Sally Rooney: Conversations with Friends

Sally Rooney: Conversations with Friends

8 Minuten
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Beschreibung

vor 2 Jahren

In der Reihe "Herr Falschgold liest von Dingen, die ihn
eigentlich einen Scheiß interessieren" ging es letztens um
superreiche mittelalte New Yorker in Scheidung. Und wie es sich
für eine beginnende Sucht gehört, braucht es Steigerung, hier und
heute also das Thema: "Bisexuelle Anfangzwanzigjährige in
Dublin", so sollte es kommen.


Sally Rooney, Jahrgang 1991, ist das aktuelle Wunderkind der
englischsprachigen Literaturszene und ihr Debütroman aus dem Jahr
2017 heißt "Conversations with Friends". Schon dieser aschgraue
Titel sagt uns selbstbewusst, dass man es nicht auf einen Platz
in den Bestsellerlisten anlegt, aber wenn es denn so kommen
sollte, ist er durch den Inhalt gerechtfertigt und nicht durch
irgendwelche Marketing-Titeltricksereien.


Auch der Anreisser, der da lauten könnte: "Frances ist eine
21-jährige Dubliner Literaturstudentin und Poetin und wird uns
auf ein paar hundert Seiten von ihrer ersten Liebe erzählen"
taugt oberflächlich eher für die Bahnhofsbuchhandlung, aber Halt,
Halt, Halt, Moment! Noch nicht abschalten!


Was ihre erste Liebe sein wird, werden wir erst am Ende erfahren,
zunächst wird sie zusammen mit Bobbi, einer gleichaltrigen
Kunststudentin, mit der sie gemeinsam ihrer Gedichte auf
Spoken-Word-Abenden vorträgt nach einem solchen auf ein paar
Gläser Wein zu Melissa eingeladen, einer Fotografin und
Essayistin, deutlich älter, fast 40. Diese möchte einen Artikel
schreiben über die Beiden. Ihr Mann, ein ganz unglaublich gut
aussehender, mittelmäßig erfolgreiche TV-Schauspieler, kommt kurz
in die Küche, in der die drei sitzen, füttert den kläffenden
Cockerspaniel, nimmt sich ein Flasche Bier aus dem Kühlschrank,
wechselt ein paar Worte und geht wieder ab.


Frances, Hauptheldin und Ich-Erzählerin gehen an diesem Abend,
wie an jedem, ja wie in jedem Augenblick ihres jungen Lebens, so
ein paar Sachen durch den Kopf.


Da ist natürlich Nick, der Hund fütternde Ehemann von Melissa, so
unglaublich gut aussehend. Dann ist da Bobbi, ihre Poetry Slam
Partnerin, mit der sie mal was hatte mit 17, damals in der
katholischen Schule, die sie gemeinsam besucht haben, und von der
Melissa, die erfolgreiche Fotografin, ganz verzückt scheint. Dazu
die Wohnung, ziemlich posch, mit Wintergarten, perfekter Küche
mit Mittelinsel und mehreren Sorten Wein im Kühlschrank. Frances
kommt aus bescheidenen Verhältnissen und ist, oder wird von ihrer
Freundin erklärt zur: Kommunistin. Bobbi ist eher, sagen wir,
Anarchafeministin und nebenbei die, nach Meinung Frances,
deutlich Schönere der beiden.


Die drei Frauen unterhalten sich, Melissa fotografiert ein wenig,
das ist alles, was passiert.


Die Szene braucht nur ein halbes dutzend Seiten um in unserem
Kopf ein Bild von unrealer Detailliertheit zu zeichen, vom
Charakter der Anwesenden, dem Raum, in dem sie sich befinden,
ihrer Aufstellung in diesem, räumlich und charakterlich. Es
klingt nach nichts, es geht auch um wenig. Es ist als Rezensent
kaum beschreibbar, was daran so atemberaubend gut ist, aber man
möchte folgende Gesichter gerne gesehen haben:


Das zufriedene von Sally Rooney beim Strg-S drücken;


Das erstaunte des den Posteingang bearbeitenden Lektors im
Verlag, der das Buch erstveröffentlichen wird;


Meines und jeden anderen nicht Chick-flick-lesenden mittelalten
Mannes wie er leise "Wahnsinn" brummelt.


Die Henne/Ei-Frage des Literatur-, ja des Kunstbetriebes lautet:
"Ist es gut, weil alle es gut finden oder weil es gut ist?" und
so wie das Henne/Ei Problem ist es nur oberflächlich eine schwer
zu beantwortende: Natürlich war das Ei zuerst da, denn wie es
hartschalige Eier gab, lange bevor Hennen diese aus ihren Kloaken
pressten, gab es hervorragende Literatur junger Autorinnen, lange
bevor diese Ernst genommen wurden.


