Joachim Meyerhoff: "Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke"

Joachim Meyerhoff: "Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke"

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Beschreibung

vor 2 Jahren

Als ich im Sommer Joachim Meyerhoffs Buch Ach, diese Lücke, diese
entsetzliche Lücke geschenkt bekam, war mir der Autor bis dato
gänzlich unbekannt. Ein Blick ins Internet genügte, um
herauszufinden, dass es sich bei Joachim Meyerhoff nicht nur um
einen Schriftsteller, sondern auch Regisseur und in der
Hauptsache Schauspieler handelt. Mit seinem 2015 im Verlag
Kiepenheuer & Witsch veröffentlichten Roman, befinden wir uns
bereits im dritten Band seiner Reihe: Alle Toten fliegen hoch.


In diesem beschreibt er autobiographisch seine Zeit, in der er,
für ihn selbst überraschenderweise, auf der Schauspielschule in
München angenommen wurde und sein damit verbundenes Zusammenleben
mit seinen Großeltern in deren Villa, in der Nähe des
Nymphenburger Parks. Das sogenannte rosa Zimmer im
großelterlichen Haus bezog er in Ermangelung einer eigenen
Wohnung und es sollte ursprünglich nur übergangsweise als
Wohnstätte dienen, wurde aber schließlich zu seinem zu Hause,
während seiner gesamten Schauspielausbildung.


Bereits im ersten Kapitel des Buches, welches den Titel Fünf
Etappen trägt, wird dem Leser sehr eindrucksvoll der Alltag von
Großmutter Inge und Großvater Hermann, der von Ritual, Disziplin
und Skurrilität geprägt ist, geschildert. Bei den fünf Etappen
handelt es sich um Getränke, deren Einnahme den Tag
strukturieren. Punkt neun Uhr morgens beginnen sie ihren Tag mit
einem Glas Champagner, wodurch es ihnen, wie Meyerhoff uns wissen
lässt, gleich viel besser geht. Punkt ein Uhr zum Mittagessen
folgt der Weißwein, es schließt sich der Sechs-Uhr-Whiskey an,
dem Rotwein und geistreiche Konversation zum Abendessen folgen.
Abgerundet und das Ende des Abends einläutend, gibt es
schließlich Cointreau. Dieser, den Großeltern scheinbar
nichts-anhaben-könnender, täglich aufs Neue stattfindende Konsum
und Rausch, setzt Joachim, oder Lieberling, wie ihn die
Großmutter gerne nennt, zunächst noch zu.


„Am nächsten Morgen, Punkt halb acht klopfte meine Großmutter an
meine Tür, um mich zu wecken. Sie sah wie immer blendend aus,
duftete nach »Shalimar«. Auch mein Großvater sah zu mir herein,
frisch wie nach drei Wochen Urlaub in den Bergen. Nie sah man
ihnen an, dass sie so viel tranken. Doch ich war wie krank.
Todkrank. Und dann ging alles wieder von vorne los. Oft hörte
ich, während ich meinen Kopf kaum vom rosa bezogenen Kopfkissen
hochbekam, wie unten die barfüßige Haushälterin schon wieder den
Korken aus der Champagnerflasche knallte. Nie war ich so
zerrüttet wie nach ein paar Tagen bei meinen Großeltern.“
(S.33/34)


Das Zusammenleben mit Großmutter Inge, einst selbst erfolgreiche
Schauspielerin und durch einen schweren Unfall, nicht nur ihres
ersten Ehemanns, sondern auch einen Teil ihre Beins beraubt und
Großvater Hermann, seines Zeichens Philosoph und von besonderer
Akribie geprägt, steht im völligen Gegensatz zu seiner Ausbildung
an der Schauspielschule. Sich selbst fragend, wie er die
Aufnahmeprüfung bestehen konnte und ob er überhaupt Schauspieler
werden möchte, hangelt sich Meyerhoff durch seine Ausbildung,
stets in dem Gefühl, die an ihn gestellten Erwartungen nicht
erfüllen zu können, überzeugt davon, nicht einmal das
Probehalbjahr zu überstehen, auf der Bühne stehen und nicht
gesehen werden wollend und glücklich, es bis zum
Sechs-Uhr-Whiskey wieder in den Schutz des großelterlichen Hauses
zurück geschafft zu haben.


„Nur bei meinen Großeltern schloss sich allabendlich die Lücke
und ihre Vertrautheit und Zugewandtheit, ihr aus Hochprozentigem
geknüpftes Netz fingen mich sicher auf.“ (S.136)


Neben diesen gegensätzlichen Welten, in denen sich der
Protagonist bewegt, gibt es auch immer wieder Rückblicke, sei es
in das Leben der Großeltern, der Mutter oder sein eigenes. Auch
der Verlust ist ein entscheidendes Thema im Roman, angefangen
beim Tod des mittleren Bruders, der eine entscheidende Lücke in
Joachim Meyerhoffs Leben zurücklässt. Und doch ist die Trauer um
ihn etwas, an dem er sich festhalten kann und die ganz und gar
ihn selbst widerspiegelt. Das Lesen des Buches war für mich ein
Wechselbad aus Heiter- und Traurigkeit. Hier und da hat mich
Meyerhoffs Art des Erzählens an Heinz Strunk erinnert, der es
ebenfalls versteht, etwas eigentlich zutiefst Trauriges so zu
schildern, dass man nicht anders kann als zu lachen. Hierfür
möchte ich das Buch noch einmal selbst bemühen und eine Szene aus
der Trauerfeier des Großvaters zitieren:


„Danach saßen Verwandte, Freunde und die Familie im Haus der
Großeltern zusammen, und meine Mutter fragte plötzlich in die
eher ratlose Stille hinein: »Was waren eigentlich Hermanns letzte
Worte?« Meine Großmutter überlegte. Aber meine Mutter hatte die
Frage eher an sich selbst gerichtet, denn schon nach Kurzem sagte
sie zu meiner Großmutter: »Er hat doch deine Hand gehalten und
geflüstert: >Alles ist gut, Inge!

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