Wirtschaftswachstums nicht mehr Spielraum für
Ausgaben eröffnet werden solle. 


Nicht erst seit Corona ist spürbar, dass die Erwartungen der
Bürger an den Staat enorm gestiegen sind. Kaum wird es schwierig,
soll die Politik helfen. Wie kommen Regierungen da wieder heraus?
Letztlich sei der Staat ja dafür da, in Krisen helfend
einzugreifen, räumt Christoph Schaltegger ein. Nach seinem
persönlichen Empfinden sei die Grenze zwischen
Ausnahmesituationen und konjunkturell normalen Zeiten aber immer
mehr verschwommen. „Heute ist praktisch Dauerkrise. Deshalb haben
einzelne Gruppen immer die Möglichkeit, ihre speziellen
Interessen zum Allgemeingut zu machen. Wenn das Schule macht, tun
es alle. Das ist eine gefährliche, zersetzende Kraft in einer
Demokratie.“ Arbeitgeber seien da übrigens um keinen Deut anders
als Unselbständige. „Das habe ich als Ökonom früh gelernt: Die
Unternehmen sind kein Hort des ordnungspolitischen Gewissens.
Wenn ein Unternehmer merkt, dass er vom Staat profitieren kann,
wird er das gerne tun“, sagt Schaltegger. 


Nach mehreren Zinserhöhungen durch die Europäische Zentralbank
stellt sich die Frage, ob alle Euroländer ihre enormen Schulden
langfristig noch bedienen können. Schaltegger sieht ein gewisses
Risiko, dass es zu einer neuen europäischen Schuldenkrise kommen
könnte. „Die Bruttoschulden einzelner Länder übertreffen bereits
den Stand während des Zweiten Weltkriegs. Und bekanntlich gab es
nach dem Krieg einige Staatsinsolvenzen.“


Christoph Schaltegger, 51


Der gebürtige Basler ist Professor für politische Ökonomie an der
Universität Luzern und Direktor des Instituts für Schweizer
Wirtschaftspolitik (IWP). Er hat mehrere Bücher geschrieben,
publiziert regelmäßig in der „Neuen Zürcher Zeitung“ und gehört
zu den einflussreichsten Ökonomen des Landes. Am 19. Juni hielt
er in der Agenda Austria einen Vortrag über die Schuldenbremse in
der Schweiz.

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