Dass mit Rooneys "Conversations with Friends" etwas literarisch
wirklich Bedeutendes vor einem liegt, dazu braucht der halbwegs
interessierte Leser wirklich nur das erste Kapitel. Warum das so
ist, ist aber eine Erörterung wert:


Ohne den Deckel vom faulig blubbernden Topf des "Literatur"
versus "einfach gute Bücher" komplett zu lüften, igitt-igitt,
geht es bei Literatur für mich tendenziell um gute Sprache. Klar,
Story ist wichtig, aber Kunst passiert, wenn Unaufregendes gut
erzählt wird, nicht wenn Spannung dich den Kindle erst nachts um
drei aus der Hand fallen lässt.


Was "gut erzählt" meint, geht nun komplett ins Subjektive. Für
Anne Findeisen darf es ruhig leise schwurbeln, für mich ist es
eher das reduzierte Stellen von Worten und plötzlich macht es
"Wow, magic". Das was Kafka (oder in der englischsprachigen
Literatur sagen wir Hemingway) so machen: einfache, konzise
Sprache, Reduktion und Präzision.


Seltsamerweise, für mich und mein lobpreisendes Urteil des
Romans, finden wir diese Reduktion bei Sally Rooney nur bedingt.
Die Sprache ist einfach, aber konzis ist sie nicht. Auch
Ideenreichtum kann man "Conversation with friends" nicht
vorwerfen, ich spoilere nicht zu viel, wenn ich verrate, dass es
vor allem darum geht, dass alle vier vorgestellten Personen
miteinander mindestens ein bisschen rumschnackeln.


Was Rooney und ihre Ich-Erzählerin Francis jedoch haben und wo
man innerhalb weniger Seiten weiß, dass das groß ist:
Beobachtung, die Fähigkeit das zu Beobachtende zu beschreiben
und, das Wichtigste dabei, auszuwählen, was man beschreibt.


Ob es Objekte, Begegnungen oder Gefühle sind: Francis, als
Erzählerin und damit Sally Rooney als Autorin beobachtet und
reflektiert, als wenn es kein Morgen gäbe. Sie kennt kein Detail,
welches es nicht zu berichten gäbe um einen Raum, eine Handlung
oder ein Gefühl zu beschreiben. Und da es natürlich viel zu viele
Details sind, die es während einer Stunde Gespräch zwischen vier
potentiellen Liebhabern in der ersten Szene eines Buches zu
berichten gibt, ist es am Ende doch die Kunst der Reduktion, die
Auswahl der minuskülen Gesten, Schattenwürfe oder Hintergedanken,
die dem Leser zu berichten sind, um ihm ein Bild zu geben.


Und hier ist Sally Rooney einfach unglaublich in ihrer
Treffsicherheit, zumal für eine 25jährige.


So denkt man und wenn man fertig ist mit "Conversations with
Friends" hinterfragt man genau diesen Satz. "Für eine
25-jährige". Was soll das?


Ein Satz, der angebracht sein kann bei der Sicht auf ein
Verhältnis, auch hier nochmal ohne großen Spoiler, zwischen den
schönen 40jährigen und halb-so-alten Studentinnen.


Aber muss eine Anfangzwanzigjährige Autorin ungeschliffen und
blind sein? Oder vergessen wir nur zu schnell, wie viel wir alle
im Kopf hatten, zu einer Zeit, in der wir drei Biere brauchten um
durch den Abend zu kommen?


Das Leben einer Zwanzigjährigen Studentin ist im Allgemeinen
aufregender als für den doppelt so alten Schauspieler, da kann er
noch so den Sommer in einem Haus in Frankreich verbringen. Es in
Worte zu fassen braucht nicht mehr als ein Quäntchen Talent,
Enthusiasmus für dieses und der Rest ist sich hinzusetzen und den
Quark aufzuschreiben. Warum soll das eine Zwanzigjährige nicht so
hinbekommen, dass ein gerne deutlich älteres und weiseres
Publikum das toll findet? Im Gegenteil, so wie der vierzigjährige
Schauspieler Nick im Buch schätzen wir, als Leser, Francis nicht
wegen ihrer Weisheit, sondern wegen ihres Blickes auf die Welt
und lieben sie für die schonungslose Beschreibung ihrer Gefühle
und wie sie das macht, ohne uns mit teenagerhaftem Gesäusel zu
nerven, aber auch ohne die selbstmitleidige Rückschau einer
"gestandenen" Schriftstellerin auf ihre Jugendsünden. Es ist so
authentisch, was Francis uns erzählt, das so alte unsentimentale
Säcke wir Herr Falschgold sich plötzlich erinnern, wie das war,
als man vor Liebeskummer kein Mensch mehr war sondern ein
fehlerhaftes Produkt, wie ein Staubsaugerroboter, der in der
Zimmerecke hängt bis eine liebreizende Putzfrau kommt, einen
hochhebt und zurück in die Mitte des Lebens setzt, auf dass man
weiter zynisch der Menschen Unsinn wegkommentiere. Und damit man
an diesem Unsinn nicht verstopft, gibt es auf der Welt Sally
Rooneys und deren Erstlingswerke, die man liest und die Welt wird
für einen kurzen Moment klar und rein oder kurz: brillant!


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