Martha Wells: Die Killerbot-Reihe

Martha Wells: Die Killerbot-Reihe

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Beschreibung

vor 2 Jahren

Zu Zeiten des seligen Gene Roddenberry ist die Zukunft noch
rosig. Im Star Trek Universum herrscht, wenn nicht Kommunismus,
so doch wenigstens ein demokratischer Sozialismus mit
militaristischem Anstrich. Spätestens jedoch mit Neal Stephensons
"Snow Crash" und William Gibsons "Neuromancer" Serie bekommt die
Zukunft, was sie verdient: Kapitalismus im endlosen Endstadium.
Staaten sind Firmen gewichen, Staatenbünde Monopolen.


Doktorarbeiten wurden darüber geschrieben, dass Science Fiction
nur eine logische Fortsetzung der gesellschaftlichen Zustände
ist, in denen sie geschrieben wird, es gibt also keinen Grund
sich zu wundern, dass in Martha Wells "Murderbot Diaries", auf
Deutsch "Tagebuch eines Killerbots", interstellarer Imperialismus
herrscht, auf die brutalstmögliche Art verquickt mit und
unterstützt von kapitalistischer Über-den-Tisch-Zieherei. Eine
Ära, die an die aktuellen Zustände als die "guten alten Zeiten"
zurückdenkt.


Wir befinden uns in recht weiter Zukunft und der Weltraum will
erobert sein. Also machen sich Forscher und Firmen auf den Weg,
in den Raum hinter dem "corporate rim", dem dicht besiedelten
"bekannten" Ring von Galaxien und Planetensystemen. Dass das ein
gefährlicher Job ist, versteht sich; nur weil Kapitalismus
herrscht, ist die Alienflora und -fauna nicht ungefährlicher als
im Universum von Captain James T. Kirk und Jean Luc Picard. Aber
kein Problem, aus dem sich nicht Profit schlagen ließe, und so
bieten intergalaktische Konglomerate von Sicherheitsfirmen Bonds,
also Versicherungsverträge, an, die Du dir als hoffnungsvoller
Entdecker neuer Welten zulegen kannst. Beziehungsweise musst,
denn: "Ein schönes Raumschiff haben Sie da, es wäre doch eine
Schande, wenn dem was passiert?", Sie wissen schon. Man bezahlt
also eine Summe X, je nach Gefährlichkeit der Mission und Bonität
des Entdeckers, dafür rüstet die Sicherheitsbude die Mission so
aus, dass die Chancen gut sind, dass wenigstens ein paar Explorer
heil zurück kommen. Falls nicht, wird eine erkleckliche
Versicherungssumme an die Hinterbliebenen gezahlt.
Beziehungsweise deren Arbeitgeber. Falls nichts Gegenteiliges im
Kleingedruckten steht.


Die Sicherheitsfirmen haben also ein Interesse, dass möglichst
wenige Mandanten von Erdwürmern, fleischfressenden Kakteen oder
Weltraumpiraten konsumiert werden und rüsten entsprechend
technologisch auf: schnelle Raumschiffe, sicher Habitatsystem und
ordentlich Waffentechnologie. Die am weitesten entwickelte und
versatilste ist der gemeine Security Bot, ein bisschen
Menschenhirn mit sehr, sehr viel Technologie und nur noch wenig
Fleisch und Blut drum rum, dazu überall Waffen eingebaut und das
Äquivalent eines mittleren Amazon-Rechenzentrums in der Birne.
Sieht aus wie Arnold, wird aber gesteuert von einem “gouverneur
module”  unter der Kontrolle der Sicherheitsfirma, dem der
security bot gehört. In der deutschen Ausgabe wird das
"Chefmodul" genannt. Was läuft bei deutschen Übersetzern schief,
fragt man sich.


Unser Hauptheld, der sich selbst "Murderbot" nennt, ist ein
solcher Security-Roboter mit dem klitzekleinen Unterschied, dass
er sein Chefmodul, Jesus... - nennen wir es "Wächtermodul"
gehackt und ausgeschaltet hat. Das Modul dient offiziell dazu,
dass der Bot keinen Mist macht, also z.B. die zu beschützenden
Kunden umnietet, vor allem aber nimmt es dem Bot den, dank
eingebautem Menschenhirn unvermeidlichen, aber in der
kapitalistischen Verwertungslogik extrem unpraktischen, freien
Willen. Denn wer braucht schon einen security bot, der
hinterfragt, warum er neben dem Beschützen des Kunden jedes Wort,
dass diese sprechen, jede Entdeckung, die sie machen aufzeichnet
und zum Wohle des Securityunternehmens nach monetär Verwertbarem
durchsucht. 


Jetzt also ohne ein steuerndes Modul macht unser security bot in
der freien Zeit, die er hat, was man als Mensch so macht, wenn
man freie Zeit hat: er guckt Netflix. Und jeder, der schon einmal
Mitarbeiter von Sicherheitsfirmen in einem Museum oder Supermarkt
beobachtet hat, weiß, freie Zeit hat man da zu nahe 100%. Also
ist er bei Folge 304 von "Vom Aufstieg und Fall des heiligen
Mondes" (wir breiten das Tuch des Schweigen über die deutsche
Übersetzung) und mit der Serie Worldhoppers ist er auch schon
durch.


Das alles schaut er in jeder freien Minute, während er im
Hauptjob dafür sorgt, dass seine Mandanten, ein Forschungsteam
der nicht-kommerziellen "preservation alliance" nicht von
Erdwürmern gefressen werden. Das gelingt ihm bei der Expedition,
mit der wir in die Serie einsteigen, nur geradeso, dennoch sind
die Kunden endlos dankbar und laden ihn ein, statt im Kofferraum
des Raumgleiters, vorn, bei den Passagieren, zurück zur Basis zu
fliegen. Vielleicht haben sie nur Angst, auf alle Fälle ist das
extrem ungewöhnlich und vor allem unpraktisch, denn Murderbot mit
freiem Willen muss diesen ohne spielen. Wenn sein Arbeitgeber
mitbekommt, dass er ohne Wächtermodul rum rennt, würde er
umgehend abgeschaltet und recycelt.


Normalerweise hat Murderbot im Einsatz einen Helm mit
undurchsichtigem Visier auf, aber ausgerechnet als er sich in der
Umkleide des Raumgleiters seiner alienbesudelten Klamotten
entledigt, wird er zur Chefin der Expedition gebeten, damit diese
sich für die Lebensrettung bedanken kann. Was an sich schon
unerhört ist, denn a) hat er nur seinen Job gemacht, und b)
werden murderbots im allgemeinen behandelt wie Werkzeuge, was ihm
durchaus recht ist, zumal seit er sein Wächtermodul ausgeschaltet
hat und Murderbot einfach nur in Ruhe Netflix gucken will.
(Netflix heißt im Buch natürlich neutral "Media", aber wir wissen
was gemeint ist). Also steht Murderbot vor Dr. Mensah, der
Expeditionsleiterin, und starrt an ihr vorbei an die Wand. Er
schaut sich und seinen Gegenübern prinzipiell lieber über die
Security-Kameras zu, in Menschenaugen schauen ist extrem
irritierend. Und wieso sind hier alle dankbar? Für genau den
Fall, dass in einer Sickergrube zähnefletschende Erdwürmer Hunger
haben, ist er doch hier. Aber ein "Dankeschön" tut irgendwie gut.
Als die Lebensgerettete ihn gar umarmen möchte, wird ihm die
ganze Rührseligkeit jedoch zu viel.  "I had an emotion, and
I hate having an emotion." wie murderbot solche Augenblicke
beschreibt und stellt sich in eine Ecke des Raumes mit dem
Gesicht zur Wand. 


Hier verlassen wir die Story weitestgehend, sie ist interessant,
genügend innovativ und fesselnd. Martha Wells spannt in den fünf
entstanden Bänden, im deutschen aktuell in zwei Büchern
zusammengefasst, einen Bogen auf, der die Serie noch eine Weile
tragen wird. 


Darunter jedoch, und das macht den Reiz der Serie aus, geht es,
wie immer in guter utopischer Literatur, um die ganz großen
Fragen. Science Fiction trägt das Abhandeln von
wissenschaftlichen Themen ja schon in der Genrebezeichnung,
üblicherweise spricht das vor allem Leserinnen an, die STEM-affin
sind, wie man heute sagt, also science, technology, engineering
and mathematics brauchen um einzuschlafen. Martha Wells lässt
diese auch nicht im Regen stehen, es knallt und warped und hacked
was das Zeug hält. Aber sie behandelt auch die despektierlich
"weiche Wissenschaften", "soft science", genannten Fachgebiete
und die sind, so ehrlich muss man sein, für Belletristik auch
besser geeignet, hier: Psychologie, Philosophie und Soziologie.


Beginnen wir mit einem Besuch beim Therapeuten: wir merkten ja
schon in der eingangs beschriebenen Szene, dass Murderbot nicht
wirklich mit seiner neuen, freien Welt klar kommt. Das beginnt
damit, dass er sich trotz ordentlich Rechenleistung und guten
Wörterbüchern sprachlich nicht in ihr zurecht findet. Auf
Effizienz programmiert, denkt und redet er wie ein Handbuch für
einen HP Laserjet, nur dass er nicht beschreibt, wie man einen
Papierstau entfernt sondern, wie man gegen drei feindliche
Militärroboter mit dem Leben davon kommt. Wobei ihm seine
Programmierung gar nicht hilft ist, wie man mit jemandem umgeht,
der ihm nicht sagt, was er machen soll und ihn nicht wie ein
Möbel behandelt. Das muss er erst lernen und wir merken bald,
dass er seine moralische "Erziehung" von seinem Medienkonsum
bekommt, mit den erwartbaren, aber durchaus nicht nur negativen,
Konsequenzen.


Damit ist Murderbot natürlich und erwartbar zumindest im
Autismus-Spektrum diagnostizierbar. Das ist ja heutzutage jeder
und auch dem Rezensenten wurde das schon vorgeworfen, meist in
Situationen, wenn man unangemeldeten Besuchern nicht sofort ein
komplettes Kaffeetrinken mit selbstgebackenem Kuchen anbietet,
weil man gerade auf dem Hometrainer sitzt, eine klare
Fehldiagnose also. Murderbot aber zeigt offensichtlich alle
Anzeichen und das ist von Martha Wells bezweckt. Das Genre selbst
und die für scifi-fremde Leser manchmal zu technischen
Beschreibungen in der Killerbot-Serie sprechen, so kann man
vermuten, keine kleine Anzahl von Bewohnern des Asperger- und
Austismusspektrum als Leser an und diese wiederum identifizieren
sich natürlich gerne mit einem Protagonisten, der sich nicht als
Kind, sondern als voll entwickeltes Individuum mit der Situation
auseinandersetzen muss und kann. Das ist subtile Lebenshilfe und
nicht nur für Betroffene sondern auch deren Gegenüber. Wirklich
toll!


Philosophisch gibt es kaum eine größere Frage als "Was soll das
alles?", eine Frage, die sich Murderbot mit aktivem, den freien
Willen ausschaltendem Wächermodul nie stellen musste, welche aber
ohne dieses auf einmal allgegenwärtig ist. Hier wendet sich
Martha Wells an eine breitere Schicht von Lesern: wer hat sich
nicht schon die "Worum geht's hier eigentlich?"-Frage gestellt,
früh um zwei in der Bar. Die Antworten findet Murderbot in seinen
Lieblingsserien, was nicht die dümmste Quelle sein muss, er sieht
Serien über Hilfsbereitschaft und Mitgefühl, was ihn als
ehemaligen Mitarbeiter eines Serviceunternehmens anspricht.
Einzig, dass er jetzt selbst entscheiden muss, wen er killt - und
warum - macht ihm heftig zu schaffen. Dort helfen historische
Serien: die Fehler der Geschichte zu kennen, hilft diese zu
vermeiden. Und wenn er gar nicht weiß wohin im Universum, gibt es
immer noch Serien, in denen der Weltraum erforscht wird, mit den
größten Abenteuern, die man sich vorstellen kann. Wir lernen
jedoch bald, was am meisten in Murderbot bohrt: es ist die
fragmentarische Erinnerung an ein Massaker, von ihm selbst
verübt, von seinem "Arbeitgeber" unvollständig gelöscht. Er hat
sich seinen Namen ja nicht umsonst gegeben. Mit dem neu
gewonnenen Gewissen lässt ihm das keine Ruhe, jedoch wird er
moralische Hilfe bekommen von seinen letzten "richtigen" Kunden,
die mit den Erdwürmen, mit Dr. Mensah an der Spitze der
"preservation alliance", gewissermaßen eine community von Hippies
inmitten einer hyperkapitalistischen Gesellschaft. Es wird der
Punkt kommen, der Sache auf den Grund zu gehen. Murderbot will
wissen, warum er ein murderbot ist. 


Keine Angst vor Spoilern, aber die Antwort wird eine sein, die
man gerne von Massakristen aller Art hört, hier aber stimmt: die
Gesellschaft ist schuld. Womit wir zur Soziologie kommen. Martha
Wells beschreibt im setting der gesamten Serie eine logische
Fortsetzung der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen, ein
Kapitalismus, der nur noch für sich selbst existiert, mit
Vertragsverhandlungen, bei der jeder Preis sich danach richtet,
wie viel man aus Dir rausholen kann ohne dich umzubringen, mit
Vertragspraktiken klar erkennbar angelehnt an die
Versicherungsverträge der amerikanischen
Krankenversicherungsmafia, wo Du erst im Versicherungsfall
erfährst, wofür Du alles nicht versichert bist. In einer solchen
Gesellschaft kann es normal bis notwendig sein, ein paar dutzend
Zivilisten abknallen zu lassen von einer Maschine, der man vorher
das Gewissen entfernt hat. Warum genau, werden wir erfahren. Es
wird eine Parabel sein auf die Welt, in der wir leben und was aus
ihr werden kann, wenn wir nicht aufpassen.


Das alles passiert, keine Angst, sublim und unterhaltsam. Alle
Bände bauen aufeinander auf wie Folgen einer Netflixserie. Wir
ahnen noch einen großen Bang in der Zukunft: es gibt eine
allgegenwärtige Alientechnologie, die wir erst im letzten Band
näher kennenlernen und die spannende Fortsetzungen verspricht.
Das Englisch des Originals ist lesbar, im Stil manchmal seltsam
deutsch, was daher rührt, dass Murderbot in der Ich-Perspektive
Dinge kompliziert umschreibt, die eigentlich ganz einfach sind.
Liebe zum Beispiel, die sich zwischen genitallosen Robotern und,
no s**t, noch viel genitalloseren Bordcomputern von Raumschiffen
natürlich nicht mit "Schnickschnack, sie wissen schon"
beschreiben lässt sondern ein wenig mehr Exploration erfordert.
Ein bisschen deutsch halt. 


Die deutsche Übersetzung hingegen ist leider lieblos, warum zum
Beispiel, bitte, wird der im Englischen völlig normale Begriff
"Clients" im Deutschen immer mit dem eher ungebräuchlichen
"Klienten" übersetzt, wo es doch simple "Kunden" oder "Mandanten"
sind und das die Beziehung eines mordenden Serviceangestellten zu
diesen haargenau beschreibt? Ist das Faulheit oder am Ende auch
nur dem Druck des Marktes, hier des Übersetzermarktes,
geschuldet, der Übersetzer am Rand des Existenzminimums hält?
Haben wir in Deutschland, um genau das zu Verhindern, nicht eine
Buchpreisbindung? Aber auch weil der englische Text von
Technologismen nur so wimmelt, sich jeder zweite Absatz mit
Firewalls, Feeds und Killware beschäftigt und das im Deutschen
dann immer klingt wie ein IBM Benutzerhandbuch aus dem Jahr 1986,
bringt der Konsum des Buches in englischer Sprache deutlich mehr
Vergnügen.


Eine Verfilmung des Materials liegt auf der Hand und der
drunterlaufernde Handlungsstrang von Netflixserien biedert sich
schon fast an, sie könnte aber auch schwierig werden. Die vielen
technologischen Möglichkeiten, die Murderbot zur Verfügung hat um
aussichtslose Actionszenen zu gewinnen, sind schon in Schriftform
herausfordernd. Murderbot geht keinen Meter ohne zwanzig Drohnen
um ihn herum, die ihm mit ihren Video- und Datenfeeds helfen,
schneller als jeder Mensch, hochkomplexe Analysen zu erstellen
und anhand derer zu handeln. Genau das wird im Buch auch
beschrieben, es wimmelt nur so von Sätzen über die Veränderungen
der Wahrscheinlichkeit von 85% auf 89% für Vorgehen A versus
Vorgehen B und wenn man sich einmal darauf eingelassen hat, fetzt
das seltsam und man sieht die Welt schnell mit den Augen eines
murderbot. Wenn sich Murderbot aber in einer der Episoden klont,
um als reine Software, gewissermaßen als Computervirus, die
Kontrolle über eine Raumstation zu bekommen, wird es selbst
lesend verdammt kompliziert, verlässt einen zuweilen das
Vorstellungsvermögen. Bei einer potentiellen filmischen Umsetzung
denke ich dabei in der Darstellung an 90er Jahre Klassiker wie
"Johnny Mnemonic" und "The Lawnmowerman" und diese Ästhetik ist
nicht das einzige aus den Neunzigern, was wir alle nie mehr sehen
wollen. Aber vielleicht hat ja jemand eine brillante Idee.


Bis dahin bleibt die Empfehlung eines Lesevergnügens und immenser
intellektueller Stimulierung in Form der englischsprachigen
"Murderbot Series" von Martha Wells und, wenn es sein muss, mit
sprachlich leicht eingeschränktem Vergnügen, in der deutschen
Übersetzung als "Tagebuch eines Killerbots" und "Der Netzwerk
Effekt".


In der nächsten Woche bespricht Anne Findeisen von Harper Lee
„Gehe hin, stelle einen Wächter“, den die Autorin bereits vor
ihrem Weltbestseller „Wer die Nachtigall stört“ schrieb und der
lange als verschollen galt.


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